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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band.

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die Stimme der Nation würde sie vernehmlich daran erinnern. Wer dem
Gang der öffentlichen Meinung in Italien mit einiger Aufmerksamkeit gefolgt
ist, wird nicht im Zweifel darüber sein, daß die fortgesetzte Hartnäckigkeit des
Papstthums die Zahl seiner Freunde nicht vermehrt hat. Die Gleichartigkeit
gegen die Kirche ist auf dem Punkt, zur Gleichgiltigkeit gegen die Institution
des Papstthums zu werden. Italien wird schwerlich ein protestantisches Land
werden, "der es ist heute schon von allen katholischen Ländern das am wenigsten
päpstlich gesinnte. Die Ansicht, daß die Aussöhnung zwischen Italien und dem
Papthum die einzig mögliche Lösung der römischen Frage sei, galt noch vor
nicht langer Zeit als ein Dogma der gemäßigten Partei. Aber die Reihen ihrer
Anhänger lichten sich gewaltig. Es ist eine vergangene Generation, die stolz
auf den nationalen Charakter des Papstthums von seinem geistigen Aufschwung
eine Erhöhung des nationalen Glanzes erträumte. Die Mehrzahl wünscht heute
nicht die Aussöhnung mit der Curie, sondern fürchtet sie. Man scheut sich
mehr vor einem Concordat als vor dem offenen Bruch. Als die Allocution
vom 19. October bekannt wurde, ist ihr Eindruck in Italien unverhohlene B>>
sriedigung gewesen. Die Ankündigung, daß der Papst lieber Rom verlassen,
als sich mit der neuen Ordnung aussöhnen werde, ist mit drastischen Aus¬
drücken der Freude aufgenommen worden. Weit fort! und Nimmerwiederkehr!
konnte man in Kreisen vernehmen, die keiner extremen Gesinnungen verdächtig
sind. Man beginnt sich an den Gedanken zu gewöhnen, daß die Lösung der
Frage schließlich doch nur eine radicale sein könne. Diese Stimmung kann
allerdings im Zaum gehalten werden, wenn das Papstthum sich in seine neue
Lage fügt, sie muß aber übermächtig werden, wenn es in seinem Widerstand
beharrt. Sie könnte im Stande sein, alle Berechnungen und Vorsichtsmaßregeln
der zünftigen Politiker über den Haufen zu werfen.

So..ist denn das zukünftige Schicksal des Papstthums in der That ein Un¬
gewisses, Unberechenbares, das fast mehr die Neugierde als leidenschaftliche
Theilnahme erweckt. Das Papstthum ist nicht mehr Gegenstand des Abscheus
und der Verehrung: es ist interessant geworden; es ist nicht mehr eine Macht,
sondern ein Object des Witzes der Diplomatie, so lange bis der Witz der Welt¬
geschichte sich seiner bemächtigt. Werthlos wäre es, die Reihe der Möglichkeiten,
die sich mit der zweiten Decemberwoche eröffnen, verfolgen und erschöpfen zu
wollen. Genug, daß der Septembervertrag ausgeführt wird; das Weitere muß
der Zukunft überlassen bleiben, vielleicht dem Wunder, auf welches Pius der
Neunte zum Dank für das unbefleckte Dogma allerdings gegründete Ansprüche
besitzt.

Im Grunde hat niemand bezweifelt, daß sowohl Frankreich als Italien
den Bestimmungen des Vertrags pünktlich nachkommen werden. Nur die kleri¬
kale Partei hat es für ihr Interesse gehalten, von Zeit zu Zeit ihren Wunsch


die Stimme der Nation würde sie vernehmlich daran erinnern. Wer dem
Gang der öffentlichen Meinung in Italien mit einiger Aufmerksamkeit gefolgt
ist, wird nicht im Zweifel darüber sein, daß die fortgesetzte Hartnäckigkeit des
Papstthums die Zahl seiner Freunde nicht vermehrt hat. Die Gleichartigkeit
gegen die Kirche ist auf dem Punkt, zur Gleichgiltigkeit gegen die Institution
des Papstthums zu werden. Italien wird schwerlich ein protestantisches Land
werden, «der es ist heute schon von allen katholischen Ländern das am wenigsten
päpstlich gesinnte. Die Ansicht, daß die Aussöhnung zwischen Italien und dem
Papthum die einzig mögliche Lösung der römischen Frage sei, galt noch vor
nicht langer Zeit als ein Dogma der gemäßigten Partei. Aber die Reihen ihrer
Anhänger lichten sich gewaltig. Es ist eine vergangene Generation, die stolz
auf den nationalen Charakter des Papstthums von seinem geistigen Aufschwung
eine Erhöhung des nationalen Glanzes erträumte. Die Mehrzahl wünscht heute
nicht die Aussöhnung mit der Curie, sondern fürchtet sie. Man scheut sich
mehr vor einem Concordat als vor dem offenen Bruch. Als die Allocution
vom 19. October bekannt wurde, ist ihr Eindruck in Italien unverhohlene B>>
sriedigung gewesen. Die Ankündigung, daß der Papst lieber Rom verlassen,
als sich mit der neuen Ordnung aussöhnen werde, ist mit drastischen Aus¬
drücken der Freude aufgenommen worden. Weit fort! und Nimmerwiederkehr!
konnte man in Kreisen vernehmen, die keiner extremen Gesinnungen verdächtig
sind. Man beginnt sich an den Gedanken zu gewöhnen, daß die Lösung der
Frage schließlich doch nur eine radicale sein könne. Diese Stimmung kann
allerdings im Zaum gehalten werden, wenn das Papstthum sich in seine neue
Lage fügt, sie muß aber übermächtig werden, wenn es in seinem Widerstand
beharrt. Sie könnte im Stande sein, alle Berechnungen und Vorsichtsmaßregeln
der zünftigen Politiker über den Haufen zu werfen.

So..ist denn das zukünftige Schicksal des Papstthums in der That ein Un¬
gewisses, Unberechenbares, das fast mehr die Neugierde als leidenschaftliche
Theilnahme erweckt. Das Papstthum ist nicht mehr Gegenstand des Abscheus
und der Verehrung: es ist interessant geworden; es ist nicht mehr eine Macht,
sondern ein Object des Witzes der Diplomatie, so lange bis der Witz der Welt¬
geschichte sich seiner bemächtigt. Werthlos wäre es, die Reihe der Möglichkeiten,
die sich mit der zweiten Decemberwoche eröffnen, verfolgen und erschöpfen zu
wollen. Genug, daß der Septembervertrag ausgeführt wird; das Weitere muß
der Zukunft überlassen bleiben, vielleicht dem Wunder, auf welches Pius der
Neunte zum Dank für das unbefleckte Dogma allerdings gegründete Ansprüche
besitzt.

Im Grunde hat niemand bezweifelt, daß sowohl Frankreich als Italien
den Bestimmungen des Vertrags pünktlich nachkommen werden. Nur die kleri¬
kale Partei hat es für ihr Interesse gehalten, von Zeit zu Zeit ihren Wunsch


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_286147/396>, abgerufen am 04.07.2024.