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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band.

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hat im Venetianischen ein Entgegenkommen gegen den Klerus gezeigt, das der
Bevölkerung zum Anstoß gereichte. Sie hat den Bischöfen, die während des
Krieges um ihrer staatsfeindlichen Gesinnung willen von ihren Diöcesen ent¬
fernt waren, ausnahmslos die Rückkehr gestattet. Man kann sagen, sie ist bis
an die Grenze des Möglichen gegangen, um ihren Willen zu zeigen, nur in
Uebereinstimmung mit dem Papstthum zu handeln, und es ist unverkennbar, wie
sie dabei von dem Wunsche geleitet wird, endlich der lästigen Vermittelung
des französischen Hoff los zu werden und zur Lösung der rein italienischen
Frage sich mit dem Papstthum direct zu verständigen.

Aber noch in der letzten Stunde besteht der Papst unerbittlich auf seinem
Schein und verschmäht jede Transaction mit dem Königreich. Eine zweijährige
Frist war ihm gegeben, um sich nach moralischen Stützen seiner Herrschaft
umzusehen; er hat nichts gethan, sich auf die Eventualitäten der Räumung
Roms vorzubereiten, nichts, als daß er einige Fremdenbataillone warb, die
heute schon nach allen vier Winden desertiren. Noch am 29. October hält er
im Hinblick auf die bevorstehende Räumung wiederum eine jener nicht mehr
ungewöhnlichen Allocutionen, deren stereotyper Inhalt und Stil kaum beachtet
würde, wenn nicht der Zeitpunkt ihr diesmal Bedeutung gäbe. Wiederum pro-
testirt der Papst gegen das italienische Einheitswerk, lamentire über die Be¬
raubungen der Kirche, fordert die längstabgerissenen Provinzen zurück, erklärt
eine Aussöhnung mit Italien feierlich für eine Unmöglichkeit und läßt schließlich
seine Absicht, ins Exil zu gehen, durchblicken. Wird dadurch nicht die ganze
Disposition der italienischen Negierung, das Unvermeidliche aufs schonendste
einzuleiten, zu nichte gemacht?

Indessen, noch hat der Papst nicht sein letztes Wort gesprochen. Man
scheint in Florenz noch nicht jede Hoffnung aufgegeben zu haben, daß derselbe
den Entschluß, Rom zu verlassen, reiflich überlegen werde. Man spricht davon,
daß die persönliche Ansicht des milden Pius des Neunten, des Reformators
von 1847, insgeheim eine andere sei als die der Jesuitenpartei, die ihm die
Allocution dictirte. Man beruft sich auf einige Anzeichen, die neben und trotz
jenem theoretischen Protest den Gedanken einer Einlenkung verrathen. Am
meisten ist das Verhalten des Klerus im Venetianischen aufgefallen, der genau
in den Tagen der Allocution das Entgegenkommen der Behörden mit Kund¬
gebungen einer überströmenden Loyalität erwiederte, die selbst unter die Cen¬
suren der Allocution fielen. Es heißt, der Papst habe einen Bevollmächtigten
zur definitiven Regelung der Schuldfrage nach Paris gesandt, was allerdings
nichts Anderes wäre, als ein Eingehen in die Consequenzen des September¬
vertrags, und bereits ist die Rede von Wiederaufnahme der directen Unterhand¬
lungen zwischen Rom und Florenz. Demungeachtet muß man sich auf die Even¬
tualität gesaßt machen, daß auch in letzter Stunde die bisherigen Rathgeber,


hat im Venetianischen ein Entgegenkommen gegen den Klerus gezeigt, das der
Bevölkerung zum Anstoß gereichte. Sie hat den Bischöfen, die während des
Krieges um ihrer staatsfeindlichen Gesinnung willen von ihren Diöcesen ent¬
fernt waren, ausnahmslos die Rückkehr gestattet. Man kann sagen, sie ist bis
an die Grenze des Möglichen gegangen, um ihren Willen zu zeigen, nur in
Uebereinstimmung mit dem Papstthum zu handeln, und es ist unverkennbar, wie
sie dabei von dem Wunsche geleitet wird, endlich der lästigen Vermittelung
des französischen Hoff los zu werden und zur Lösung der rein italienischen
Frage sich mit dem Papstthum direct zu verständigen.

Aber noch in der letzten Stunde besteht der Papst unerbittlich auf seinem
Schein und verschmäht jede Transaction mit dem Königreich. Eine zweijährige
Frist war ihm gegeben, um sich nach moralischen Stützen seiner Herrschaft
umzusehen; er hat nichts gethan, sich auf die Eventualitäten der Räumung
Roms vorzubereiten, nichts, als daß er einige Fremdenbataillone warb, die
heute schon nach allen vier Winden desertiren. Noch am 29. October hält er
im Hinblick auf die bevorstehende Räumung wiederum eine jener nicht mehr
ungewöhnlichen Allocutionen, deren stereotyper Inhalt und Stil kaum beachtet
würde, wenn nicht der Zeitpunkt ihr diesmal Bedeutung gäbe. Wiederum pro-
testirt der Papst gegen das italienische Einheitswerk, lamentire über die Be¬
raubungen der Kirche, fordert die längstabgerissenen Provinzen zurück, erklärt
eine Aussöhnung mit Italien feierlich für eine Unmöglichkeit und läßt schließlich
seine Absicht, ins Exil zu gehen, durchblicken. Wird dadurch nicht die ganze
Disposition der italienischen Negierung, das Unvermeidliche aufs schonendste
einzuleiten, zu nichte gemacht?

Indessen, noch hat der Papst nicht sein letztes Wort gesprochen. Man
scheint in Florenz noch nicht jede Hoffnung aufgegeben zu haben, daß derselbe
den Entschluß, Rom zu verlassen, reiflich überlegen werde. Man spricht davon,
daß die persönliche Ansicht des milden Pius des Neunten, des Reformators
von 1847, insgeheim eine andere sei als die der Jesuitenpartei, die ihm die
Allocution dictirte. Man beruft sich auf einige Anzeichen, die neben und trotz
jenem theoretischen Protest den Gedanken einer Einlenkung verrathen. Am
meisten ist das Verhalten des Klerus im Venetianischen aufgefallen, der genau
in den Tagen der Allocution das Entgegenkommen der Behörden mit Kund¬
gebungen einer überströmenden Loyalität erwiederte, die selbst unter die Cen¬
suren der Allocution fielen. Es heißt, der Papst habe einen Bevollmächtigten
zur definitiven Regelung der Schuldfrage nach Paris gesandt, was allerdings
nichts Anderes wäre, als ein Eingehen in die Consequenzen des September¬
vertrags, und bereits ist die Rede von Wiederaufnahme der directen Unterhand¬
lungen zwischen Rom und Florenz. Demungeachtet muß man sich auf die Even¬
tualität gesaßt machen, daß auch in letzter Stunde die bisherigen Rathgeber,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_286147/394>, abgerufen am 04.07.2024.