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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band.

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seiner Fremdenlegionen, auch nur zur Aufrechthaltung der öffentlichen Sicherheit,
sich überzeugte. Ein allmäliger Verzicht auf die bürgerliche Negierung der
Provinzen wurde umso leichter, je weniger die Mittel des Kirchenstaats zu
ihrer Unterhaltung ausreichten. Auf diesem Wege näherten sich die Italiener
Roms schrittweise den Italienern der anderen Provinzen, und man sonnte es
ruhig dem Gang der Ereignisse überlassen, bis die Einheit der Interessen die
politische Einigung herbeiführte, die dann umso gewisser ohne gewaltsame Er¬
schütterung erfolgte, je mehr sie allmälig vorbereitet war, und mit der sich das
Papstthum selbst umso eher befreunden konnte, je schonender die Uebergänge zu
dem Unvermeidlichen waren, und je mehr es sich überzeugte, daß seine Ausübung
der geistlichen Gewalt von der italienschen Regierung nicht unterdrückt, sondern
vielmehr beschützt wird.

Man sieht, das Ziel war dasselbe, nur die Form verschieden. Allein das
ganze Problem ist ja heute ein Problem der Form: nicht dies ist die Frage,
ob die kirchliche Regierung über die römischen Provinzen aufhören, sondern
wie das geschehen soll ohne europäischen Skandal und ohne Erschütterung des
Königreichs Italien. Man dachte sich also die Lösung ungefähr in ähnlicher
Weise, wie man vor dem Jahr 1866 in dem Zollverein eine allmälig wirkende
Macht auch zur politischen Einigung Deutschlands erblickte. Hier hat nun frei¬
lich die energische Politik Bismarcks nachhelfen müssen, aber doch nur wegen
des Verhältnisses zu Oestreich, das, nur auf dem Wege der Gewalt geregelt
werden konnte: in Deutschland selbst hat sie ihre Berechtigung eben darin, daß
sie nur demjenigen politische Gestalt gab, was durch die Einigung der Inter¬
essen bereits zusammengefügt war.

Ohne Zweifel ist dies der Gesichtspunkt, aus welchem das Cabinet Ricasvli
noch heute den Septeinbervertrag betrachtet. Er soll die Aussöhnung mit dem
Papstthum herbeiführen, und es wird nicht die Schuld Italiens sein, wenn diese
Aussöhnung scheitert. Die Reformen in der Gesetzgebung stehen nicht im Wege;
ist die Regierung immer weiter von dem Grundsatz der freien Kirche im freien
Staat abgekommen, so war sie eben durch den Widerstand des klerikalen Ele¬
ments im Interesse der Selbsterhaltung dazu genöthigt. Auch in andern Ländern
hat das Papstthum die Aufhebung der Klöster und die Einziehung ihres Ver¬
mögens sich müssen gefallen lassen, und das Concordat, welches Vegezzi seiner
Zeit vermitteln sollte, ließ der Curie größere Rechte, als sie in manchen katho¬
lischen Ländern besitzt. Bis in die neueste Zeit hat die Regierung von der
Versöhnlichkeit ihrer Gesinnungen Beweise gegeben. Sie hat nach langwierigen
Verhandlungen die Uebernahme des auf die annectirten Provinzen entfallenden
Antheils an der römischen Staatsschuld in der lästigeren Ausdehnung zuge¬
standen, wie Frankreich sie beantragte, -- sicher nicht aus Nachgiebigkeit gegen
Frankreich, mit welchem die Beziehungen noch immer nicht die besten sind. Sie


seiner Fremdenlegionen, auch nur zur Aufrechthaltung der öffentlichen Sicherheit,
sich überzeugte. Ein allmäliger Verzicht auf die bürgerliche Negierung der
Provinzen wurde umso leichter, je weniger die Mittel des Kirchenstaats zu
ihrer Unterhaltung ausreichten. Auf diesem Wege näherten sich die Italiener
Roms schrittweise den Italienern der anderen Provinzen, und man sonnte es
ruhig dem Gang der Ereignisse überlassen, bis die Einheit der Interessen die
politische Einigung herbeiführte, die dann umso gewisser ohne gewaltsame Er¬
schütterung erfolgte, je mehr sie allmälig vorbereitet war, und mit der sich das
Papstthum selbst umso eher befreunden konnte, je schonender die Uebergänge zu
dem Unvermeidlichen waren, und je mehr es sich überzeugte, daß seine Ausübung
der geistlichen Gewalt von der italienschen Regierung nicht unterdrückt, sondern
vielmehr beschützt wird.

Man sieht, das Ziel war dasselbe, nur die Form verschieden. Allein das
ganze Problem ist ja heute ein Problem der Form: nicht dies ist die Frage,
ob die kirchliche Regierung über die römischen Provinzen aufhören, sondern
wie das geschehen soll ohne europäischen Skandal und ohne Erschütterung des
Königreichs Italien. Man dachte sich also die Lösung ungefähr in ähnlicher
Weise, wie man vor dem Jahr 1866 in dem Zollverein eine allmälig wirkende
Macht auch zur politischen Einigung Deutschlands erblickte. Hier hat nun frei¬
lich die energische Politik Bismarcks nachhelfen müssen, aber doch nur wegen
des Verhältnisses zu Oestreich, das, nur auf dem Wege der Gewalt geregelt
werden konnte: in Deutschland selbst hat sie ihre Berechtigung eben darin, daß
sie nur demjenigen politische Gestalt gab, was durch die Einigung der Inter¬
essen bereits zusammengefügt war.

Ohne Zweifel ist dies der Gesichtspunkt, aus welchem das Cabinet Ricasvli
noch heute den Septeinbervertrag betrachtet. Er soll die Aussöhnung mit dem
Papstthum herbeiführen, und es wird nicht die Schuld Italiens sein, wenn diese
Aussöhnung scheitert. Die Reformen in der Gesetzgebung stehen nicht im Wege;
ist die Regierung immer weiter von dem Grundsatz der freien Kirche im freien
Staat abgekommen, so war sie eben durch den Widerstand des klerikalen Ele¬
ments im Interesse der Selbsterhaltung dazu genöthigt. Auch in andern Ländern
hat das Papstthum die Aufhebung der Klöster und die Einziehung ihres Ver¬
mögens sich müssen gefallen lassen, und das Concordat, welches Vegezzi seiner
Zeit vermitteln sollte, ließ der Curie größere Rechte, als sie in manchen katho¬
lischen Ländern besitzt. Bis in die neueste Zeit hat die Regierung von der
Versöhnlichkeit ihrer Gesinnungen Beweise gegeben. Sie hat nach langwierigen
Verhandlungen die Uebernahme des auf die annectirten Provinzen entfallenden
Antheils an der römischen Staatsschuld in der lästigeren Ausdehnung zuge¬
standen, wie Frankreich sie beantragte, — sicher nicht aus Nachgiebigkeit gegen
Frankreich, mit welchem die Beziehungen noch immer nicht die besten sind. Sie


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[0393] seiner Fremdenlegionen, auch nur zur Aufrechthaltung der öffentlichen Sicherheit, sich überzeugte. Ein allmäliger Verzicht auf die bürgerliche Negierung der Provinzen wurde umso leichter, je weniger die Mittel des Kirchenstaats zu ihrer Unterhaltung ausreichten. Auf diesem Wege näherten sich die Italiener Roms schrittweise den Italienern der anderen Provinzen, und man sonnte es ruhig dem Gang der Ereignisse überlassen, bis die Einheit der Interessen die politische Einigung herbeiführte, die dann umso gewisser ohne gewaltsame Er¬ schütterung erfolgte, je mehr sie allmälig vorbereitet war, und mit der sich das Papstthum selbst umso eher befreunden konnte, je schonender die Uebergänge zu dem Unvermeidlichen waren, und je mehr es sich überzeugte, daß seine Ausübung der geistlichen Gewalt von der italienschen Regierung nicht unterdrückt, sondern vielmehr beschützt wird. Man sieht, das Ziel war dasselbe, nur die Form verschieden. Allein das ganze Problem ist ja heute ein Problem der Form: nicht dies ist die Frage, ob die kirchliche Regierung über die römischen Provinzen aufhören, sondern wie das geschehen soll ohne europäischen Skandal und ohne Erschütterung des Königreichs Italien. Man dachte sich also die Lösung ungefähr in ähnlicher Weise, wie man vor dem Jahr 1866 in dem Zollverein eine allmälig wirkende Macht auch zur politischen Einigung Deutschlands erblickte. Hier hat nun frei¬ lich die energische Politik Bismarcks nachhelfen müssen, aber doch nur wegen des Verhältnisses zu Oestreich, das, nur auf dem Wege der Gewalt geregelt werden konnte: in Deutschland selbst hat sie ihre Berechtigung eben darin, daß sie nur demjenigen politische Gestalt gab, was durch die Einigung der Inter¬ essen bereits zusammengefügt war. Ohne Zweifel ist dies der Gesichtspunkt, aus welchem das Cabinet Ricasvli noch heute den Septeinbervertrag betrachtet. Er soll die Aussöhnung mit dem Papstthum herbeiführen, und es wird nicht die Schuld Italiens sein, wenn diese Aussöhnung scheitert. Die Reformen in der Gesetzgebung stehen nicht im Wege; ist die Regierung immer weiter von dem Grundsatz der freien Kirche im freien Staat abgekommen, so war sie eben durch den Widerstand des klerikalen Ele¬ ments im Interesse der Selbsterhaltung dazu genöthigt. Auch in andern Ländern hat das Papstthum die Aufhebung der Klöster und die Einziehung ihres Ver¬ mögens sich müssen gefallen lassen, und das Concordat, welches Vegezzi seiner Zeit vermitteln sollte, ließ der Curie größere Rechte, als sie in manchen katho¬ lischen Ländern besitzt. Bis in die neueste Zeit hat die Regierung von der Versöhnlichkeit ihrer Gesinnungen Beweise gegeben. Sie hat nach langwierigen Verhandlungen die Uebernahme des auf die annectirten Provinzen entfallenden Antheils an der römischen Staatsschuld in der lästigeren Ausdehnung zuge¬ standen, wie Frankreich sie beantragte, — sicher nicht aus Nachgiebigkeit gegen Frankreich, mit welchem die Beziehungen noch immer nicht die besten sind. Sie

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_286147/393>, abgerufen am 04.07.2024.