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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band.

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Völliger Preisgebung des Papstes. Louis Napoleon erschiene als der Mit¬
schuldige des Betrugs; kann er zugeben, daß er in solcher Weise vor der katho¬
lischen Welt compromittirt und seine geforderten Garantien einfach mißachtet
werden? -- Auch die Absicht der italienischen Negierung kann es nicht sein,
in so brüsker Weise eine immerhin nicht verächtliche Macht zu stürzen, so lange
sie auf weit sichereren Wege unschädlich gemacht werden kann. Jener Weg würde
den völligen Bruch mit dem Papstthum bedeuten, er würde eben damit immer
die Möglichkeit einer künftigen Restauration offen lassen. Den Bruch zu ver¬
hüten, ist aber der eigentliche Zweck des Septembervertrags. Seine Urheber
gehören jener Schule an, welche das Papstthum selbst als ein nationales Institut
betrachten, dessen Erhaltung, nicht Beseitigung die Aufgabe der italienischen
Politik ist. Der Papst soll nicht vertrieben, sondern für die neue Ordnung
gewonnen werden und im Verzicht auf die weltliche Herrschaft nicht einen Ver¬
lust, sondern einen Gewinn des Papstthums erkennen; schließlich könne auch er
der Ueberzeugung sich nicht verschließen, daß wie Italien das Papstthum, so
das Papstthum Italien brauche und daß somit die Interessen beider auf eine
Verständigung angewiesen seien.

Aussöhnung zwischen Italien und dem Papstthum ist in der That der
Grundgedanke des Septembervertrags. Durch die Verlegung der Hauptstadt
sollte sie möglich, durch die Jsolirung der päpstlichen Macht sollte sie nothwendig
gemacht werden. Unter diesem Gesichtspunkt gewinnt erst der Verzicht auf die
Hauptstadt Rom seine -volle Bedeutung. So lange die definitive Constituirung
des Reichs erst auf dem Capitol erwartet wurde, mußte der Papst ein unver¬
söhnlicher Gegner sein; denn als das Haupt der katholischen Christenheit kann
er nicht in einem Unterthanenverhältniß stehen, er kann nicht in derselben
Stadt residiren, in welcher König und Parlament ihren Sitz haben. Ist aber
dieser Sitz definitiv in einem anderen Ort aufgeschlagen, Sö ist dem Papst die
Möglichkeit gegeben, zu verhandeln, es ist ihm eine anständige Stellung ge¬
sichert, auch wenn er seine weltlichen Hoheitsrechte verliert, er kann für seine
Person Souverän bleiben, auch wenn die Römer Unterthanen des Königs wer¬
den. Aber das Aufhören der weltlichen Herrschaft selbst stellte man sich in diesen
Kreisen keineswegs sofort und ohne Uebergänge erfolgend vor. Vielmehr sollte
wirklich mit dem Versuch einer selbständigen, aus eigenen Füßen stehenden Sou°
veränetät Ernst gemacht werden. Nichts sollte die ehrliche Probe stören. Aber
davon war man freilich gleichzeitig überzeugt, daß in kurzer Zeit die Macht des
nationalen Princips und die Noth der päpstlichen Kassen zu einer Annäherung
an das Königreich treiben werde. Auf dem Gebiet des Verkehrslebens konnte
der Vereinigung nichts im Wege stehen; war es doch der Papst selbst, der im
Jahre 1848 den Gedanken eines italienischen Zollvereins angeregt hatte. Eine
militärische Union folgte von selbst, sobald der Papst von der Unbrauchbarkeit


Völliger Preisgebung des Papstes. Louis Napoleon erschiene als der Mit¬
schuldige des Betrugs; kann er zugeben, daß er in solcher Weise vor der katho¬
lischen Welt compromittirt und seine geforderten Garantien einfach mißachtet
werden? — Auch die Absicht der italienischen Negierung kann es nicht sein,
in so brüsker Weise eine immerhin nicht verächtliche Macht zu stürzen, so lange
sie auf weit sichereren Wege unschädlich gemacht werden kann. Jener Weg würde
den völligen Bruch mit dem Papstthum bedeuten, er würde eben damit immer
die Möglichkeit einer künftigen Restauration offen lassen. Den Bruch zu ver¬
hüten, ist aber der eigentliche Zweck des Septembervertrags. Seine Urheber
gehören jener Schule an, welche das Papstthum selbst als ein nationales Institut
betrachten, dessen Erhaltung, nicht Beseitigung die Aufgabe der italienischen
Politik ist. Der Papst soll nicht vertrieben, sondern für die neue Ordnung
gewonnen werden und im Verzicht auf die weltliche Herrschaft nicht einen Ver¬
lust, sondern einen Gewinn des Papstthums erkennen; schließlich könne auch er
der Ueberzeugung sich nicht verschließen, daß wie Italien das Papstthum, so
das Papstthum Italien brauche und daß somit die Interessen beider auf eine
Verständigung angewiesen seien.

Aussöhnung zwischen Italien und dem Papstthum ist in der That der
Grundgedanke des Septembervertrags. Durch die Verlegung der Hauptstadt
sollte sie möglich, durch die Jsolirung der päpstlichen Macht sollte sie nothwendig
gemacht werden. Unter diesem Gesichtspunkt gewinnt erst der Verzicht auf die
Hauptstadt Rom seine -volle Bedeutung. So lange die definitive Constituirung
des Reichs erst auf dem Capitol erwartet wurde, mußte der Papst ein unver¬
söhnlicher Gegner sein; denn als das Haupt der katholischen Christenheit kann
er nicht in einem Unterthanenverhältniß stehen, er kann nicht in derselben
Stadt residiren, in welcher König und Parlament ihren Sitz haben. Ist aber
dieser Sitz definitiv in einem anderen Ort aufgeschlagen, Sö ist dem Papst die
Möglichkeit gegeben, zu verhandeln, es ist ihm eine anständige Stellung ge¬
sichert, auch wenn er seine weltlichen Hoheitsrechte verliert, er kann für seine
Person Souverän bleiben, auch wenn die Römer Unterthanen des Königs wer¬
den. Aber das Aufhören der weltlichen Herrschaft selbst stellte man sich in diesen
Kreisen keineswegs sofort und ohne Uebergänge erfolgend vor. Vielmehr sollte
wirklich mit dem Versuch einer selbständigen, aus eigenen Füßen stehenden Sou°
veränetät Ernst gemacht werden. Nichts sollte die ehrliche Probe stören. Aber
davon war man freilich gleichzeitig überzeugt, daß in kurzer Zeit die Macht des
nationalen Princips und die Noth der päpstlichen Kassen zu einer Annäherung
an das Königreich treiben werde. Auf dem Gebiet des Verkehrslebens konnte
der Vereinigung nichts im Wege stehen; war es doch der Papst selbst, der im
Jahre 1848 den Gedanken eines italienischen Zollvereins angeregt hatte. Eine
militärische Union folgte von selbst, sobald der Papst von der Unbrauchbarkeit


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[0392] Völliger Preisgebung des Papstes. Louis Napoleon erschiene als der Mit¬ schuldige des Betrugs; kann er zugeben, daß er in solcher Weise vor der katho¬ lischen Welt compromittirt und seine geforderten Garantien einfach mißachtet werden? — Auch die Absicht der italienischen Negierung kann es nicht sein, in so brüsker Weise eine immerhin nicht verächtliche Macht zu stürzen, so lange sie auf weit sichereren Wege unschädlich gemacht werden kann. Jener Weg würde den völligen Bruch mit dem Papstthum bedeuten, er würde eben damit immer die Möglichkeit einer künftigen Restauration offen lassen. Den Bruch zu ver¬ hüten, ist aber der eigentliche Zweck des Septembervertrags. Seine Urheber gehören jener Schule an, welche das Papstthum selbst als ein nationales Institut betrachten, dessen Erhaltung, nicht Beseitigung die Aufgabe der italienischen Politik ist. Der Papst soll nicht vertrieben, sondern für die neue Ordnung gewonnen werden und im Verzicht auf die weltliche Herrschaft nicht einen Ver¬ lust, sondern einen Gewinn des Papstthums erkennen; schließlich könne auch er der Ueberzeugung sich nicht verschließen, daß wie Italien das Papstthum, so das Papstthum Italien brauche und daß somit die Interessen beider auf eine Verständigung angewiesen seien. Aussöhnung zwischen Italien und dem Papstthum ist in der That der Grundgedanke des Septembervertrags. Durch die Verlegung der Hauptstadt sollte sie möglich, durch die Jsolirung der päpstlichen Macht sollte sie nothwendig gemacht werden. Unter diesem Gesichtspunkt gewinnt erst der Verzicht auf die Hauptstadt Rom seine -volle Bedeutung. So lange die definitive Constituirung des Reichs erst auf dem Capitol erwartet wurde, mußte der Papst ein unver¬ söhnlicher Gegner sein; denn als das Haupt der katholischen Christenheit kann er nicht in einem Unterthanenverhältniß stehen, er kann nicht in derselben Stadt residiren, in welcher König und Parlament ihren Sitz haben. Ist aber dieser Sitz definitiv in einem anderen Ort aufgeschlagen, Sö ist dem Papst die Möglichkeit gegeben, zu verhandeln, es ist ihm eine anständige Stellung ge¬ sichert, auch wenn er seine weltlichen Hoheitsrechte verliert, er kann für seine Person Souverän bleiben, auch wenn die Römer Unterthanen des Königs wer¬ den. Aber das Aufhören der weltlichen Herrschaft selbst stellte man sich in diesen Kreisen keineswegs sofort und ohne Uebergänge erfolgend vor. Vielmehr sollte wirklich mit dem Versuch einer selbständigen, aus eigenen Füßen stehenden Sou° veränetät Ernst gemacht werden. Nichts sollte die ehrliche Probe stören. Aber davon war man freilich gleichzeitig überzeugt, daß in kurzer Zeit die Macht des nationalen Princips und die Noth der päpstlichen Kassen zu einer Annäherung an das Königreich treiben werde. Auf dem Gebiet des Verkehrslebens konnte der Vereinigung nichts im Wege stehen; war es doch der Papst selbst, der im Jahre 1848 den Gedanken eines italienischen Zollvereins angeregt hatte. Eine militärische Union folgte von selbst, sobald der Papst von der Unbrauchbarkeit

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_286147/392>, abgerufen am 04.07.2024.