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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band.

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den guten Leuten eingeredet, in Preußen würden keine Katholiken geduldet, und
Preußen wolle das Land erobern nur zu dem Zwecke, um die Katholiken zu
zwingen, protestantisch zu werden. Vergebens legten zwei einflußreiche Mit¬
glieder unseres bischöflichen Dvmcapitels, der Domdcchant Dicht und der Dom¬
herr Rau, jener als alter eZo des Bischofs Mitglied der ersten, dieser gewählter
Abgeordneter zur zweiten nassauischen Kammer, mit aneikennenswerthem Frei-
muth in der Ständeversammlung öffentlich Zeugniß davon ab. daß in keinem
deutschen Staate sich die katholische Kirche einer Autonomie erfreut, wie sie
solche in Preußen unter dem Schutze der Verfassung genießt. Ihre Stimme
drang nicht unter die bethörte Menge. In dem Amte Montabnur hatte sich
eine Schaar Bauern mit Sensen und Dreschflegeln bewaffnet, um eine preu¬
ßische Husarenpatrouillc zu überfallen. Nur der klugen Mäßigung und der
Humanität des Führers der letzteren ist es zu verdanken, daß ein nutzloses
Gemetzel vermieden wurde, welches die verhängnißvollsten Folgen gehabt haben
würde. Die vormnls radicale "Neue Frankfurter Zeitung" aber und das hiesige
gouvernementale Organ des Exschulmeisters Becker klatschten dem tollen Unter¬
nehmen der fanatisirten Bauern Beifall und forderten zur Nachahmung auf.
In dem Amte Wallenrod flüchteten ganze Dörfer aus Angst vor den Preußen.
Sie schleppten it,r Vieh und ihre sonstige Habe in die Wälder und versteckten
sich selbst in die Höhlen. Denn sie fürchteten, ihr Vieh werde geschlachtet, und
sie selbst würden protestantisch gemacht werden, -- offenbar ein Nachklang des
verhängnißvollen: "On^'us regio Hus religiö."

Auch die Furcht, von den Preußen zwangsweise assentirt zu werden, hat
an andern Orten eine große Rolle gespielt. Die östreichisch gesinnten Blätter
und Beböldcn hatten überall diese Mähr verbreitet. Das Hessen-darmstädtische
Dorf oder Landstädtchen Gladenvach. das an der kurhessischen Grenze, nicht
weit von Marburg liegt, wurde am 29. Juni von einem Schwarm jüngerer
kurhessischer Bauern und Bauernbursche überzogen, die herbeieilten, -- theils
zu Fuß und außer Athem, theils zu Pferd, und Roß und Reiter triefend von
Schweiß. Sie verkündigten die Schreckensmähr, "der Preuß" sei im Anzug
und wolle alle Männer von 18 bis zu 40 Jahren aufheben. Es stellie sich
indeß heraus, daß von den 200 Geflüchteten keiner selbst einen Preußen gesehen
und keiner eine bestimmte Quelle für die Nachricht hatte, daß eine solche Aus¬
hebung bevorstehe, und da die ehrenwerthen Gladenbacher schon Preußen in der
Nähe beobachtet und die Meinung hatten, dieselben seien keineswegs Menschen¬
fresser, so gelang es ihnen, ihre aufgeregten Gäste dermaßen zu beruhigen, daß
diese Tapfern beschämt unter dem Schutze der Nacht in ihre Heimath zurück-
kehrten, zur größten Satisfaction ihrer respectiven Väter. Kinder, Mütter.
Bräute u. s. w., die sie ungern vermißten. Die Neue Frankfurter Zeitung,
von welcher die schon erwähnte vortreffliche Bayrische Wochenschrift sagt, "daß


den guten Leuten eingeredet, in Preußen würden keine Katholiken geduldet, und
Preußen wolle das Land erobern nur zu dem Zwecke, um die Katholiken zu
zwingen, protestantisch zu werden. Vergebens legten zwei einflußreiche Mit¬
glieder unseres bischöflichen Dvmcapitels, der Domdcchant Dicht und der Dom¬
herr Rau, jener als alter eZo des Bischofs Mitglied der ersten, dieser gewählter
Abgeordneter zur zweiten nassauischen Kammer, mit aneikennenswerthem Frei-
muth in der Ständeversammlung öffentlich Zeugniß davon ab. daß in keinem
deutschen Staate sich die katholische Kirche einer Autonomie erfreut, wie sie
solche in Preußen unter dem Schutze der Verfassung genießt. Ihre Stimme
drang nicht unter die bethörte Menge. In dem Amte Montabnur hatte sich
eine Schaar Bauern mit Sensen und Dreschflegeln bewaffnet, um eine preu¬
ßische Husarenpatrouillc zu überfallen. Nur der klugen Mäßigung und der
Humanität des Führers der letzteren ist es zu verdanken, daß ein nutzloses
Gemetzel vermieden wurde, welches die verhängnißvollsten Folgen gehabt haben
würde. Die vormnls radicale „Neue Frankfurter Zeitung" aber und das hiesige
gouvernementale Organ des Exschulmeisters Becker klatschten dem tollen Unter¬
nehmen der fanatisirten Bauern Beifall und forderten zur Nachahmung auf.
In dem Amte Wallenrod flüchteten ganze Dörfer aus Angst vor den Preußen.
Sie schleppten it,r Vieh und ihre sonstige Habe in die Wälder und versteckten
sich selbst in die Höhlen. Denn sie fürchteten, ihr Vieh werde geschlachtet, und
sie selbst würden protestantisch gemacht werden, — offenbar ein Nachklang des
verhängnißvollen: „On^'us regio Hus religiö."

Auch die Furcht, von den Preußen zwangsweise assentirt zu werden, hat
an andern Orten eine große Rolle gespielt. Die östreichisch gesinnten Blätter
und Beböldcn hatten überall diese Mähr verbreitet. Das Hessen-darmstädtische
Dorf oder Landstädtchen Gladenvach. das an der kurhessischen Grenze, nicht
weit von Marburg liegt, wurde am 29. Juni von einem Schwarm jüngerer
kurhessischer Bauern und Bauernbursche überzogen, die herbeieilten, — theils
zu Fuß und außer Athem, theils zu Pferd, und Roß und Reiter triefend von
Schweiß. Sie verkündigten die Schreckensmähr, „der Preuß" sei im Anzug
und wolle alle Männer von 18 bis zu 40 Jahren aufheben. Es stellie sich
indeß heraus, daß von den 200 Geflüchteten keiner selbst einen Preußen gesehen
und keiner eine bestimmte Quelle für die Nachricht hatte, daß eine solche Aus¬
hebung bevorstehe, und da die ehrenwerthen Gladenbacher schon Preußen in der
Nähe beobachtet und die Meinung hatten, dieselben seien keineswegs Menschen¬
fresser, so gelang es ihnen, ihre aufgeregten Gäste dermaßen zu beruhigen, daß
diese Tapfern beschämt unter dem Schutze der Nacht in ihre Heimath zurück-
kehrten, zur größten Satisfaction ihrer respectiven Väter. Kinder, Mütter.
Bräute u. s. w., die sie ungern vermißten. Die Neue Frankfurter Zeitung,
von welcher die schon erwähnte vortreffliche Bayrische Wochenschrift sagt, „daß


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_286147/39>, abgerufen am 30.06.2024.