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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band.

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hängt sie, schlagt sie todt!" So bläst die Schaar der schwarzen Jäger da§
"Halali" frisch auf zum fröhlichen Jagen. Zeitweise, namentlich so lange die
falschen Botschaften über östreichische Siege in den frankfurter Blättern graffirten.
geschah das nicht ohne großen Erfolg und das "Lreäo, guier ad8uräum est"
hatte volle Geltung. Sehr natürlich. Infolge des obligatorischen Schulunter¬
richts kann hier zu Lande jedermann lesen. Daß auch jedermann denken
könne, läßt sich keineswegs mit derselben Bestimmtheit behaupten. Nun denke
man sich in dieser stürmischen Zeit die aufgeregte Menge, gefoltert von Unruhe
und Neugierde. Unbekannte oder bekannte Wohlthäter stecken ihr die frank¬
furter Wurstblättchen und Brandschristen zu Tausenden in die Hände. Natür¬
lich werden dieselben gelesen. Darin steht, wie die Preußen überall die Männer
sofort in die Armee einreihen, mit den Frauen noch etwas übeler umspringen,
die Kinder zum Frühstück, die Rinder zu Mittag, die Pferde'zu Nacht speisen.
Korn und Kartoffeln und was sonst nicht niet-, nagel-, wand-, band- und mauer-
fest ist, mitnehmen und alles, was sie nicht mitnehmen können, zerstören. Ob¬
gleich auch unsere Bauern das sinnreiche Sprüchwort kennen: "Er lügt, wie
gedruckt", so sind sie doch allzu sehr geneigt, alles Gedruckte zu glauben, nament¬
lich wenn es ihnen der "Hochwürdige", der "Herr Pastor", der "geistliche Herr"
in die Hand drückt, und wenn es an allem Widerspruch gebricht. Und dieser
fehlte. Denn die Liberalen hatten sich leider zum großen Theil einschüchtern
lassen und auch ihre Presse wagte kaum noch, frisch von der Leber weg zu
sprechen. Was Nassau anlangt, so verdient sie Entschuldigung. Denn die
Regierung hat hier, unter Berufung auf den Bundesbeschluß von 18S4, welcher
indeß bei weitem nicht so weit geht, im Taumel der Reaction gegen den
Willen und unter lebhaftem, jedoch erfolglosen Proteste der Landstände ein
gegenwärtig noch bestehendes Preßgcset; erlassen, welches ihr die Befugniß giebt,
nach ihrem bon Mihir jedes Blatt zu jeder Zeit ohne Urtheil und Recht
durch eine Ordonnanz der Verwaltungsbehörde todtzuschlagen; und sie hat von
dieser mehr als discretionärcn Gewalt in der Vergangenheit während der fried¬
fertigsten Zeiten einen so indiscreten Gebrauch gemacht, daß man wohl weih,
wessen man sich von ihr zu versehen hat, namentlich in Kriegszeiten, wo man
stets Waidsprüchlcin, wie "L-uns pudlieg, supi'vena!"zx esto!", "Indor en-eng.
silönt IgMs" u. f. w. in Bereitschaft hat.

' Infolge jener Agitation war zeitweise und ist wohl noch in einzelnen Ge¬
genden, namentlich in den vormals kurtricrschcn und lurmainzischen Landes¬
theilen, in welchen man noch vielfach an die Zustände des heutigen römischen
Kirchenstaats erinnernde Spuren der antisvcialen und antistaatlichen Herrschaft
des geistlichen Krummstabes findet, und wo der Klerus die öffentliche Meinung
der ungebildeten Menge beherrscht, die Stimmung aus den Gipfel des Preußen-
Hasses, der sich theils in Furcht, theils in Wuth offenbart. Vor allem hat man


hängt sie, schlagt sie todt!" So bläst die Schaar der schwarzen Jäger da§
„Halali" frisch auf zum fröhlichen Jagen. Zeitweise, namentlich so lange die
falschen Botschaften über östreichische Siege in den frankfurter Blättern graffirten.
geschah das nicht ohne großen Erfolg und das „Lreäo, guier ad8uräum est"
hatte volle Geltung. Sehr natürlich. Infolge des obligatorischen Schulunter¬
richts kann hier zu Lande jedermann lesen. Daß auch jedermann denken
könne, läßt sich keineswegs mit derselben Bestimmtheit behaupten. Nun denke
man sich in dieser stürmischen Zeit die aufgeregte Menge, gefoltert von Unruhe
und Neugierde. Unbekannte oder bekannte Wohlthäter stecken ihr die frank¬
furter Wurstblättchen und Brandschristen zu Tausenden in die Hände. Natür¬
lich werden dieselben gelesen. Darin steht, wie die Preußen überall die Männer
sofort in die Armee einreihen, mit den Frauen noch etwas übeler umspringen,
die Kinder zum Frühstück, die Rinder zu Mittag, die Pferde'zu Nacht speisen.
Korn und Kartoffeln und was sonst nicht niet-, nagel-, wand-, band- und mauer-
fest ist, mitnehmen und alles, was sie nicht mitnehmen können, zerstören. Ob¬
gleich auch unsere Bauern das sinnreiche Sprüchwort kennen: „Er lügt, wie
gedruckt", so sind sie doch allzu sehr geneigt, alles Gedruckte zu glauben, nament¬
lich wenn es ihnen der „Hochwürdige", der „Herr Pastor", der „geistliche Herr"
in die Hand drückt, und wenn es an allem Widerspruch gebricht. Und dieser
fehlte. Denn die Liberalen hatten sich leider zum großen Theil einschüchtern
lassen und auch ihre Presse wagte kaum noch, frisch von der Leber weg zu
sprechen. Was Nassau anlangt, so verdient sie Entschuldigung. Denn die
Regierung hat hier, unter Berufung auf den Bundesbeschluß von 18S4, welcher
indeß bei weitem nicht so weit geht, im Taumel der Reaction gegen den
Willen und unter lebhaftem, jedoch erfolglosen Proteste der Landstände ein
gegenwärtig noch bestehendes Preßgcset; erlassen, welches ihr die Befugniß giebt,
nach ihrem bon Mihir jedes Blatt zu jeder Zeit ohne Urtheil und Recht
durch eine Ordonnanz der Verwaltungsbehörde todtzuschlagen; und sie hat von
dieser mehr als discretionärcn Gewalt in der Vergangenheit während der fried¬
fertigsten Zeiten einen so indiscreten Gebrauch gemacht, daß man wohl weih,
wessen man sich von ihr zu versehen hat, namentlich in Kriegszeiten, wo man
stets Waidsprüchlcin, wie „L-uns pudlieg, supi'vena!«zx esto!", „Indor en-eng.
silönt IgMs" u. f. w. in Bereitschaft hat.

' Infolge jener Agitation war zeitweise und ist wohl noch in einzelnen Ge¬
genden, namentlich in den vormals kurtricrschcn und lurmainzischen Landes¬
theilen, in welchen man noch vielfach an die Zustände des heutigen römischen
Kirchenstaats erinnernde Spuren der antisvcialen und antistaatlichen Herrschaft
des geistlichen Krummstabes findet, und wo der Klerus die öffentliche Meinung
der ungebildeten Menge beherrscht, die Stimmung aus den Gipfel des Preußen-
Hasses, der sich theils in Furcht, theils in Wuth offenbart. Vor allem hat man


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_286147/38>, abgerufen am 30.06.2024.