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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band.

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zweifelhaft; er hat sofort sein Entlassungsgesuch nach Stuttgart gesandt. Seinen
Freunden liegt der Wunsch nahe, ihm so rasch als möglich einen ehrenvollen
Eintritt an einer andern Universität zu schaffen.

Wir fragen bei diesem Zorn der Negierung gegen preußisch Gesinnte,
wohin ist preußischer Einfluß wenige Monate nach der Schlacht bei Königs-
grätz gekommen? Und wir suchen uns zu erinnern, ob die süddeutschen
Staaten oder Preußen die Friedensverträge von Berlin dictirt haben. So
weit unsere Kenntniß früherer Fälle reicht, ist doch die Folge eines sieg¬
reichen Krieges immer gewesen, daß die Negierung des besiegten Staates sich
der neuen Ordnung der Dinge mit gutem Anstand fügte. Es ist deshalb das
erste Bestreben des Siegers gewesen, den nöthigen Personenwechsel in den
Staaten hervorzubringen, mit denen ein Vertrag abzuschließen war, und sich
eine gewisse wohlgeneigte Gesinnung für Erfüllung des neuen Vertrages und
aufrichtigen politischen Verkehr zu sichern. Dies ist der erste und beste Ge¬
winn jedes siegreichen Kampfes. Aber in Hessen-Darmstadt, in Würtemberg
und Bayern hat grade das Gegentheil stattgefunden. Die alten Menschen sind
geblieben, der Haß ist concentrirter, die militärischen Erfolge der Norddeutschen
sind grade groß genug gewesen, den localen Stolz der Bevölkerung zu verletzen,
nicht groß genug, um auf die Dauer Furcht zu erregen.

Zur Zeit äußert sich der Widerstand der süddeutschen Regierungen nur in
harten Maßregeln gegen Privatpersonen und in den Nadelstichen ihrer Presse,
aber man darf innig überzeugt sein, daß dort alles, was Preußen schädigen
kann, willkommen ist, jede politische Combination und jedes Bündniß. Man l
weiß in Süddeutschland sehr gut, daß ein neuer Krieg in Deutschland nicht !
zwischen Preußen und Oestreich verlaufen wird, sondern unter dem Zwange !
großer europäischer Allianzen; und man fühlt sich trotz staatlicher Ohnmacht !
sehr behaglich, ja freier und sicherer als seit vielen Jahren. Grade die politische >
Selbständigkeit ist dort ein Gewinn des Jahres 1866, die Dauer der Süd- !
Staaten ist fortan ein großes europäisches Interesse, welches Oestreich, Frankreich !
und Rußland gemeinsam haben. Zwar Herr v. Dalwigk ist durch die preußische
Umarmung genirt, aber Würtemberg und Bayern sind durch den nikolsburger
Frieden aus Bundesstaaten zu freien europäischen Reichen befördert, deren !
politische Ohnmacht ihnen selbst, wie die Dinge liegen, ihr bester Schutz
dünkt.

Dennoch irren diese Regierungen, wenn sie glauben, daß die Gro߬
mächte auch ihre Unarten und den feindseligen Trotz haßvoller Beamten gegen¬
über einem ernsten Auftreten Preußens schützen werden. Es ist aber hohe
Zeit, daß die Langmuth Preußens gegen seine deutschen Nachbarn und Vertrags¬
genossen, eine Langmuth, welche wir nach den Siegen dieses Jahres nur ungern
Schwäche nennen, mit entschiedenem Fordern vertauscht werde.


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zweifelhaft; er hat sofort sein Entlassungsgesuch nach Stuttgart gesandt. Seinen
Freunden liegt der Wunsch nahe, ihm so rasch als möglich einen ehrenvollen
Eintritt an einer andern Universität zu schaffen.

Wir fragen bei diesem Zorn der Negierung gegen preußisch Gesinnte,
wohin ist preußischer Einfluß wenige Monate nach der Schlacht bei Königs-
grätz gekommen? Und wir suchen uns zu erinnern, ob die süddeutschen
Staaten oder Preußen die Friedensverträge von Berlin dictirt haben. So
weit unsere Kenntniß früherer Fälle reicht, ist doch die Folge eines sieg¬
reichen Krieges immer gewesen, daß die Negierung des besiegten Staates sich
der neuen Ordnung der Dinge mit gutem Anstand fügte. Es ist deshalb das
erste Bestreben des Siegers gewesen, den nöthigen Personenwechsel in den
Staaten hervorzubringen, mit denen ein Vertrag abzuschließen war, und sich
eine gewisse wohlgeneigte Gesinnung für Erfüllung des neuen Vertrages und
aufrichtigen politischen Verkehr zu sichern. Dies ist der erste und beste Ge¬
winn jedes siegreichen Kampfes. Aber in Hessen-Darmstadt, in Würtemberg
und Bayern hat grade das Gegentheil stattgefunden. Die alten Menschen sind
geblieben, der Haß ist concentrirter, die militärischen Erfolge der Norddeutschen
sind grade groß genug gewesen, den localen Stolz der Bevölkerung zu verletzen,
nicht groß genug, um auf die Dauer Furcht zu erregen.

Zur Zeit äußert sich der Widerstand der süddeutschen Regierungen nur in
harten Maßregeln gegen Privatpersonen und in den Nadelstichen ihrer Presse,
aber man darf innig überzeugt sein, daß dort alles, was Preußen schädigen
kann, willkommen ist, jede politische Combination und jedes Bündniß. Man l
weiß in Süddeutschland sehr gut, daß ein neuer Krieg in Deutschland nicht !
zwischen Preußen und Oestreich verlaufen wird, sondern unter dem Zwange !
großer europäischer Allianzen; und man fühlt sich trotz staatlicher Ohnmacht !
sehr behaglich, ja freier und sicherer als seit vielen Jahren. Grade die politische >
Selbständigkeit ist dort ein Gewinn des Jahres 1866, die Dauer der Süd- !
Staaten ist fortan ein großes europäisches Interesse, welches Oestreich, Frankreich !
und Rußland gemeinsam haben. Zwar Herr v. Dalwigk ist durch die preußische
Umarmung genirt, aber Würtemberg und Bayern sind durch den nikolsburger
Frieden aus Bundesstaaten zu freien europäischen Reichen befördert, deren !
politische Ohnmacht ihnen selbst, wie die Dinge liegen, ihr bester Schutz
dünkt.

Dennoch irren diese Regierungen, wenn sie glauben, daß die Gro߬
mächte auch ihre Unarten und den feindseligen Trotz haßvoller Beamten gegen¬
über einem ernsten Auftreten Preußens schützen werden. Es ist aber hohe
Zeit, daß die Langmuth Preußens gegen seine deutschen Nachbarn und Vertrags¬
genossen, eine Langmuth, welche wir nach den Siegen dieses Jahres nur ungern
Schwäche nennen, mit entschiedenem Fordern vertauscht werde.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_286147/381>, abgerufen am 02.07.2024.