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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band.

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Die Verhandlungen im Senat der Universität entziehen sich der Oeffent-
lichkeit. nur was davon extra muros bekannt geworden, bin ich im Stande
mitzutheilen. Dem Vernehmen nach war Referent im Senat Hugo v. Mohl,
der Botaniker, ein geborner Würtenberger von entschieden großdeutscher Ge¬
sinnung, aber ein durchaus selbständiger Charakter. Sein Referat soll meister¬
haft und geistvoll gewesen sein. Er mißbilligte die Abfassung und Publication
des Aufsatzes sehr entschieden, hielt aber Paulis sonstige Wirksamkeit in wahr¬
hafter Schilderung dagegen; es handle sich hier lediglich um eine einmalige
leidenschaftliche Überschreitung, vom Verfasser selber als solche anerkannt, und
genügend erklärt" durch die Zeitverhältnisse. Auf Paulis Lehrkraft fernerhin zu
verzichten liege gar kein Grund vor. -- Diese Ausfassung, die einzige, einer großen
akademischen Körperschaft würdige, wurde wie verlautet nach längerer Debatte
angenommen. Wir nehmen an, daß zu diesem Senatsbeschluß, welcher die
Sache niederzuschlagen forderte, auch andere verständige Rücksichten beigetragen
haben, ein vorsichtiger Blick auf sonstige Universitätsmaßregelungen -- schon
jetzt hat das falsche Vorgehen des Ministerium? der Schrift erst die Wichtigkeit
beigelegt -- dann ein Hinblick auf das überall hervortretende Bestreben, die
Ausschreitungen der jüngsten Vergangenheit zu vergessen. Will denn Würtem-
berg allein hinter Preußen, Oestreich, Italien zurückstehen? --

Allerdings ist dieser Beschluß sehr wenig im Sinn des Ministeriums. Das
Cultusministerium ist mit sehr groben Verwarnungen gegen Geistliche vor¬
gegangen, von denen einer gesagt hatte, er könne nicht außer Augen lassen, daß
der Staat des protestantischen Geistes und Fortschritts nicht Oestreich, sondern
Preußen sei, während der andre darauf aufmerksam gemacht hatte, daß auch die
Preußen bona, nah handelten und von der Rechtmäßigkeit ihres Standpunktes
überzeugt wären. Ein mystisch-muckerischer Professor B. dagegen, der auf der
Kanzel ganz unzweideutig Preußen und seinen König mit der Hölle und Lucifer
vergleicht und im Colleg ähnlich sprechen soll, geht ruhig- einher.

Am 18. November, einem Sonntage, fand in dieser Angelegenheit eine
außerordentliche Sitzung des königl. geheimen Rathes statt, unter Theilnahme
aller Minister, dort wurde Strafversetzung des Professor Pauli beschlossen, am
20. Abends, brachte der Staatsanzeiger unter Datum des 21. die Versetzung
des Dr. Pauli an das niedere Seminar zu Schönthal, unter Vorbehalt
seines Rangs und Gehalts, als amtliche Anzeige. Man hat die möglichst ver¬
letzende Form gewählt, die Nachricht mit ungewöhnlicher Schleunigkcit durch den
Staatsanzeiger verbreiten zu lassen, ehe noch Pauli selbst das betreffende Decret
erhalten hat. Eine solche Versetzung, wenn Rang und Gehalt belassen wird, ist
nach der hiesigen Verfassung dem Ministerium ohne Weiteres freigestellt, wie sie
in den analogen Fällen von R. Mohl und Reyscher früher vorgenommen worden
ist. Daß Pauli auf eine solche Versetzung nicht eingehen konnte, war nicht


Die Verhandlungen im Senat der Universität entziehen sich der Oeffent-
lichkeit. nur was davon extra muros bekannt geworden, bin ich im Stande
mitzutheilen. Dem Vernehmen nach war Referent im Senat Hugo v. Mohl,
der Botaniker, ein geborner Würtenberger von entschieden großdeutscher Ge¬
sinnung, aber ein durchaus selbständiger Charakter. Sein Referat soll meister¬
haft und geistvoll gewesen sein. Er mißbilligte die Abfassung und Publication
des Aufsatzes sehr entschieden, hielt aber Paulis sonstige Wirksamkeit in wahr¬
hafter Schilderung dagegen; es handle sich hier lediglich um eine einmalige
leidenschaftliche Überschreitung, vom Verfasser selber als solche anerkannt, und
genügend erklärt" durch die Zeitverhältnisse. Auf Paulis Lehrkraft fernerhin zu
verzichten liege gar kein Grund vor. — Diese Ausfassung, die einzige, einer großen
akademischen Körperschaft würdige, wurde wie verlautet nach längerer Debatte
angenommen. Wir nehmen an, daß zu diesem Senatsbeschluß, welcher die
Sache niederzuschlagen forderte, auch andere verständige Rücksichten beigetragen
haben, ein vorsichtiger Blick auf sonstige Universitätsmaßregelungen — schon
jetzt hat das falsche Vorgehen des Ministerium? der Schrift erst die Wichtigkeit
beigelegt — dann ein Hinblick auf das überall hervortretende Bestreben, die
Ausschreitungen der jüngsten Vergangenheit zu vergessen. Will denn Würtem-
berg allein hinter Preußen, Oestreich, Italien zurückstehen? —

Allerdings ist dieser Beschluß sehr wenig im Sinn des Ministeriums. Das
Cultusministerium ist mit sehr groben Verwarnungen gegen Geistliche vor¬
gegangen, von denen einer gesagt hatte, er könne nicht außer Augen lassen, daß
der Staat des protestantischen Geistes und Fortschritts nicht Oestreich, sondern
Preußen sei, während der andre darauf aufmerksam gemacht hatte, daß auch die
Preußen bona, nah handelten und von der Rechtmäßigkeit ihres Standpunktes
überzeugt wären. Ein mystisch-muckerischer Professor B. dagegen, der auf der
Kanzel ganz unzweideutig Preußen und seinen König mit der Hölle und Lucifer
vergleicht und im Colleg ähnlich sprechen soll, geht ruhig- einher.

Am 18. November, einem Sonntage, fand in dieser Angelegenheit eine
außerordentliche Sitzung des königl. geheimen Rathes statt, unter Theilnahme
aller Minister, dort wurde Strafversetzung des Professor Pauli beschlossen, am
20. Abends, brachte der Staatsanzeiger unter Datum des 21. die Versetzung
des Dr. Pauli an das niedere Seminar zu Schönthal, unter Vorbehalt
seines Rangs und Gehalts, als amtliche Anzeige. Man hat die möglichst ver¬
letzende Form gewählt, die Nachricht mit ungewöhnlicher Schleunigkcit durch den
Staatsanzeiger verbreiten zu lassen, ehe noch Pauli selbst das betreffende Decret
erhalten hat. Eine solche Versetzung, wenn Rang und Gehalt belassen wird, ist
nach der hiesigen Verfassung dem Ministerium ohne Weiteres freigestellt, wie sie
in den analogen Fällen von R. Mohl und Reyscher früher vorgenommen worden
ist. Daß Pauli auf eine solche Versetzung nicht eingehen konnte, war nicht


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_286147/380>, abgerufen am 04.07.2024.