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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band.

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Darauf verlangte Golther am 31. October, ehe von Seiten der Negierung
eine Verfügung getroffen würde, vom akademischen Senat eine gutachtliche
Aeußerung, "ob ein akademischer Lehrer, welcher derartige Angriffe gegen das
Staatsoberhaupt, die Regierung und das Volt von Würtemberg sich erlaubt
hat, noch als geeignet betrachtet werden könne, sein Lehramt an der Landes-
Universität zu bekleiden". Sie müssen wissen, daß hier verfassungsmäßig die
Regierung das Recht hat, jede" Beamten unter Belassung gleichen Ranges und
Gehaltet ohne weiteres zu versetzen; daß zur Absetzung eines akademischen
Lehrers eine vorgängige Disciplinaruntersuchung von Seiten des akademischen
Senats und ein entsprechender Antrag desselben erforderlich ist. Letzteren Weg
beschütt Golther nicht, in der richtigen Ueberzeugung, einen entsprechenden An¬
trag vom Senat nicht extradiren zu können; die gutachtliche Aeußerung sollte
einer etwaigen Versetzung oder dergleichen das Odium abnehmen. Der Zweck
ward dann doch erreicht, denn daß Pauli sich nicht an ein Seminar, ans Poly¬
technikum oder -- schöne Ironie! -- in den Obcrstudienrath versetzen ließ,
sondern in solchem Falle um seinen Abschied einkam, war klar. -- Inzwischen
lieferte der allmächtige "Beobachter" in zwei Leitartikeln einen Auszug aus der
"Epistel Pauli", nicht ohne einige bcobachterliche Chikanen; z, B. ward das dem
König gegebene, unverfängliche Prädicat "gutmüthig, wohlwollend, aber schwach"
in "guten., wohlw., aber--" verwandelt.

Zur Beurtheilung des Verhältnisses zwischen dem Minister Golther und
dem Beobachter einen kleinen Zug im Vorbeigehen. Golther veranstaltet all¬
winterlich Vorlesungen in Stuttgart ohne jegliches Ent>6e, wo sich denn ein
wundersames Publikum zusammenfindet. Den Reporters waren in diesem Jahre
eigene Sitze reservirt, zu denen es besondrer Karten bedürfte, welche man auf
dem Ministerium sich nur zu holen brauchte. Das war gewiß zuvorkom¬
mend genug. Statt dessen schimpft der Beobachter in einem maßlosen Artikel
über diesen neuen Beweis unerträglicher Bureaukratie; ein freier königlich wür-
tembergischer Föderativrepublikaner könne sich dem nicht beugen, er -- Karl
Mayer -- lasse keine Karte holen, werde also auch keine Berichte liefern, was
dem Ministerium unangenehm genug sein werde. Nachschrift. Soeben schicke
das Ministerium die fragliche Karte, da der Beobachter wohl vergessen habe
dieselbe holen zu lassen; trotzdem wolle man den obigen Artikel zur Warnung
doch lieber stehen lassen. -- Hübsch für beide Betroffenen.

Jene Beobachterartikel über Pauli machten nun dessen Aufsatz im ganzen
Lande bekannt, erregten freilich viel Aerger bei den beleidigten Schwaben,
machten dieselben aber auch mit der Beurtheilung des Ministeriums bekannt.
Ob das wirklich klug war? Der Beobachter selbst motivirte seine Publication
damit, vom akademischen Senat dürfe man sich gerechter Justiz nicht versehen,
deshalb wolle er eintreten.


Grenzboten IV- l8se>. 45

Darauf verlangte Golther am 31. October, ehe von Seiten der Negierung
eine Verfügung getroffen würde, vom akademischen Senat eine gutachtliche
Aeußerung, „ob ein akademischer Lehrer, welcher derartige Angriffe gegen das
Staatsoberhaupt, die Regierung und das Volt von Würtemberg sich erlaubt
hat, noch als geeignet betrachtet werden könne, sein Lehramt an der Landes-
Universität zu bekleiden". Sie müssen wissen, daß hier verfassungsmäßig die
Regierung das Recht hat, jede» Beamten unter Belassung gleichen Ranges und
Gehaltet ohne weiteres zu versetzen; daß zur Absetzung eines akademischen
Lehrers eine vorgängige Disciplinaruntersuchung von Seiten des akademischen
Senats und ein entsprechender Antrag desselben erforderlich ist. Letzteren Weg
beschütt Golther nicht, in der richtigen Ueberzeugung, einen entsprechenden An¬
trag vom Senat nicht extradiren zu können; die gutachtliche Aeußerung sollte
einer etwaigen Versetzung oder dergleichen das Odium abnehmen. Der Zweck
ward dann doch erreicht, denn daß Pauli sich nicht an ein Seminar, ans Poly¬
technikum oder — schöne Ironie! — in den Obcrstudienrath versetzen ließ,
sondern in solchem Falle um seinen Abschied einkam, war klar. — Inzwischen
lieferte der allmächtige „Beobachter" in zwei Leitartikeln einen Auszug aus der
„Epistel Pauli", nicht ohne einige bcobachterliche Chikanen; z, B. ward das dem
König gegebene, unverfängliche Prädicat „gutmüthig, wohlwollend, aber schwach"
in „guten., wohlw., aber--" verwandelt.

Zur Beurtheilung des Verhältnisses zwischen dem Minister Golther und
dem Beobachter einen kleinen Zug im Vorbeigehen. Golther veranstaltet all¬
winterlich Vorlesungen in Stuttgart ohne jegliches Ent>6e, wo sich denn ein
wundersames Publikum zusammenfindet. Den Reporters waren in diesem Jahre
eigene Sitze reservirt, zu denen es besondrer Karten bedürfte, welche man auf
dem Ministerium sich nur zu holen brauchte. Das war gewiß zuvorkom¬
mend genug. Statt dessen schimpft der Beobachter in einem maßlosen Artikel
über diesen neuen Beweis unerträglicher Bureaukratie; ein freier königlich wür-
tembergischer Föderativrepublikaner könne sich dem nicht beugen, er — Karl
Mayer — lasse keine Karte holen, werde also auch keine Berichte liefern, was
dem Ministerium unangenehm genug sein werde. Nachschrift. Soeben schicke
das Ministerium die fragliche Karte, da der Beobachter wohl vergessen habe
dieselbe holen zu lassen; trotzdem wolle man den obigen Artikel zur Warnung
doch lieber stehen lassen. — Hübsch für beide Betroffenen.

Jene Beobachterartikel über Pauli machten nun dessen Aufsatz im ganzen
Lande bekannt, erregten freilich viel Aerger bei den beleidigten Schwaben,
machten dieselben aber auch mit der Beurtheilung des Ministeriums bekannt.
Ob das wirklich klug war? Der Beobachter selbst motivirte seine Publication
damit, vom akademischen Senat dürfe man sich gerechter Justiz nicht versehen,
deshalb wolle er eintreten.


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[0379] Darauf verlangte Golther am 31. October, ehe von Seiten der Negierung eine Verfügung getroffen würde, vom akademischen Senat eine gutachtliche Aeußerung, „ob ein akademischer Lehrer, welcher derartige Angriffe gegen das Staatsoberhaupt, die Regierung und das Volt von Würtemberg sich erlaubt hat, noch als geeignet betrachtet werden könne, sein Lehramt an der Landes- Universität zu bekleiden". Sie müssen wissen, daß hier verfassungsmäßig die Regierung das Recht hat, jede» Beamten unter Belassung gleichen Ranges und Gehaltet ohne weiteres zu versetzen; daß zur Absetzung eines akademischen Lehrers eine vorgängige Disciplinaruntersuchung von Seiten des akademischen Senats und ein entsprechender Antrag desselben erforderlich ist. Letzteren Weg beschütt Golther nicht, in der richtigen Ueberzeugung, einen entsprechenden An¬ trag vom Senat nicht extradiren zu können; die gutachtliche Aeußerung sollte einer etwaigen Versetzung oder dergleichen das Odium abnehmen. Der Zweck ward dann doch erreicht, denn daß Pauli sich nicht an ein Seminar, ans Poly¬ technikum oder — schöne Ironie! — in den Obcrstudienrath versetzen ließ, sondern in solchem Falle um seinen Abschied einkam, war klar. — Inzwischen lieferte der allmächtige „Beobachter" in zwei Leitartikeln einen Auszug aus der „Epistel Pauli", nicht ohne einige bcobachterliche Chikanen; z, B. ward das dem König gegebene, unverfängliche Prädicat „gutmüthig, wohlwollend, aber schwach" in „guten., wohlw., aber--" verwandelt. Zur Beurtheilung des Verhältnisses zwischen dem Minister Golther und dem Beobachter einen kleinen Zug im Vorbeigehen. Golther veranstaltet all¬ winterlich Vorlesungen in Stuttgart ohne jegliches Ent>6e, wo sich denn ein wundersames Publikum zusammenfindet. Den Reporters waren in diesem Jahre eigene Sitze reservirt, zu denen es besondrer Karten bedürfte, welche man auf dem Ministerium sich nur zu holen brauchte. Das war gewiß zuvorkom¬ mend genug. Statt dessen schimpft der Beobachter in einem maßlosen Artikel über diesen neuen Beweis unerträglicher Bureaukratie; ein freier königlich wür- tembergischer Föderativrepublikaner könne sich dem nicht beugen, er — Karl Mayer — lasse keine Karte holen, werde also auch keine Berichte liefern, was dem Ministerium unangenehm genug sein werde. Nachschrift. Soeben schicke das Ministerium die fragliche Karte, da der Beobachter wohl vergessen habe dieselbe holen zu lassen; trotzdem wolle man den obigen Artikel zur Warnung doch lieber stehen lassen. — Hübsch für beide Betroffenen. Jene Beobachterartikel über Pauli machten nun dessen Aufsatz im ganzen Lande bekannt, erregten freilich viel Aerger bei den beleidigten Schwaben, machten dieselben aber auch mit der Beurtheilung des Ministeriums bekannt. Ob das wirklich klug war? Der Beobachter selbst motivirte seine Publication damit, vom akademischen Senat dürfe man sich gerechter Justiz nicht versehen, deshalb wolle er eintreten. Grenzboten IV- l8se>. 45

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_286147/379>, abgerufen am 02.07.2024.