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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band.

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Sabbath. der sich besonders in der Presse sehr widerlich abspiegelte. Der "Post-
zeitung". einem konservativen Blatt, das von jeher zu Oestreich hinneigte, ge¬
bührt die in Anbetracht des örtlichen Standes und der Stimmung in Frankfurt
hoch zu veranschlagende Anerkennung, sich -- einige Denunciationen gegen die
Majorität der nassauischen Kammer und deren Führer abgerechnet, welche wohl
dem hiesigen offiziösen Korrespondenten zur Last fallen -- gleichgeblieben zu
sein und die Würde der anständigen Presse in Form und Inhalt gewahrt zu
haben. Die übrigen Blätter wetteiferten mit einander in kriegerischer Berserker-
Wuth, Ungebühr und Verunglimpfung Andersdenkender; namentlich schimpften
sie die süddeutschen Abgeordneten, welche dem liberalen und nationalen Gedanken
treu geblieben waren, grade deshalb mit jenem wüthigen Eifer, welcher das
charakteristische Kennzeichen des Nenegatenthums ist.

Außer den bekannten älteren Blättern schoß aber gleichzeitig oder kurz vorher
eine große Anzahl ohne Zweifel entweder von Oestreich oder von Wiesbaden,
Darmstadt, Stuttgart u. s. w. finanziell subventionirter und von östreichischen
und schwäbischen Literaten psssimae memorias bedienter Schmutz- und Winkel-
blättchen über Nacht gleich Pilzen empor, welche sehr schlau aus die Liebhabereien
und Schwächen des vornehmen und geringen Pöbels berechnet, dessen Sprache
mit Virtuosität redeten und von dem "süßen Mob" mit Begierde verschlungen
wurden. In Wiesbaden gründete ein ehemaliger hessischer Dorfschullehrer
Namens Becker, welcher früher an der Mittelrheinischen Zeitung beschäftigt und
von derselben wegen geringer Befähigung entlassen worden war, ein Filial
jener frankfurter Blätter, genannt die "Neue mittelrheinische Zeitung". Diese
und die officielle nassauische Landeszeitung bemüheten sich nach Kräften, die
Bestialitäten der blutdürstigen frankfurter Presse in das Nassauische zu über¬
setzen, blieben aber an Virtuosität des Schimpfens doch etwas hinter den frank¬
furter Idealen zurück.

Ein halbes Dutzend klerikaler Blätter und Blättchen, die in Mainz unter
der Aegide des hochwürdigsten Herrn Bischofs und päpstlichen Throncissistcnten,
Herrn -s- Wilhelm Emanuel Freiherrn v. Ketteler, erscheinen, besorgten die Ueber-
tragung in das "Katholische" und bewirkten in einzelnen wenig cultivirten
Gegenden Nassaus (denselben, die durch den Menschen- und Kinderbandcl eine
traurige Berühmtheit erlangt haben) Erscheinungen, von welchen ich unten
noch sprechen werde. Die Mainzer Blättchen wurden von dem katholischen
Klerus gratis vertheilt, und was das geschriebene Wort nicht vermochte, das
wurde ergänzt durch das gesprochene, im Beichtstuhl und auf der Kanzel. Es
war und ist ein Kreuzzug, der gepredigt wird mit flammenden Zungen gegen
Preußen und gegen alle, die nicht für Oestreich und das Concordat schwärmen.
"Auf die Fortschrittsleute! sie sind schuld an dem Krieg, sie haben uns an
Bismarck verrathen, sie haben die Preußen in das Land gerufen, sengt si^


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Sabbath. der sich besonders in der Presse sehr widerlich abspiegelte. Der „Post-
zeitung". einem konservativen Blatt, das von jeher zu Oestreich hinneigte, ge¬
bührt die in Anbetracht des örtlichen Standes und der Stimmung in Frankfurt
hoch zu veranschlagende Anerkennung, sich — einige Denunciationen gegen die
Majorität der nassauischen Kammer und deren Führer abgerechnet, welche wohl
dem hiesigen offiziösen Korrespondenten zur Last fallen — gleichgeblieben zu
sein und die Würde der anständigen Presse in Form und Inhalt gewahrt zu
haben. Die übrigen Blätter wetteiferten mit einander in kriegerischer Berserker-
Wuth, Ungebühr und Verunglimpfung Andersdenkender; namentlich schimpften
sie die süddeutschen Abgeordneten, welche dem liberalen und nationalen Gedanken
treu geblieben waren, grade deshalb mit jenem wüthigen Eifer, welcher das
charakteristische Kennzeichen des Nenegatenthums ist.

Außer den bekannten älteren Blättern schoß aber gleichzeitig oder kurz vorher
eine große Anzahl ohne Zweifel entweder von Oestreich oder von Wiesbaden,
Darmstadt, Stuttgart u. s. w. finanziell subventionirter und von östreichischen
und schwäbischen Literaten psssimae memorias bedienter Schmutz- und Winkel-
blättchen über Nacht gleich Pilzen empor, welche sehr schlau aus die Liebhabereien
und Schwächen des vornehmen und geringen Pöbels berechnet, dessen Sprache
mit Virtuosität redeten und von dem „süßen Mob" mit Begierde verschlungen
wurden. In Wiesbaden gründete ein ehemaliger hessischer Dorfschullehrer
Namens Becker, welcher früher an der Mittelrheinischen Zeitung beschäftigt und
von derselben wegen geringer Befähigung entlassen worden war, ein Filial
jener frankfurter Blätter, genannt die „Neue mittelrheinische Zeitung". Diese
und die officielle nassauische Landeszeitung bemüheten sich nach Kräften, die
Bestialitäten der blutdürstigen frankfurter Presse in das Nassauische zu über¬
setzen, blieben aber an Virtuosität des Schimpfens doch etwas hinter den frank¬
furter Idealen zurück.

Ein halbes Dutzend klerikaler Blätter und Blättchen, die in Mainz unter
der Aegide des hochwürdigsten Herrn Bischofs und päpstlichen Throncissistcnten,
Herrn -s- Wilhelm Emanuel Freiherrn v. Ketteler, erscheinen, besorgten die Ueber-
tragung in das „Katholische" und bewirkten in einzelnen wenig cultivirten
Gegenden Nassaus (denselben, die durch den Menschen- und Kinderbandcl eine
traurige Berühmtheit erlangt haben) Erscheinungen, von welchen ich unten
noch sprechen werde. Die Mainzer Blättchen wurden von dem katholischen
Klerus gratis vertheilt, und was das geschriebene Wort nicht vermochte, das
wurde ergänzt durch das gesprochene, im Beichtstuhl und auf der Kanzel. Es
war und ist ein Kreuzzug, der gepredigt wird mit flammenden Zungen gegen
Preußen und gegen alle, die nicht für Oestreich und das Concordat schwärmen.
„Auf die Fortschrittsleute! sie sind schuld an dem Krieg, sie haben uns an
Bismarck verrathen, sie haben die Preußen in das Land gerufen, sengt si^


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_286147/37>, abgerufen am 30.06.2024.