Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Selbstgefühl der Schwaben war am Ende auf eine Verurtheilung Paulis wohl
zu zählen, aber gesetzt auch, Pauli hätte für keine einzige seiner Behauptungen
und Prädicirungen den Beweis beibringen können, so wäre doch im Laufe der
Verhandlungen der Ministerialschmutz so gründlich aufgerührt worden, daß die
Luft den Herren selber schließlich nicht behagt hätte. Ueberdies ist die Beur¬
theilung des Ministeriums wie in Paulis Artikel eine sehr verbreitete, mündlich
von Schwaben oft ausgesprochen mit jenem urbaren Humor, dessen Wörterschatz
die Borsatzsilbe "Sau" besonders liebt; aber freilich ein Fremder dürfte nicht so
sprechen, am wenigsten so drucken lassen, und gar in einem preußischen Blatte!

Daß Pauli als würtembergischer Staatsdiener jenen Artikel drucken ließ,
ist jetzt ein mißlicher Umstand, wo der Staat Würtemberg sowie das Ministerium
Barnbüler sich gerettet und neu bestätigt des Lebens freut. Auch in jenen
großen Wochen des Juli hätte er Einzelnes anders ausdrücken können. Aber
wir Norddeutschen waren in einer gar Übeln Lage, unter dem wüsten Lärm und
Geschimpf der vereinigten Parteien, der Pfaffen, der schwäbischen Föderativ¬
republikaner nach Art des Beobachters und der Conservativen. Ein lebhafter
Geist wie Pauli und die freudige Erregung über die Erfolge des siebentägigen
Krieges in Böhmen gegenüber jenem Lärmen und Hetzen, das die preußisch
Gesinnten öffentlich in der Presse das Land räumen hieß und das mehrmals
Straßenskandale und Fensiereinwerfungen organistrt hatte, die nur noch von
der Polizei rechtzeitig vereitelt wurden -- das ist wohl eine Erklärung für
Paulis Handlungsweise.

Der Artikel war im Lande außer in Stuttgart und Tübingen kaum bekannt
geworden, da nur vier Exemplare der verhaßten Jahrbücher in Würtemberg
gehalten werden. Das Ministerium übernahm in seinem blinden Eifer das
Amt, ihn in weitere Kreise zu bringen, indem es die Sache nicht.ruhen ließ.
Der Cultusnunistcr Golther, der College des wegen Nepotismus von Pauli
getadelte" Geßler, ließ durch dessen Bruder, den Universitätskanzler Geßler
Pauli inquinren und dieser gab sich ohne Umschweife als Verfasser an. Das
war persönlich ehrenhaft, aber principiell falsch, besonders hier, wo das Mi¬
nisterium sich früher bereits öfter, von N. Mohl, von Reyscher. in ähnlicher
Lage einen Korb geholt und dann erst recht die Finger verbrannt hatte. Durch
das Rectoramt ward Pauli dann zu einer Erklärung aufgefordert; er gab seine
Uebereilung und manches Ungerechte zu, schilderte aber die Zeit, in der der
Aufsatz geschrieben war, lebhaft und wenig erfreulich für die Negierung. Schlie߬
lich erbot er sich zu einer mit seiner Ehre und seinen politischen Ueberzeugungen
vereinbaren Erklärung; wo nicht, so werde er alle Konsequenzen auf sich nehmen.
In Stuttgart hat man diese Erklärung für "noch gröber" als den Aufsatz er¬
klärt; entschieden falsch; aber unbequem mußte sie nach ihrem ganzen Tenor
dem Ministerium sein. Auf die angebotene Erklärung ging man nicht ein.


Selbstgefühl der Schwaben war am Ende auf eine Verurtheilung Paulis wohl
zu zählen, aber gesetzt auch, Pauli hätte für keine einzige seiner Behauptungen
und Prädicirungen den Beweis beibringen können, so wäre doch im Laufe der
Verhandlungen der Ministerialschmutz so gründlich aufgerührt worden, daß die
Luft den Herren selber schließlich nicht behagt hätte. Ueberdies ist die Beur¬
theilung des Ministeriums wie in Paulis Artikel eine sehr verbreitete, mündlich
von Schwaben oft ausgesprochen mit jenem urbaren Humor, dessen Wörterschatz
die Borsatzsilbe „Sau" besonders liebt; aber freilich ein Fremder dürfte nicht so
sprechen, am wenigsten so drucken lassen, und gar in einem preußischen Blatte!

Daß Pauli als würtembergischer Staatsdiener jenen Artikel drucken ließ,
ist jetzt ein mißlicher Umstand, wo der Staat Würtemberg sowie das Ministerium
Barnbüler sich gerettet und neu bestätigt des Lebens freut. Auch in jenen
großen Wochen des Juli hätte er Einzelnes anders ausdrücken können. Aber
wir Norddeutschen waren in einer gar Übeln Lage, unter dem wüsten Lärm und
Geschimpf der vereinigten Parteien, der Pfaffen, der schwäbischen Föderativ¬
republikaner nach Art des Beobachters und der Conservativen. Ein lebhafter
Geist wie Pauli und die freudige Erregung über die Erfolge des siebentägigen
Krieges in Böhmen gegenüber jenem Lärmen und Hetzen, das die preußisch
Gesinnten öffentlich in der Presse das Land räumen hieß und das mehrmals
Straßenskandale und Fensiereinwerfungen organistrt hatte, die nur noch von
der Polizei rechtzeitig vereitelt wurden — das ist wohl eine Erklärung für
Paulis Handlungsweise.

Der Artikel war im Lande außer in Stuttgart und Tübingen kaum bekannt
geworden, da nur vier Exemplare der verhaßten Jahrbücher in Würtemberg
gehalten werden. Das Ministerium übernahm in seinem blinden Eifer das
Amt, ihn in weitere Kreise zu bringen, indem es die Sache nicht.ruhen ließ.
Der Cultusnunistcr Golther, der College des wegen Nepotismus von Pauli
getadelte» Geßler, ließ durch dessen Bruder, den Universitätskanzler Geßler
Pauli inquinren und dieser gab sich ohne Umschweife als Verfasser an. Das
war persönlich ehrenhaft, aber principiell falsch, besonders hier, wo das Mi¬
nisterium sich früher bereits öfter, von N. Mohl, von Reyscher. in ähnlicher
Lage einen Korb geholt und dann erst recht die Finger verbrannt hatte. Durch
das Rectoramt ward Pauli dann zu einer Erklärung aufgefordert; er gab seine
Uebereilung und manches Ungerechte zu, schilderte aber die Zeit, in der der
Aufsatz geschrieben war, lebhaft und wenig erfreulich für die Negierung. Schlie߬
lich erbot er sich zu einer mit seiner Ehre und seinen politischen Ueberzeugungen
vereinbaren Erklärung; wo nicht, so werde er alle Konsequenzen auf sich nehmen.
In Stuttgart hat man diese Erklärung für „noch gröber" als den Aufsatz er¬
klärt; entschieden falsch; aber unbequem mußte sie nach ihrem ganzen Tenor
dem Ministerium sein. Auf die angebotene Erklärung ging man nicht ein.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0378" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/286526"/>
          <p xml:id="ID_1105" prev="#ID_1104"> Selbstgefühl der Schwaben war am Ende auf eine Verurtheilung Paulis wohl<lb/>
zu zählen, aber gesetzt auch, Pauli hätte für keine einzige seiner Behauptungen<lb/>
und Prädicirungen den Beweis beibringen können, so wäre doch im Laufe der<lb/>
Verhandlungen der Ministerialschmutz so gründlich aufgerührt worden, daß die<lb/>
Luft den Herren selber schließlich nicht behagt hätte. Ueberdies ist die Beur¬<lb/>
theilung des Ministeriums wie in Paulis Artikel eine sehr verbreitete, mündlich<lb/>
von Schwaben oft ausgesprochen mit jenem urbaren Humor, dessen Wörterschatz<lb/>
die Borsatzsilbe &#x201E;Sau" besonders liebt; aber freilich ein Fremder dürfte nicht so<lb/>
sprechen, am wenigsten so drucken lassen, und gar in einem preußischen Blatte!</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1106"> Daß Pauli als würtembergischer Staatsdiener jenen Artikel drucken ließ,<lb/>
ist jetzt ein mißlicher Umstand, wo der Staat Würtemberg sowie das Ministerium<lb/>
Barnbüler sich gerettet und neu bestätigt des Lebens freut. Auch in jenen<lb/>
großen Wochen des Juli hätte er Einzelnes anders ausdrücken können. Aber<lb/>
wir Norddeutschen waren in einer gar Übeln Lage, unter dem wüsten Lärm und<lb/>
Geschimpf der vereinigten Parteien, der Pfaffen, der schwäbischen Föderativ¬<lb/>
republikaner nach Art des Beobachters und der Conservativen. Ein lebhafter<lb/>
Geist wie Pauli und die freudige Erregung über die Erfolge des siebentägigen<lb/>
Krieges in Böhmen gegenüber jenem Lärmen und Hetzen, das die preußisch<lb/>
Gesinnten öffentlich in der Presse das Land räumen hieß und das mehrmals<lb/>
Straßenskandale und Fensiereinwerfungen organistrt hatte, die nur noch von<lb/>
der Polizei rechtzeitig vereitelt wurden &#x2014; das ist wohl eine Erklärung für<lb/>
Paulis Handlungsweise.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1107"> Der Artikel war im Lande außer in Stuttgart und Tübingen kaum bekannt<lb/>
geworden, da nur vier Exemplare der verhaßten Jahrbücher in Würtemberg<lb/>
gehalten werden. Das Ministerium übernahm in seinem blinden Eifer das<lb/>
Amt, ihn in weitere Kreise zu bringen, indem es die Sache nicht.ruhen ließ.<lb/>
Der Cultusnunistcr Golther, der College des wegen Nepotismus von Pauli<lb/>
getadelte» Geßler, ließ durch dessen Bruder, den Universitätskanzler Geßler<lb/>
Pauli inquinren und dieser gab sich ohne Umschweife als Verfasser an. Das<lb/>
war persönlich ehrenhaft, aber principiell falsch, besonders hier, wo das Mi¬<lb/>
nisterium sich früher bereits öfter, von N. Mohl, von Reyscher. in ähnlicher<lb/>
Lage einen Korb geholt und dann erst recht die Finger verbrannt hatte. Durch<lb/>
das Rectoramt ward Pauli dann zu einer Erklärung aufgefordert; er gab seine<lb/>
Uebereilung und manches Ungerechte zu, schilderte aber die Zeit, in der der<lb/>
Aufsatz geschrieben war, lebhaft und wenig erfreulich für die Negierung. Schlie߬<lb/>
lich erbot er sich zu einer mit seiner Ehre und seinen politischen Ueberzeugungen<lb/>
vereinbaren Erklärung; wo nicht, so werde er alle Konsequenzen auf sich nehmen.<lb/>
In Stuttgart hat man diese Erklärung für &#x201E;noch gröber" als den Aufsatz er¬<lb/>
klärt; entschieden falsch; aber unbequem mußte sie nach ihrem ganzen Tenor<lb/>
dem Ministerium sein. Auf die angebotene Erklärung ging man nicht ein.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0378] Selbstgefühl der Schwaben war am Ende auf eine Verurtheilung Paulis wohl zu zählen, aber gesetzt auch, Pauli hätte für keine einzige seiner Behauptungen und Prädicirungen den Beweis beibringen können, so wäre doch im Laufe der Verhandlungen der Ministerialschmutz so gründlich aufgerührt worden, daß die Luft den Herren selber schließlich nicht behagt hätte. Ueberdies ist die Beur¬ theilung des Ministeriums wie in Paulis Artikel eine sehr verbreitete, mündlich von Schwaben oft ausgesprochen mit jenem urbaren Humor, dessen Wörterschatz die Borsatzsilbe „Sau" besonders liebt; aber freilich ein Fremder dürfte nicht so sprechen, am wenigsten so drucken lassen, und gar in einem preußischen Blatte! Daß Pauli als würtembergischer Staatsdiener jenen Artikel drucken ließ, ist jetzt ein mißlicher Umstand, wo der Staat Würtemberg sowie das Ministerium Barnbüler sich gerettet und neu bestätigt des Lebens freut. Auch in jenen großen Wochen des Juli hätte er Einzelnes anders ausdrücken können. Aber wir Norddeutschen waren in einer gar Übeln Lage, unter dem wüsten Lärm und Geschimpf der vereinigten Parteien, der Pfaffen, der schwäbischen Föderativ¬ republikaner nach Art des Beobachters und der Conservativen. Ein lebhafter Geist wie Pauli und die freudige Erregung über die Erfolge des siebentägigen Krieges in Böhmen gegenüber jenem Lärmen und Hetzen, das die preußisch Gesinnten öffentlich in der Presse das Land räumen hieß und das mehrmals Straßenskandale und Fensiereinwerfungen organistrt hatte, die nur noch von der Polizei rechtzeitig vereitelt wurden — das ist wohl eine Erklärung für Paulis Handlungsweise. Der Artikel war im Lande außer in Stuttgart und Tübingen kaum bekannt geworden, da nur vier Exemplare der verhaßten Jahrbücher in Würtemberg gehalten werden. Das Ministerium übernahm in seinem blinden Eifer das Amt, ihn in weitere Kreise zu bringen, indem es die Sache nicht.ruhen ließ. Der Cultusnunistcr Golther, der College des wegen Nepotismus von Pauli getadelte» Geßler, ließ durch dessen Bruder, den Universitätskanzler Geßler Pauli inquinren und dieser gab sich ohne Umschweife als Verfasser an. Das war persönlich ehrenhaft, aber principiell falsch, besonders hier, wo das Mi¬ nisterium sich früher bereits öfter, von N. Mohl, von Reyscher. in ähnlicher Lage einen Korb geholt und dann erst recht die Finger verbrannt hatte. Durch das Rectoramt ward Pauli dann zu einer Erklärung aufgefordert; er gab seine Uebereilung und manches Ungerechte zu, schilderte aber die Zeit, in der der Aufsatz geschrieben war, lebhaft und wenig erfreulich für die Negierung. Schlie߬ lich erbot er sich zu einer mit seiner Ehre und seinen politischen Ueberzeugungen vereinbaren Erklärung; wo nicht, so werde er alle Konsequenzen auf sich nehmen. In Stuttgart hat man diese Erklärung für „noch gröber" als den Aufsatz er¬ klärt; entschieden falsch; aber unbequem mußte sie nach ihrem ganzen Tenor dem Ministerium sein. Auf die angebotene Erklärung ging man nicht ein.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_286147
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_286147/378
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_286147/378>, abgerufen am 30.06.2024.