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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band.

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regeln von oben her oder Verleibung des Amtes hinauszutreiben, so hatten
gleichgesinnt Eltern nur die Wahl, ihre Knaben schon lange vor der Confir-
mation von Hause fortzuschicken, oder aber ihnen einimpfen zu lassen, was sie
für nahezu gleichbedeutend mit geistigem Tode hielten. Während solche und
ähnliche Empfindungen die erwähnten Kreise bewegten, begab es sich, daß die
Elverfelder Zeitung ihren Redacteur wechseln sollte. Ein Abschiedscsscn für den
scheidenden Gesinnungsgenossen, A. Lammers, wurde daher benutzt, um in einer
Reihe lebhafter und nachdrücklicher Kundgebungen die Partei der verfolgten
Lehrer zu ergreifen. Man fand denn auch, daß die Gegenpartei den Sinn und
die Tragweite dieser Protestcrhebung wohl verstand. Sie zog einstweilen ihre
Scheeren ein.

Aber ein noch folgenreicheres Unternehmen entsprang aus diesen Kämpfen.
Es trifft sich, daß im Wupperthal -- wie gegenwärtig vielleicht im Durchschnitt
durch ganz Deutschland -- die Träger des Fortschritts vorzugsweise Männer
(und Frauen, nicht zu vergessen) in den dreißiger Jahren sind; und da Ge¬
schäftsleute früh zu heirathen pflegen, der Hagestolz obendrein nirgends unglück¬
licher daran ist als in so ausschließlich industriellen Orten, so sind die meisten
dieser voranstehenden Liberalen Familienväter, und ihre ältesten Kinder reifen
dem Confirmantenunterricht entgegen. Sie haben folglich ein starkes eigenes
Interesse, zu verhindern, daß der Religionsunterricht orthodox-pietistischer Pastoren
auch noch das Gegengewicht einbüße, das in dem Religions- und Geschichts¬
unterricht unabhängig denkender durchgebildeter Lehrer liegt; ein starkes eigenes
Interesse, wo möglich zu bewirken, daß der Confirmantenunterricht selbst auf¬
höre, lediglich nach dem Geschmack der Nückschrittspartei ertheilt zu werden.
Ais nun die neuerdings von den Geistlichen gesuchten Händel mit aufgeklärten
Lehrern dieses doppelte Interesse des Liberalismus zum allgemeinen Bewußtsein
brachten, nachdem derselbe durch die Stiftung und Entwickelung des Allgemeinen
Bildungsvereins in Elberfeld und des Allgemeinen Bürgervereins in Barmer
bereits das Gefühl seiner Kraft erlangt hatte, wurde eine Organisation aus¬
drücklich zu jenem Zwecke nicht schwer. Man fand sie in der Anlehnung an
den deutschen Protestantentag, dessen Richtung und Thätigkeit, dem empfundenen'
Bedürfniß am besten entgegenzukommen schien.

Der äußere Anlaß erschöpft indessen nicht den Werth einer solchen Ver¬
einigung für das Wupperthal. Nirgends im Gegentheil bietet sich derselben
eine solche Fülle von Aufgaben, eine solche Sicherheit und Tiefe der Wirkung.
Leichter mag es fast an jedem anderen deutschen Orte sein, die Anhänger der
Selbstbestimmung in religiösen Dingen um eine gemeinsame Fahne zu sammeln,
aber am erfolgreichsten verspricht es sich hier zu erweisen. Unter den Vor¬
besprechungen ergab es sich, daß die wesentlichste Schwierigkeit nicht in dem
allzu radicalen, sondern in dem vermeintlich allzu conservativen Charakter des


regeln von oben her oder Verleibung des Amtes hinauszutreiben, so hatten
gleichgesinnt Eltern nur die Wahl, ihre Knaben schon lange vor der Confir-
mation von Hause fortzuschicken, oder aber ihnen einimpfen zu lassen, was sie
für nahezu gleichbedeutend mit geistigem Tode hielten. Während solche und
ähnliche Empfindungen die erwähnten Kreise bewegten, begab es sich, daß die
Elverfelder Zeitung ihren Redacteur wechseln sollte. Ein Abschiedscsscn für den
scheidenden Gesinnungsgenossen, A. Lammers, wurde daher benutzt, um in einer
Reihe lebhafter und nachdrücklicher Kundgebungen die Partei der verfolgten
Lehrer zu ergreifen. Man fand denn auch, daß die Gegenpartei den Sinn und
die Tragweite dieser Protestcrhebung wohl verstand. Sie zog einstweilen ihre
Scheeren ein.

Aber ein noch folgenreicheres Unternehmen entsprang aus diesen Kämpfen.
Es trifft sich, daß im Wupperthal — wie gegenwärtig vielleicht im Durchschnitt
durch ganz Deutschland — die Träger des Fortschritts vorzugsweise Männer
(und Frauen, nicht zu vergessen) in den dreißiger Jahren sind; und da Ge¬
schäftsleute früh zu heirathen pflegen, der Hagestolz obendrein nirgends unglück¬
licher daran ist als in so ausschließlich industriellen Orten, so sind die meisten
dieser voranstehenden Liberalen Familienväter, und ihre ältesten Kinder reifen
dem Confirmantenunterricht entgegen. Sie haben folglich ein starkes eigenes
Interesse, zu verhindern, daß der Religionsunterricht orthodox-pietistischer Pastoren
auch noch das Gegengewicht einbüße, das in dem Religions- und Geschichts¬
unterricht unabhängig denkender durchgebildeter Lehrer liegt; ein starkes eigenes
Interesse, wo möglich zu bewirken, daß der Confirmantenunterricht selbst auf¬
höre, lediglich nach dem Geschmack der Nückschrittspartei ertheilt zu werden.
Ais nun die neuerdings von den Geistlichen gesuchten Händel mit aufgeklärten
Lehrern dieses doppelte Interesse des Liberalismus zum allgemeinen Bewußtsein
brachten, nachdem derselbe durch die Stiftung und Entwickelung des Allgemeinen
Bildungsvereins in Elberfeld und des Allgemeinen Bürgervereins in Barmer
bereits das Gefühl seiner Kraft erlangt hatte, wurde eine Organisation aus¬
drücklich zu jenem Zwecke nicht schwer. Man fand sie in der Anlehnung an
den deutschen Protestantentag, dessen Richtung und Thätigkeit, dem empfundenen'
Bedürfniß am besten entgegenzukommen schien.

Der äußere Anlaß erschöpft indessen nicht den Werth einer solchen Ver¬
einigung für das Wupperthal. Nirgends im Gegentheil bietet sich derselben
eine solche Fülle von Aufgaben, eine solche Sicherheit und Tiefe der Wirkung.
Leichter mag es fast an jedem anderen deutschen Orte sein, die Anhänger der
Selbstbestimmung in religiösen Dingen um eine gemeinsame Fahne zu sammeln,
aber am erfolgreichsten verspricht es sich hier zu erweisen. Unter den Vor¬
besprechungen ergab es sich, daß die wesentlichste Schwierigkeit nicht in dem
allzu radicalen, sondern in dem vermeintlich allzu conservativen Charakter des


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_286147/34>, abgerufen am 30.06.2024.