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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band.

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westliche Grenze des Reichs, um diese von den Ueberbleibseln der westeuropäischen
Aristokratenwirthschaft zu reinigen und ein neues, kräftiges Bauernreich zu be¬
gründen. Auch die Slawophilen boten bereitwillig ihre Dienste an. Was die
Socialisten im Namen ihres Principes unternommen hatten, wurde von ihnen
für die angebliche Wiederherstellung altrussischer Lebensformen, für die Be¬
kämpfung des römisch-katholischen Klerus und zur Befestigung des von den Katho¬
liken verdrängten und bei Seite geschobenen byzantinisch-russischen Kirchenthums
gethan: -- der Gog des Liberalismus war durch den Magog des Nationalitäts¬
princips ausgetrieben. An der Spitze dieser Bewegung, die sehr bald über die
ursprünglichen Absichten der Moskauschcn Zeitung und ihres im Grunde aristo¬
kratischen Redacteurs hinausschoß, standen und stehen noch gegenwärtig der
Domäncnminister Selenny, der Kriegsminister Miljutin und dessen Bruder,
der Staatssccretär für Polen, Geheimrath Nikolas Miljutin. Der Kampf
gegen den aristokratischen "Polvniömus" wurde mit dem Fanatismus religiöser
Schwärmerei und einer wahrhaft barbarischen Rücksichtslosigkeit geführt, die vor
keinem Mittel scheute, das zum Zweck führen konnte, und die Vernichtung der
aristokratisch-polnischen Elemente als einen dem Slawengott wohlgefälligen
Opfcrcultus betrieb. --

In Litthauen, Weißrußland und Polen ist das Institut des russischen
Gemeindebesitzes ebenso unbekannt, wie in Finnland, den deutsch-russischen Ost-
seeprovinzen Liv-, Esth-und Kurland und dem übrigen Europa. Die lithauischen,
weißrussischen und polnischen Bauern leben auf großen, geschlossenen Bauern¬
höfen, die sich in den Händen der sogenannten Vaucrwirthe befinden und von
diesen mit Hilfe gemietheter Knechte bearbeitet werden. Zu einer förmlichen
Ausdehnung des Gemeindebesitzes auf die früher polnischen Neichstheile hat die
Regierung sich trotz alles Drängens der socialistischen Partei bis jetzt nicht ent¬
schließen können; man hat sich zur Zeit damit begnügt, auch den bäuerlichen
Knechten Grundstücke zuzutheilen, desgleichen die auf Edelhöfen dienenden
ländlichen Knechte mit den Herren abgenommenen Grundstücken auszurüsten
und den Grundsatz aufzustellen, daß sämmtliche Söhne der Bauerwirthe den
gleichen Anspruch an das väterliche Erbe haben sollen. Aller Wahrscheinlichkeit
Nach wird man an dieser Grenze stehen bleiben, denn die Bauernbcglückung in
Litthauen und Polen, die in jenen Ländern eine schauerliche Demoralisation des
Landvolks und eine vollständige Auflösung aller unter Menschen gangbaren
Rechtsbegriffe herbeigeführt, hat, ist der russischen Regierung nie mehr als zeit¬
weiliges Mittel zum Zweck gewesen.

Ganz anders ist die Sache von der überwiegend großen Mehrheit des'
russischen Volks, insbesondere von der Bureaukratie, dem Gelehrtenstande und
der Presse aufgefaßt worden. Die Dinge, welche die Negierung nur geschehen
ließ, um sich einen gefährlichen Gegner, den polnischen Adel, vom Halse zu


westliche Grenze des Reichs, um diese von den Ueberbleibseln der westeuropäischen
Aristokratenwirthschaft zu reinigen und ein neues, kräftiges Bauernreich zu be¬
gründen. Auch die Slawophilen boten bereitwillig ihre Dienste an. Was die
Socialisten im Namen ihres Principes unternommen hatten, wurde von ihnen
für die angebliche Wiederherstellung altrussischer Lebensformen, für die Be¬
kämpfung des römisch-katholischen Klerus und zur Befestigung des von den Katho¬
liken verdrängten und bei Seite geschobenen byzantinisch-russischen Kirchenthums
gethan: — der Gog des Liberalismus war durch den Magog des Nationalitäts¬
princips ausgetrieben. An der Spitze dieser Bewegung, die sehr bald über die
ursprünglichen Absichten der Moskauschcn Zeitung und ihres im Grunde aristo¬
kratischen Redacteurs hinausschoß, standen und stehen noch gegenwärtig der
Domäncnminister Selenny, der Kriegsminister Miljutin und dessen Bruder,
der Staatssccretär für Polen, Geheimrath Nikolas Miljutin. Der Kampf
gegen den aristokratischen „Polvniömus" wurde mit dem Fanatismus religiöser
Schwärmerei und einer wahrhaft barbarischen Rücksichtslosigkeit geführt, die vor
keinem Mittel scheute, das zum Zweck führen konnte, und die Vernichtung der
aristokratisch-polnischen Elemente als einen dem Slawengott wohlgefälligen
Opfcrcultus betrieb. —

In Litthauen, Weißrußland und Polen ist das Institut des russischen
Gemeindebesitzes ebenso unbekannt, wie in Finnland, den deutsch-russischen Ost-
seeprovinzen Liv-, Esth-und Kurland und dem übrigen Europa. Die lithauischen,
weißrussischen und polnischen Bauern leben auf großen, geschlossenen Bauern¬
höfen, die sich in den Händen der sogenannten Vaucrwirthe befinden und von
diesen mit Hilfe gemietheter Knechte bearbeitet werden. Zu einer förmlichen
Ausdehnung des Gemeindebesitzes auf die früher polnischen Neichstheile hat die
Regierung sich trotz alles Drängens der socialistischen Partei bis jetzt nicht ent¬
schließen können; man hat sich zur Zeit damit begnügt, auch den bäuerlichen
Knechten Grundstücke zuzutheilen, desgleichen die auf Edelhöfen dienenden
ländlichen Knechte mit den Herren abgenommenen Grundstücken auszurüsten
und den Grundsatz aufzustellen, daß sämmtliche Söhne der Bauerwirthe den
gleichen Anspruch an das väterliche Erbe haben sollen. Aller Wahrscheinlichkeit
Nach wird man an dieser Grenze stehen bleiben, denn die Bauernbcglückung in
Litthauen und Polen, die in jenen Ländern eine schauerliche Demoralisation des
Landvolks und eine vollständige Auflösung aller unter Menschen gangbaren
Rechtsbegriffe herbeigeführt, hat, ist der russischen Regierung nie mehr als zeit¬
weiliges Mittel zum Zweck gewesen.

Ganz anders ist die Sache von der überwiegend großen Mehrheit des'
russischen Volks, insbesondere von der Bureaukratie, dem Gelehrtenstande und
der Presse aufgefaßt worden. Die Dinge, welche die Negierung nur geschehen
ließ, um sich einen gefährlichen Gegner, den polnischen Adel, vom Halse zu


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[0316] westliche Grenze des Reichs, um diese von den Ueberbleibseln der westeuropäischen Aristokratenwirthschaft zu reinigen und ein neues, kräftiges Bauernreich zu be¬ gründen. Auch die Slawophilen boten bereitwillig ihre Dienste an. Was die Socialisten im Namen ihres Principes unternommen hatten, wurde von ihnen für die angebliche Wiederherstellung altrussischer Lebensformen, für die Be¬ kämpfung des römisch-katholischen Klerus und zur Befestigung des von den Katho¬ liken verdrängten und bei Seite geschobenen byzantinisch-russischen Kirchenthums gethan: — der Gog des Liberalismus war durch den Magog des Nationalitäts¬ princips ausgetrieben. An der Spitze dieser Bewegung, die sehr bald über die ursprünglichen Absichten der Moskauschcn Zeitung und ihres im Grunde aristo¬ kratischen Redacteurs hinausschoß, standen und stehen noch gegenwärtig der Domäncnminister Selenny, der Kriegsminister Miljutin und dessen Bruder, der Staatssccretär für Polen, Geheimrath Nikolas Miljutin. Der Kampf gegen den aristokratischen „Polvniömus" wurde mit dem Fanatismus religiöser Schwärmerei und einer wahrhaft barbarischen Rücksichtslosigkeit geführt, die vor keinem Mittel scheute, das zum Zweck führen konnte, und die Vernichtung der aristokratisch-polnischen Elemente als einen dem Slawengott wohlgefälligen Opfcrcultus betrieb. — In Litthauen, Weißrußland und Polen ist das Institut des russischen Gemeindebesitzes ebenso unbekannt, wie in Finnland, den deutsch-russischen Ost- seeprovinzen Liv-, Esth-und Kurland und dem übrigen Europa. Die lithauischen, weißrussischen und polnischen Bauern leben auf großen, geschlossenen Bauern¬ höfen, die sich in den Händen der sogenannten Vaucrwirthe befinden und von diesen mit Hilfe gemietheter Knechte bearbeitet werden. Zu einer förmlichen Ausdehnung des Gemeindebesitzes auf die früher polnischen Neichstheile hat die Regierung sich trotz alles Drängens der socialistischen Partei bis jetzt nicht ent¬ schließen können; man hat sich zur Zeit damit begnügt, auch den bäuerlichen Knechten Grundstücke zuzutheilen, desgleichen die auf Edelhöfen dienenden ländlichen Knechte mit den Herren abgenommenen Grundstücken auszurüsten und den Grundsatz aufzustellen, daß sämmtliche Söhne der Bauerwirthe den gleichen Anspruch an das väterliche Erbe haben sollen. Aller Wahrscheinlichkeit Nach wird man an dieser Grenze stehen bleiben, denn die Bauernbcglückung in Litthauen und Polen, die in jenen Ländern eine schauerliche Demoralisation des Landvolks und eine vollständige Auflösung aller unter Menschen gangbaren Rechtsbegriffe herbeigeführt, hat, ist der russischen Regierung nie mehr als zeit¬ weiliges Mittel zum Zweck gewesen. Ganz anders ist die Sache von der überwiegend großen Mehrheit des' russischen Volks, insbesondere von der Bureaukratie, dem Gelehrtenstande und der Presse aufgefaßt worden. Die Dinge, welche die Negierung nur geschehen ließ, um sich einen gefährlichen Gegner, den polnischen Adel, vom Halse zu

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_286147/316>, abgerufen am 04.07.2024.