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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band.

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bedauerliche Aenderungen im gerichtlichen Verfahren, besonders in den Be¬
rufungen herbeiführen. Unbedenklich scheint auch die Mitwirkung von gewählten
nicht rechtskundigen Schöffen bei kleineren an die Untergeriehte gehörigen Straf¬
sachen beibehalten werden zu können; ja diese Einrichtung wird sogar zur An¬
nahme in Preußen empfohlen. -- Ueber die N e es t s g ehe tzg eb un g sind die Acten
nicht zu schließen; hier scheint die Alternative, ob das Alte behalten oder das
Neue anzunehmen, falsch; das einzig Nichtige kann nur das Dritte sein, das
Civilgesetzbuch der Zukunft, welches sich nicht an die Mainlinie kehren darf.
Der Verfasser weist hier auf das sächsische als auf eine annehmbare Grundlage
hin. Die Einführung des preußischen Allgemeinen Landrechts sei den Hanno¬
veranern begreiflicherweise keine lockende Aussicht; andrerseits werde die An¬
nahme des preußischen Criminalrechts kein Unglück sein, da das Kriminalrecht
überhaupt weit weniger als das Civilrecht von den besonderen Rechtszuständen
der einzelnen Länder abhängig ist. Für das Polizei- und Forststrafgesetz hegt
unser Verfasser größere Anhänglichkeit, zumal da sie seine Kinder sind.

Die kirchliche Verfassung wird durch den Untergang des Staates Hannover
nicht unmittelbar unberührt, und es ist daher alle Aussicht, daß die Synodal-
und Kirchcuvvrstandsorduung von 1864 nebst dem Consistorium von 1866,
welche befriedigenden Abschluß langer Wirren bezeichnen, unbehelligt bleiben.
Nicht ohne Wirfung wird jedoch die neue Verfassung auf das Schulwesen
sein. In Preußen ist die Anstellung der Lehrer nicht wie in Hannover Sache
der Konsistorien oder andrer kirchlichen Organe, sondern der Provinzialregierungen,
welchen ein Schulrath beigegeben ist. Auf die Dauer wird hierin natürlich
Uebereinstimmung hergestellt werden; die Kirchenverfassung würde dadurch aber
nicht alterirt, denn das hannoverische Oberconsistorium ist beim jetzigen hanno¬
verischen Schulwesen nicht betheiligt. Den höheren Schulen, der Universität
Göttingen und dem Polytechnikum in Hannover scheint würdiger Fortbestand
gesichert, wie er auch in hohem Grade wünschenswert!) ist.

Hinsichtlich des Heerwesens begrüßt unsere Schrift die allgemeine Wehr¬
pflicht mit fast allen ihren Consequenzen als selbstverständliche Forderung. Hier
handelt sichs nur um Zerstreuung von baaren Vorurtheilen, die, freilich wohl
nicht ohne von den Ultraparticularistcn genährt zu werden, die verdiente Po¬
pularität dieser erprobten Einrichtung zur Zeit noch schmälern. "Es hat doch
sein Angenehmes, daß marl keine Franzosen und Russen mehr zu fürchten braucht
und daß man fortan jedem Engländer frei in das freie Gesicht sehen darf."
Von diesem Zeugniß dürfen wir, weil es das eines Hannoveraners ist, mit
doppelter Genugthuung Act nehmen.

Bei dem Worte Staats" bg ab en in der Verbindung mit Preußen Pflegt
bekanntlich Gemüth und Säckel der Kleinstaatsbürger in krampfartigen Zu¬
stand zu gerathen. Ob die Hannoveraner aus der Erklärung unseres Sach-


bedauerliche Aenderungen im gerichtlichen Verfahren, besonders in den Be¬
rufungen herbeiführen. Unbedenklich scheint auch die Mitwirkung von gewählten
nicht rechtskundigen Schöffen bei kleineren an die Untergeriehte gehörigen Straf¬
sachen beibehalten werden zu können; ja diese Einrichtung wird sogar zur An¬
nahme in Preußen empfohlen. — Ueber die N e es t s g ehe tzg eb un g sind die Acten
nicht zu schließen; hier scheint die Alternative, ob das Alte behalten oder das
Neue anzunehmen, falsch; das einzig Nichtige kann nur das Dritte sein, das
Civilgesetzbuch der Zukunft, welches sich nicht an die Mainlinie kehren darf.
Der Verfasser weist hier auf das sächsische als auf eine annehmbare Grundlage
hin. Die Einführung des preußischen Allgemeinen Landrechts sei den Hanno¬
veranern begreiflicherweise keine lockende Aussicht; andrerseits werde die An¬
nahme des preußischen Criminalrechts kein Unglück sein, da das Kriminalrecht
überhaupt weit weniger als das Civilrecht von den besonderen Rechtszuständen
der einzelnen Länder abhängig ist. Für das Polizei- und Forststrafgesetz hegt
unser Verfasser größere Anhänglichkeit, zumal da sie seine Kinder sind.

Die kirchliche Verfassung wird durch den Untergang des Staates Hannover
nicht unmittelbar unberührt, und es ist daher alle Aussicht, daß die Synodal-
und Kirchcuvvrstandsorduung von 1864 nebst dem Consistorium von 1866,
welche befriedigenden Abschluß langer Wirren bezeichnen, unbehelligt bleiben.
Nicht ohne Wirfung wird jedoch die neue Verfassung auf das Schulwesen
sein. In Preußen ist die Anstellung der Lehrer nicht wie in Hannover Sache
der Konsistorien oder andrer kirchlichen Organe, sondern der Provinzialregierungen,
welchen ein Schulrath beigegeben ist. Auf die Dauer wird hierin natürlich
Uebereinstimmung hergestellt werden; die Kirchenverfassung würde dadurch aber
nicht alterirt, denn das hannoverische Oberconsistorium ist beim jetzigen hanno¬
verischen Schulwesen nicht betheiligt. Den höheren Schulen, der Universität
Göttingen und dem Polytechnikum in Hannover scheint würdiger Fortbestand
gesichert, wie er auch in hohem Grade wünschenswert!) ist.

Hinsichtlich des Heerwesens begrüßt unsere Schrift die allgemeine Wehr¬
pflicht mit fast allen ihren Consequenzen als selbstverständliche Forderung. Hier
handelt sichs nur um Zerstreuung von baaren Vorurtheilen, die, freilich wohl
nicht ohne von den Ultraparticularistcn genährt zu werden, die verdiente Po¬
pularität dieser erprobten Einrichtung zur Zeit noch schmälern. „Es hat doch
sein Angenehmes, daß marl keine Franzosen und Russen mehr zu fürchten braucht
und daß man fortan jedem Engländer frei in das freie Gesicht sehen darf."
Von diesem Zeugniß dürfen wir, weil es das eines Hannoveraners ist, mit
doppelter Genugthuung Act nehmen.

Bei dem Worte Staats« bg ab en in der Verbindung mit Preußen Pflegt
bekanntlich Gemüth und Säckel der Kleinstaatsbürger in krampfartigen Zu¬
stand zu gerathen. Ob die Hannoveraner aus der Erklärung unseres Sach-


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[0298] bedauerliche Aenderungen im gerichtlichen Verfahren, besonders in den Be¬ rufungen herbeiführen. Unbedenklich scheint auch die Mitwirkung von gewählten nicht rechtskundigen Schöffen bei kleineren an die Untergeriehte gehörigen Straf¬ sachen beibehalten werden zu können; ja diese Einrichtung wird sogar zur An¬ nahme in Preußen empfohlen. — Ueber die N e es t s g ehe tzg eb un g sind die Acten nicht zu schließen; hier scheint die Alternative, ob das Alte behalten oder das Neue anzunehmen, falsch; das einzig Nichtige kann nur das Dritte sein, das Civilgesetzbuch der Zukunft, welches sich nicht an die Mainlinie kehren darf. Der Verfasser weist hier auf das sächsische als auf eine annehmbare Grundlage hin. Die Einführung des preußischen Allgemeinen Landrechts sei den Hanno¬ veranern begreiflicherweise keine lockende Aussicht; andrerseits werde die An¬ nahme des preußischen Criminalrechts kein Unglück sein, da das Kriminalrecht überhaupt weit weniger als das Civilrecht von den besonderen Rechtszuständen der einzelnen Länder abhängig ist. Für das Polizei- und Forststrafgesetz hegt unser Verfasser größere Anhänglichkeit, zumal da sie seine Kinder sind. Die kirchliche Verfassung wird durch den Untergang des Staates Hannover nicht unmittelbar unberührt, und es ist daher alle Aussicht, daß die Synodal- und Kirchcuvvrstandsorduung von 1864 nebst dem Consistorium von 1866, welche befriedigenden Abschluß langer Wirren bezeichnen, unbehelligt bleiben. Nicht ohne Wirfung wird jedoch die neue Verfassung auf das Schulwesen sein. In Preußen ist die Anstellung der Lehrer nicht wie in Hannover Sache der Konsistorien oder andrer kirchlichen Organe, sondern der Provinzialregierungen, welchen ein Schulrath beigegeben ist. Auf die Dauer wird hierin natürlich Uebereinstimmung hergestellt werden; die Kirchenverfassung würde dadurch aber nicht alterirt, denn das hannoverische Oberconsistorium ist beim jetzigen hanno¬ verischen Schulwesen nicht betheiligt. Den höheren Schulen, der Universität Göttingen und dem Polytechnikum in Hannover scheint würdiger Fortbestand gesichert, wie er auch in hohem Grade wünschenswert!) ist. Hinsichtlich des Heerwesens begrüßt unsere Schrift die allgemeine Wehr¬ pflicht mit fast allen ihren Consequenzen als selbstverständliche Forderung. Hier handelt sichs nur um Zerstreuung von baaren Vorurtheilen, die, freilich wohl nicht ohne von den Ultraparticularistcn genährt zu werden, die verdiente Po¬ pularität dieser erprobten Einrichtung zur Zeit noch schmälern. „Es hat doch sein Angenehmes, daß marl keine Franzosen und Russen mehr zu fürchten braucht und daß man fortan jedem Engländer frei in das freie Gesicht sehen darf." Von diesem Zeugniß dürfen wir, weil es das eines Hannoveraners ist, mit doppelter Genugthuung Act nehmen. Bei dem Worte Staats« bg ab en in der Verbindung mit Preußen Pflegt bekanntlich Gemüth und Säckel der Kleinstaatsbürger in krampfartigen Zu¬ stand zu gerathen. Ob die Hannoveraner aus der Erklärung unseres Sach-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_286147/298>, abgerufen am 04.07.2024.