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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band.

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erfordert wird. Ein weiterer Unterschied ist, daß jenem laut Amtsordnung vom
18. April 1823 die Erwerbung von Grundeigenthum im Amtsbezirke unter¬
sagt ist. während dies umgekehrt bei diesem Bedingung ist. Der Bezirksver¬
größerung widerstreben die hannoverischen Amtscirigesessenen aufs lebhafteste,
wie sich dies 18S9 bereits gezeigt hat; an die Aemter knüpft sich Amtsvertretung,
weltliches Kirchencommissariat, Domänenvcrwaltung; unmöglich fast erscheint das
Erforderniß der Erwerbung von Grundbesitz für den Landrath in einem Lande,
wo die Rittergüter, die in etlichen Provinzen Preußens ein Drittel bis die
Hälfte des Grundeigeythums ausmachen, nur etwa sechs Procent befassen, das
Uebrige aber, meist an Bauernhöfe gebunden, selten käuflich ist. Daß aber die
wenigen Besitzer hannoverischer Ritter- und Landgüter innerhalb eines Kreises
allemal zur Uebernahme des Landrathamtcs geeignet sein sollten, ist nicht an¬
zunehmen; und was soll aus den circa 200 Amtmännern und Amtsassessoren
Hannovers werden? -- Der Verfasser resumirt mit folgenden Thesen: 1) Die
Anforderung an die hannoverischen Verwaltungsbeamten (vollständiger Gymna¬
sialunterricht, dreijähriges juristisches Studium, vierjähriges Gerichts- oder Amts-
auditorat mit juristischer Prüfung im Eingange und halbjuristischer im Aus¬
gange, endlich mehrjähriges unbesoldctes Assessorat) ist zu groß; 2) infolge der
Reorganisation der Aemter von 1869 werden häufig sehr tüchtige Verwaltungs-
kräfte zu untergeordneten Dienstleistungen verbraucht; 3) dies steigert die Kosten
der Verwaltung; 4) mit der wünschenswerthen Abschaffung des EinWirkens der
Behörden auf Gewerbesachen, bäuerliche Verhältnisse u. tgi. wird Verminderung
der Beamtenzahl und Bezirksansdehnung ermöglicht. Dies giebt die Cardinal-
punkte für den Ueberleitungsproceß an die Hand, bei welchem befriedigendes
Resultat wohl zu erreichen ist.

Konservativer ist unser Gewährsmann hinsichtlich der Gemeindever¬
fassung. Wenn er auch Aenderungen im Einzelnen der ohnehin in mancher
Beziehung noch in der Befestigung befindlichen Verhältnisse zuläßt, hält er es
doch für sehr bedenklich, sie durch neue Gesetze umzustoßen. Anders bei der
Städteordnung, für die er keinen Nachtheil sieht, wenn sie der Umgestaltung
preisgegeben wird. -- Von der Einführung der preußischen Gerichtsverfas¬
sung in Hannover können nur diejenigen fürchten, welche die Thatsache unter¬
schätzen oder ignoriren, daß die Hauptzrundlagen derselben (Trennung von Justiz
und Verwaltung, Aufhebung der Patrimonial- und Gemcindegcrichtsbarkeit,
öffentlich und mündliches Verfahren, Mitwirkung der Geschwornen in Crimincil-
fachen) in beiden Ländern identisch sind. Eingreifende Verschiedenheit liegt
namentlich in der anderen Stellung der hannoverischen Obergerichte und in den
Einzelrichtern. Für beklagenswerth hält der Verfasser, wenn, was nach Art. 92'
und 116 der preußischen Verfassung allerdings schwer zu umgehen sein wird,
das Oberappcllationsgericht in Celle cassirt würde. Denn das müßte ebenso


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erfordert wird. Ein weiterer Unterschied ist, daß jenem laut Amtsordnung vom
18. April 1823 die Erwerbung von Grundeigenthum im Amtsbezirke unter¬
sagt ist. während dies umgekehrt bei diesem Bedingung ist. Der Bezirksver¬
größerung widerstreben die hannoverischen Amtscirigesessenen aufs lebhafteste,
wie sich dies 18S9 bereits gezeigt hat; an die Aemter knüpft sich Amtsvertretung,
weltliches Kirchencommissariat, Domänenvcrwaltung; unmöglich fast erscheint das
Erforderniß der Erwerbung von Grundbesitz für den Landrath in einem Lande,
wo die Rittergüter, die in etlichen Provinzen Preußens ein Drittel bis die
Hälfte des Grundeigeythums ausmachen, nur etwa sechs Procent befassen, das
Uebrige aber, meist an Bauernhöfe gebunden, selten käuflich ist. Daß aber die
wenigen Besitzer hannoverischer Ritter- und Landgüter innerhalb eines Kreises
allemal zur Uebernahme des Landrathamtcs geeignet sein sollten, ist nicht an¬
zunehmen; und was soll aus den circa 200 Amtmännern und Amtsassessoren
Hannovers werden? — Der Verfasser resumirt mit folgenden Thesen: 1) Die
Anforderung an die hannoverischen Verwaltungsbeamten (vollständiger Gymna¬
sialunterricht, dreijähriges juristisches Studium, vierjähriges Gerichts- oder Amts-
auditorat mit juristischer Prüfung im Eingange und halbjuristischer im Aus¬
gange, endlich mehrjähriges unbesoldctes Assessorat) ist zu groß; 2) infolge der
Reorganisation der Aemter von 1869 werden häufig sehr tüchtige Verwaltungs-
kräfte zu untergeordneten Dienstleistungen verbraucht; 3) dies steigert die Kosten
der Verwaltung; 4) mit der wünschenswerthen Abschaffung des EinWirkens der
Behörden auf Gewerbesachen, bäuerliche Verhältnisse u. tgi. wird Verminderung
der Beamtenzahl und Bezirksansdehnung ermöglicht. Dies giebt die Cardinal-
punkte für den Ueberleitungsproceß an die Hand, bei welchem befriedigendes
Resultat wohl zu erreichen ist.

Konservativer ist unser Gewährsmann hinsichtlich der Gemeindever¬
fassung. Wenn er auch Aenderungen im Einzelnen der ohnehin in mancher
Beziehung noch in der Befestigung befindlichen Verhältnisse zuläßt, hält er es
doch für sehr bedenklich, sie durch neue Gesetze umzustoßen. Anders bei der
Städteordnung, für die er keinen Nachtheil sieht, wenn sie der Umgestaltung
preisgegeben wird. — Von der Einführung der preußischen Gerichtsverfas¬
sung in Hannover können nur diejenigen fürchten, welche die Thatsache unter¬
schätzen oder ignoriren, daß die Hauptzrundlagen derselben (Trennung von Justiz
und Verwaltung, Aufhebung der Patrimonial- und Gemcindegcrichtsbarkeit,
öffentlich und mündliches Verfahren, Mitwirkung der Geschwornen in Crimincil-
fachen) in beiden Ländern identisch sind. Eingreifende Verschiedenheit liegt
namentlich in der anderen Stellung der hannoverischen Obergerichte und in den
Einzelrichtern. Für beklagenswerth hält der Verfasser, wenn, was nach Art. 92'
und 116 der preußischen Verfassung allerdings schwer zu umgehen sein wird,
das Oberappcllationsgericht in Celle cassirt würde. Denn das müßte ebenso


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_286147/297>, abgerufen am 02.10.2024.