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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band.

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kundigen, daß die persönlichen directen Steuern Hannovers vor der Wissenschaft
schwer bestehen können, schon einen Trost schöpfen, ist zweifelhaft. Aber die
Höhe der Erträge dieser Steuern in Hannover entlarvt die landläufige Vor¬
stellung vom preußischen Steuerdruck nach dieser Richtung als ein leeres Schreck¬
bild. Aus dem Gesichtspunkt der Billigkeit glaubt unsre Schrift der preußischen
Classensteuer und classificirten Einkommensteuer den Vorzug vor den entsprechen¬
den hannoverischen Modalitäten geben zu müssen, wenn sie andrerseits auch
nicht leugnet, daß die Einführung einer Mahl- und Schlachtsteuer als ein Ruck"
schritt empfunden werden würde. Die Quoten der Grundsteuer, welche in
Hannover aufgebracht werden, sind größer als in Preußen. Ebenso ist die
Preußische Gebäudesteuer richtiger und zugleich niedriger als die han-
noversche. In den Verbrauchsabgaben besteht meist schon Uebereinstimmung,
dank dem seiner Zeit lärmend beklagten und heftig bekämpften Beitritt des
Welfenstaats zum Zollverein, der durch Arrondirung im Norden und Osten --
durch die hoffentlich baldige Hereinziehung von Schleswig-Holstein und Mecklen¬
burg -- grade für Hannover immer größern Segen entwickeln muß.

Erwerb und Verlust des Unterthan en r cases (Staatsangehörigkeit und
Staatsbürgerthum) sind in Hannover nur durch die Domicilordnung und zwar
ungenügend geregelt. Diesen Mangel wird das preußische Gesetz selbstverständlich
ohne Weiteres ersetzen, was sachlich heute freilich nicht mehr viel auf sich hat. Zu
wünschen wäre größere Freiheit den übrigen Staaten des norddeutschen Bundes
gegenüber. Ein gemeinsames Staatsbürgerthum nach Analogie des weiland
deutschen Neichsbürgerrechts von 1848 wird sehr empfohlen, ein Vorschlag, dem
wir unsrerseits mit Nachdruck beipflichten.

Ein nicht zu unterschätzender Vorzug preußischer Bestimmungen vor den
hannoverischen liegt ferner in dem Wegfall des obrigkeitlichen Trauscheines,
einem Zwange, der in Hannover auf dem Weg des Ministerialerlasses auf
Wunsch der Stände allgemeine Norm geworden ist. Grade bei einem Volke,
das infolge der Mannigfaltigkeit seiner Beschäftigungsarten auf möglichst aus¬
gedehnte Freizügigkeit angewiesen ist, erscheint jene Bestimmung, die in Preußen
nicht besteht, als lästiges Hinderniß. Befürwortet wird der Trauscheinzwang
durch die heute nicht mehr entschuldbare Täuschung, daß Erschwerung der Ehe
Vor Verarmungen schützt. Das aber ist schlechterdings nicht durch Beschränkung
und Verbot, sondern lediglich durch das Gegentheil zu erreichen, durch Erleichte¬
rung im Gewerbebetrieb und in der Wahl des Wohnortes sowie in allem, was
damit zusammenhängt. Am sichersten zur Armuth führt die Entsittlichung, und
diese wird durch das Erforderniß obrigkeitlichen Consenses zur Verheiratung
gradezu befördert, wie ein Blick auf die Statistik der illegitimen Kinder lehrt.

Hiermit im engsten Zusammenhang steht die Frage der Gewe rb c g esetz-
gebung. Die hannoverische Gewerbeordnung von 1848 ist von allen Coa-


kundigen, daß die persönlichen directen Steuern Hannovers vor der Wissenschaft
schwer bestehen können, schon einen Trost schöpfen, ist zweifelhaft. Aber die
Höhe der Erträge dieser Steuern in Hannover entlarvt die landläufige Vor¬
stellung vom preußischen Steuerdruck nach dieser Richtung als ein leeres Schreck¬
bild. Aus dem Gesichtspunkt der Billigkeit glaubt unsre Schrift der preußischen
Classensteuer und classificirten Einkommensteuer den Vorzug vor den entsprechen¬
den hannoverischen Modalitäten geben zu müssen, wenn sie andrerseits auch
nicht leugnet, daß die Einführung einer Mahl- und Schlachtsteuer als ein Ruck«
schritt empfunden werden würde. Die Quoten der Grundsteuer, welche in
Hannover aufgebracht werden, sind größer als in Preußen. Ebenso ist die
Preußische Gebäudesteuer richtiger und zugleich niedriger als die han-
noversche. In den Verbrauchsabgaben besteht meist schon Uebereinstimmung,
dank dem seiner Zeit lärmend beklagten und heftig bekämpften Beitritt des
Welfenstaats zum Zollverein, der durch Arrondirung im Norden und Osten —
durch die hoffentlich baldige Hereinziehung von Schleswig-Holstein und Mecklen¬
burg — grade für Hannover immer größern Segen entwickeln muß.

Erwerb und Verlust des Unterthan en r cases (Staatsangehörigkeit und
Staatsbürgerthum) sind in Hannover nur durch die Domicilordnung und zwar
ungenügend geregelt. Diesen Mangel wird das preußische Gesetz selbstverständlich
ohne Weiteres ersetzen, was sachlich heute freilich nicht mehr viel auf sich hat. Zu
wünschen wäre größere Freiheit den übrigen Staaten des norddeutschen Bundes
gegenüber. Ein gemeinsames Staatsbürgerthum nach Analogie des weiland
deutschen Neichsbürgerrechts von 1848 wird sehr empfohlen, ein Vorschlag, dem
wir unsrerseits mit Nachdruck beipflichten.

Ein nicht zu unterschätzender Vorzug preußischer Bestimmungen vor den
hannoverischen liegt ferner in dem Wegfall des obrigkeitlichen Trauscheines,
einem Zwange, der in Hannover auf dem Weg des Ministerialerlasses auf
Wunsch der Stände allgemeine Norm geworden ist. Grade bei einem Volke,
das infolge der Mannigfaltigkeit seiner Beschäftigungsarten auf möglichst aus¬
gedehnte Freizügigkeit angewiesen ist, erscheint jene Bestimmung, die in Preußen
nicht besteht, als lästiges Hinderniß. Befürwortet wird der Trauscheinzwang
durch die heute nicht mehr entschuldbare Täuschung, daß Erschwerung der Ehe
Vor Verarmungen schützt. Das aber ist schlechterdings nicht durch Beschränkung
und Verbot, sondern lediglich durch das Gegentheil zu erreichen, durch Erleichte¬
rung im Gewerbebetrieb und in der Wahl des Wohnortes sowie in allem, was
damit zusammenhängt. Am sichersten zur Armuth führt die Entsittlichung, und
diese wird durch das Erforderniß obrigkeitlichen Consenses zur Verheiratung
gradezu befördert, wie ein Blick auf die Statistik der illegitimen Kinder lehrt.

Hiermit im engsten Zusammenhang steht die Frage der Gewe rb c g esetz-
gebung. Die hannoverische Gewerbeordnung von 1848 ist von allen Coa-


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[0299] kundigen, daß die persönlichen directen Steuern Hannovers vor der Wissenschaft schwer bestehen können, schon einen Trost schöpfen, ist zweifelhaft. Aber die Höhe der Erträge dieser Steuern in Hannover entlarvt die landläufige Vor¬ stellung vom preußischen Steuerdruck nach dieser Richtung als ein leeres Schreck¬ bild. Aus dem Gesichtspunkt der Billigkeit glaubt unsre Schrift der preußischen Classensteuer und classificirten Einkommensteuer den Vorzug vor den entsprechen¬ den hannoverischen Modalitäten geben zu müssen, wenn sie andrerseits auch nicht leugnet, daß die Einführung einer Mahl- und Schlachtsteuer als ein Ruck« schritt empfunden werden würde. Die Quoten der Grundsteuer, welche in Hannover aufgebracht werden, sind größer als in Preußen. Ebenso ist die Preußische Gebäudesteuer richtiger und zugleich niedriger als die han- noversche. In den Verbrauchsabgaben besteht meist schon Uebereinstimmung, dank dem seiner Zeit lärmend beklagten und heftig bekämpften Beitritt des Welfenstaats zum Zollverein, der durch Arrondirung im Norden und Osten — durch die hoffentlich baldige Hereinziehung von Schleswig-Holstein und Mecklen¬ burg — grade für Hannover immer größern Segen entwickeln muß. Erwerb und Verlust des Unterthan en r cases (Staatsangehörigkeit und Staatsbürgerthum) sind in Hannover nur durch die Domicilordnung und zwar ungenügend geregelt. Diesen Mangel wird das preußische Gesetz selbstverständlich ohne Weiteres ersetzen, was sachlich heute freilich nicht mehr viel auf sich hat. Zu wünschen wäre größere Freiheit den übrigen Staaten des norddeutschen Bundes gegenüber. Ein gemeinsames Staatsbürgerthum nach Analogie des weiland deutschen Neichsbürgerrechts von 1848 wird sehr empfohlen, ein Vorschlag, dem wir unsrerseits mit Nachdruck beipflichten. Ein nicht zu unterschätzender Vorzug preußischer Bestimmungen vor den hannoverischen liegt ferner in dem Wegfall des obrigkeitlichen Trauscheines, einem Zwange, der in Hannover auf dem Weg des Ministerialerlasses auf Wunsch der Stände allgemeine Norm geworden ist. Grade bei einem Volke, das infolge der Mannigfaltigkeit seiner Beschäftigungsarten auf möglichst aus¬ gedehnte Freizügigkeit angewiesen ist, erscheint jene Bestimmung, die in Preußen nicht besteht, als lästiges Hinderniß. Befürwortet wird der Trauscheinzwang durch die heute nicht mehr entschuldbare Täuschung, daß Erschwerung der Ehe Vor Verarmungen schützt. Das aber ist schlechterdings nicht durch Beschränkung und Verbot, sondern lediglich durch das Gegentheil zu erreichen, durch Erleichte¬ rung im Gewerbebetrieb und in der Wahl des Wohnortes sowie in allem, was damit zusammenhängt. Am sichersten zur Armuth führt die Entsittlichung, und diese wird durch das Erforderniß obrigkeitlichen Consenses zur Verheiratung gradezu befördert, wie ein Blick auf die Statistik der illegitimen Kinder lehrt. Hiermit im engsten Zusammenhang steht die Frage der Gewe rb c g esetz- gebung. Die hannoverische Gewerbeordnung von 1848 ist von allen Coa-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_286147/299>, abgerufen am 04.07.2024.