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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band.

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sei. entscheidet die Qualität dieser Staatsverfassung. Für den in der Natur
ihrer Zusammensetzung begründeten ewigen Krieg der ersten und zweiten Kam¬
mer Hannovers kann sich füglich kein Mensch begeistern wollen. In dem, was
Hannover für jene eintauscht, im preußischen Herrenhause mit den Verbänden
des alten und befestigten Grundbesitzes scheint allerdings keine Gewähr des
Gewinnes zu liegen. Aber darf nicht von der Rückwirkung des preußischen
Ländererwerbs auf dieses Institut, von dem Zuwachs neuer Elemente Besserung
erwartet werden? Auch hier wird die Größe der Zeit, wenn nicht eigene Um¬
gestaltung der Gesinnungen, wie im Abgeordnetenhause, so doch vielleicht die
königliche Initiative des Eingriffes zeitigen, der möglicherweise sogar ohne
Rechtsverletzung geschehen könnte. Mit Nachdruck empfohlen wird dagegen die
Reconstructivli einer hannoverischen Ständeversammlung nach Analogie der preu¬
ßischen Provinziallandtage,. deren Competenz nach der preußischen Verfassung
womöglich mit berathender Zuziehung von Notabeln unter der Voraussetzung
zu "ormiren wäre, daß die jetzt bestehende bunte und sinnlose Mischung der
Provinziallandschafts- und Landdrosteibezirke rationell vereinfacht werde. -- Die
hannoverischen Grundrechte giebt der Verfasser gegen die entsprechenden
freieren und entschiedeneren Bestimmungen der preußischen Verfassungsurkunde
vom 31. Januar 1830, welche vom 1. October 1867 an auch in der Welfenprvvinz
Geltung erhalten, mit-Freuden hin. Ebenso denkt er von den meisten Zweigen
der Staats- und Gemeindeverwaltung, die durch Conformität mit der
preußischen nur gewinnen können. Weder die bisherigen Ministerien*), noch die
Vorerst an ihre Stelle tretenden ähnlichen Behörden können bestehen bleiben,
wohl aber könnten es die 1823 gebildeten Landdrosteicn, welche, durch Zusammen¬
legung arrondirt und vergrößert, den preußischen Regierungen entsprechen wür¬
den. Dabei wird befürwortet, den Provinzen Osnabrück, Ostfriesland und
Bremen, deren Regiminaltörper aus früheren eigenen Regierungen entstanden
sind, den Sitz der Behörden zu belassen.

Ungünstiger zeigt sich das Verhältniß der beiderseitigen unteren Ver¬
waltungsbezirke. Die preußischen Landrathkreisc sind doppelt bis dreifach
so groß wie die hannoverischen Aemter; und in letzteren muß der Amtmann
oder Amtsassessor geprüfter Jurist sei", was beim preußischen Landrath nicht



*) Hierbei macht der Verfasser de" Vorschlag, aus Gründen der Zweckmäßigkeit an die
Provinz Hannover nicht blos die kurhessische Grafschaft Schaumburg anzuschließen, sondern
künftig auch das noch als selbständige Macht bestehende S'chaumburg-Lippe. Dieses bücke-
burgcr Ländchen ist wohl das einzige in Deutschland, i" welchem guts- und grundherrliche
Lasten noch nicht ablösbar sind. Dieser Mangel, der unter anderem Guten den Heimfall der
Bauernhöfe an den Landesherrn möglich macht, sei dem Parlamente zur Abhilfe zu empfehlen.
Ferner besteht dort, obgleich seit fünfzig Jahren durch die selige Bundesacte geboten, keine
landständische Verfassung. Das Ländchen, heißt es, ist dazu zu klein; gut, ist es aber dann
nicht auch für eine Landesregierung zu klein?

sei. entscheidet die Qualität dieser Staatsverfassung. Für den in der Natur
ihrer Zusammensetzung begründeten ewigen Krieg der ersten und zweiten Kam¬
mer Hannovers kann sich füglich kein Mensch begeistern wollen. In dem, was
Hannover für jene eintauscht, im preußischen Herrenhause mit den Verbänden
des alten und befestigten Grundbesitzes scheint allerdings keine Gewähr des
Gewinnes zu liegen. Aber darf nicht von der Rückwirkung des preußischen
Ländererwerbs auf dieses Institut, von dem Zuwachs neuer Elemente Besserung
erwartet werden? Auch hier wird die Größe der Zeit, wenn nicht eigene Um¬
gestaltung der Gesinnungen, wie im Abgeordnetenhause, so doch vielleicht die
königliche Initiative des Eingriffes zeitigen, der möglicherweise sogar ohne
Rechtsverletzung geschehen könnte. Mit Nachdruck empfohlen wird dagegen die
Reconstructivli einer hannoverischen Ständeversammlung nach Analogie der preu¬
ßischen Provinziallandtage,. deren Competenz nach der preußischen Verfassung
womöglich mit berathender Zuziehung von Notabeln unter der Voraussetzung
zu »ormiren wäre, daß die jetzt bestehende bunte und sinnlose Mischung der
Provinziallandschafts- und Landdrosteibezirke rationell vereinfacht werde. — Die
hannoverischen Grundrechte giebt der Verfasser gegen die entsprechenden
freieren und entschiedeneren Bestimmungen der preußischen Verfassungsurkunde
vom 31. Januar 1830, welche vom 1. October 1867 an auch in der Welfenprvvinz
Geltung erhalten, mit-Freuden hin. Ebenso denkt er von den meisten Zweigen
der Staats- und Gemeindeverwaltung, die durch Conformität mit der
preußischen nur gewinnen können. Weder die bisherigen Ministerien*), noch die
Vorerst an ihre Stelle tretenden ähnlichen Behörden können bestehen bleiben,
wohl aber könnten es die 1823 gebildeten Landdrosteicn, welche, durch Zusammen¬
legung arrondirt und vergrößert, den preußischen Regierungen entsprechen wür¬
den. Dabei wird befürwortet, den Provinzen Osnabrück, Ostfriesland und
Bremen, deren Regiminaltörper aus früheren eigenen Regierungen entstanden
sind, den Sitz der Behörden zu belassen.

Ungünstiger zeigt sich das Verhältniß der beiderseitigen unteren Ver¬
waltungsbezirke. Die preußischen Landrathkreisc sind doppelt bis dreifach
so groß wie die hannoverischen Aemter; und in letzteren muß der Amtmann
oder Amtsassessor geprüfter Jurist sei», was beim preußischen Landrath nicht



*) Hierbei macht der Verfasser de» Vorschlag, aus Gründen der Zweckmäßigkeit an die
Provinz Hannover nicht blos die kurhessische Grafschaft Schaumburg anzuschließen, sondern
künftig auch das noch als selbständige Macht bestehende S'chaumburg-Lippe. Dieses bücke-
burgcr Ländchen ist wohl das einzige in Deutschland, i» welchem guts- und grundherrliche
Lasten noch nicht ablösbar sind. Dieser Mangel, der unter anderem Guten den Heimfall der
Bauernhöfe an den Landesherrn möglich macht, sei dem Parlamente zur Abhilfe zu empfehlen.
Ferner besteht dort, obgleich seit fünfzig Jahren durch die selige Bundesacte geboten, keine
landständische Verfassung. Das Ländchen, heißt es, ist dazu zu klein; gut, ist es aber dann
nicht auch für eine Landesregierung zu klein?
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[0296] sei. entscheidet die Qualität dieser Staatsverfassung. Für den in der Natur ihrer Zusammensetzung begründeten ewigen Krieg der ersten und zweiten Kam¬ mer Hannovers kann sich füglich kein Mensch begeistern wollen. In dem, was Hannover für jene eintauscht, im preußischen Herrenhause mit den Verbänden des alten und befestigten Grundbesitzes scheint allerdings keine Gewähr des Gewinnes zu liegen. Aber darf nicht von der Rückwirkung des preußischen Ländererwerbs auf dieses Institut, von dem Zuwachs neuer Elemente Besserung erwartet werden? Auch hier wird die Größe der Zeit, wenn nicht eigene Um¬ gestaltung der Gesinnungen, wie im Abgeordnetenhause, so doch vielleicht die königliche Initiative des Eingriffes zeitigen, der möglicherweise sogar ohne Rechtsverletzung geschehen könnte. Mit Nachdruck empfohlen wird dagegen die Reconstructivli einer hannoverischen Ständeversammlung nach Analogie der preu¬ ßischen Provinziallandtage,. deren Competenz nach der preußischen Verfassung womöglich mit berathender Zuziehung von Notabeln unter der Voraussetzung zu »ormiren wäre, daß die jetzt bestehende bunte und sinnlose Mischung der Provinziallandschafts- und Landdrosteibezirke rationell vereinfacht werde. — Die hannoverischen Grundrechte giebt der Verfasser gegen die entsprechenden freieren und entschiedeneren Bestimmungen der preußischen Verfassungsurkunde vom 31. Januar 1830, welche vom 1. October 1867 an auch in der Welfenprvvinz Geltung erhalten, mit-Freuden hin. Ebenso denkt er von den meisten Zweigen der Staats- und Gemeindeverwaltung, die durch Conformität mit der preußischen nur gewinnen können. Weder die bisherigen Ministerien*), noch die Vorerst an ihre Stelle tretenden ähnlichen Behörden können bestehen bleiben, wohl aber könnten es die 1823 gebildeten Landdrosteicn, welche, durch Zusammen¬ legung arrondirt und vergrößert, den preußischen Regierungen entsprechen wür¬ den. Dabei wird befürwortet, den Provinzen Osnabrück, Ostfriesland und Bremen, deren Regiminaltörper aus früheren eigenen Regierungen entstanden sind, den Sitz der Behörden zu belassen. Ungünstiger zeigt sich das Verhältniß der beiderseitigen unteren Ver¬ waltungsbezirke. Die preußischen Landrathkreisc sind doppelt bis dreifach so groß wie die hannoverischen Aemter; und in letzteren muß der Amtmann oder Amtsassessor geprüfter Jurist sei», was beim preußischen Landrath nicht *) Hierbei macht der Verfasser de» Vorschlag, aus Gründen der Zweckmäßigkeit an die Provinz Hannover nicht blos die kurhessische Grafschaft Schaumburg anzuschließen, sondern künftig auch das noch als selbständige Macht bestehende S'chaumburg-Lippe. Dieses bücke- burgcr Ländchen ist wohl das einzige in Deutschland, i» welchem guts- und grundherrliche Lasten noch nicht ablösbar sind. Dieser Mangel, der unter anderem Guten den Heimfall der Bauernhöfe an den Landesherrn möglich macht, sei dem Parlamente zur Abhilfe zu empfehlen. Ferner besteht dort, obgleich seit fünfzig Jahren durch die selige Bundesacte geboten, keine landständische Verfassung. Das Ländchen, heißt es, ist dazu zu klein; gut, ist es aber dann nicht auch für eine Landesregierung zu klein?

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_286147/296>, abgerufen am 30.06.2024.