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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band.

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von Rovergue, welcher in einem "Nügelied" dem Gordon seine Unwissenheit in
Beziehung auf eine Reihe von Sagen und Dichterwerken vorhält, deren Kennt¬
niß ihm Anspruch auf eine Stelle unter den "guten Spielleuten des Landes"
verstatten würde. Es versteht sich, daß diese vier gleichartigen Quellenschriften
einander vielfach wiederholen und bestätigen und daß si,c oft nur die Zahl der
Zeugnisse für das Vorhandensein gewisser Dichtungen vermehren, deren einstige
Existenz schon durch Hinweisungen der Trobadors außer Zweifel gestellt ist.
Dafür hat aber ihrer jede auch des Eigenthümlichen nicht wenig und dann
gebührt ihrer Aussage wenigstens reifliche Erwägung, wenn auch nicht immer
unbedingtes Vertrauen. Schwierig zu entscheiden ist oft namentlich, ob das
provenzalische Zeugniß das Bestehen eines Gedichtes in der Landessprache oder
der französischen über irgendeinen z. B. dem Alterthum angehörenden Helden
verbürge oder blos die unter den Sangeskundigen und einzelnen Gebildeten
Vorhandene Kenntniß seines Namens und einiger Hauptzüge der Sage; sehr oft
gehören mehre gesondert aufgeführte Heldennamen, gesetzt auch, sie seien im
provenzalischen Sänge verherrlicht worden, höchst wahrscheinlich einer und der¬
selben Dichtung an, so z. B. von den in Flammea genannten Priamus, Ulixes,
Hektor und Achilles; Dido, Aeneas und Lavinia. Unter den der alten Litera¬
tur entnommenen Sagengegenständen, deren Bearbeitung durch provenzalische
oder altfranzösische Dichter sonst nicht erwiesen ist, ja auf die sonst nicht ein¬
mal eine Hinweisung bei den Trobadors vorzukommen scheint, nennen wir
beispielsweise: Hero und Leander, die Gründung Thebens durch Kadmus,
die Arbeiten des Hercules, die Verwandlung der Phyllis, Dädalus und
Ikarus u. s. w.

Schließen wir hieran noch die Erwähnung, daß wir aus Flammea von
der Existenz einer beim Volfe beliebten Liederart, genannt calsnÄs, eng-la (Maien¬
anfang) erfahren und daß uns darin selbst eine kleine, aber vielleicht nicht ganz
echte Probe derselben gegeben wird; von der. wie es scheint, damit verwandten
Dichtungsart der äovmots, giebt Flammea leider nur den Namen. Der salut
"Gruß" d. h. die poetische Liebescpistel war schon früher hinlänglich und zwar
aus zahlreichen Beispielen bekannt, dagegen ersehen wir aus Flamencg. daß
und wie ein solches Gedicht bei der Übersendung mit Malereien geziert werden
mochte: "Zur Linken der Verse kniete eine Person derjenigen zugewandt, welche
auf der andern Seite des Gedichtes stand; aus dem Munde der ersteren kam
ein Blüthenzweiglein. dessen Ranken die Versanfänge umspannten; ein zweites
Zweiglcjn faßte die Versenden zusammen und führte zu dem Ohre der
zweiten Person,, welcher Minne in Engelsgestalt zuzuraunen schien, sie solle
quf den Gruß qchten. Flammea erkannte in dem Knieenden den Wilhelm, qls
sähe sie ihn vor sich, und in der zweiten Gestalt ihre eigene, als wäre sie es
selbst." --


von Rovergue, welcher in einem „Nügelied" dem Gordon seine Unwissenheit in
Beziehung auf eine Reihe von Sagen und Dichterwerken vorhält, deren Kennt¬
niß ihm Anspruch auf eine Stelle unter den „guten Spielleuten des Landes"
verstatten würde. Es versteht sich, daß diese vier gleichartigen Quellenschriften
einander vielfach wiederholen und bestätigen und daß si,c oft nur die Zahl der
Zeugnisse für das Vorhandensein gewisser Dichtungen vermehren, deren einstige
Existenz schon durch Hinweisungen der Trobadors außer Zweifel gestellt ist.
Dafür hat aber ihrer jede auch des Eigenthümlichen nicht wenig und dann
gebührt ihrer Aussage wenigstens reifliche Erwägung, wenn auch nicht immer
unbedingtes Vertrauen. Schwierig zu entscheiden ist oft namentlich, ob das
provenzalische Zeugniß das Bestehen eines Gedichtes in der Landessprache oder
der französischen über irgendeinen z. B. dem Alterthum angehörenden Helden
verbürge oder blos die unter den Sangeskundigen und einzelnen Gebildeten
Vorhandene Kenntniß seines Namens und einiger Hauptzüge der Sage; sehr oft
gehören mehre gesondert aufgeführte Heldennamen, gesetzt auch, sie seien im
provenzalischen Sänge verherrlicht worden, höchst wahrscheinlich einer und der¬
selben Dichtung an, so z. B. von den in Flammea genannten Priamus, Ulixes,
Hektor und Achilles; Dido, Aeneas und Lavinia. Unter den der alten Litera¬
tur entnommenen Sagengegenständen, deren Bearbeitung durch provenzalische
oder altfranzösische Dichter sonst nicht erwiesen ist, ja auf die sonst nicht ein¬
mal eine Hinweisung bei den Trobadors vorzukommen scheint, nennen wir
beispielsweise: Hero und Leander, die Gründung Thebens durch Kadmus,
die Arbeiten des Hercules, die Verwandlung der Phyllis, Dädalus und
Ikarus u. s. w.

Schließen wir hieran noch die Erwähnung, daß wir aus Flammea von
der Existenz einer beim Volfe beliebten Liederart, genannt calsnÄs, eng-la (Maien¬
anfang) erfahren und daß uns darin selbst eine kleine, aber vielleicht nicht ganz
echte Probe derselben gegeben wird; von der. wie es scheint, damit verwandten
Dichtungsart der äovmots, giebt Flammea leider nur den Namen. Der salut
„Gruß" d. h. die poetische Liebescpistel war schon früher hinlänglich und zwar
aus zahlreichen Beispielen bekannt, dagegen ersehen wir aus Flamencg. daß
und wie ein solches Gedicht bei der Übersendung mit Malereien geziert werden
mochte: „Zur Linken der Verse kniete eine Person derjenigen zugewandt, welche
auf der andern Seite des Gedichtes stand; aus dem Munde der ersteren kam
ein Blüthenzweiglein. dessen Ranken die Versanfänge umspannten; ein zweites
Zweiglcjn faßte die Versenden zusammen und führte zu dem Ohre der
zweiten Person,, welcher Minne in Engelsgestalt zuzuraunen schien, sie solle
quf den Gruß qchten. Flammea erkannte in dem Knieenden den Wilhelm, qls
sähe sie ihn vor sich, und in der zweiten Gestalt ihre eigene, als wäre sie es
selbst." —


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_286147/282>, abgerufen am 04.07.2024.