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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band.

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der Darstellung des gesellschaftlichen Lebens mit seinen Bedürfnissen und Hilfs¬
mitteln, den Gegenständen des täglichen Bedarfs und des Schmuckes u. f. w.
veranlaßt werden, tiefere Griffe in den Sprachschatz zu thun. Zu der Zahl
dieser letzteren nun gehört Flammea, ja es läßt sich diesem Romane als Quelle
für die provenzalische Lexikographie so leicht kein anderes an die Seite stellen.
Freilich sind der Wörter, die wir nur aus ihm kennen, ohne daß der Zusammen¬
hang oder die augenscheinliche Verwandtschaft mit bekannten einen Schluß auf
die Bedeutung gestatten, nicht wenige, und sie lehren uns aufs neue den Werth
der Bibelübersetzungen und des provenzalischen Reimwörterbuchs schätzen, welche
über den Sinn ihrer nana selten einem Zweifel Raum lassen; in der Mehr¬
zahl der Fälle dagegen legt der Zusammenhang oder des Wortes Bildung die
richtige Uebersetzung nahe.

Mehr nur ein glücklicher Einfall des Dichters als das Wesen seiner
Schöpfung macht dieselbe zu einer wichtigen Quelle für die Geschichte der
Literatur des mittelalterlichen Frankreichs. Wir haben hier jene Stelle im
Auge, wo bei Anlaß der Schilderung des Festes, welches Archimbald bei Fla-
mencas Ankunft in ihrer neuen Heimath veranstaltet, der Dichter sehr eingehend
von der Thätigkeit der zahlreichen anwesenden Spielleute spricht. Er nennt die
Instrumente, welche sie zu spielen Pflegten, Harfe, Fiedel, Flöte, Pfeife, Geige,
Zither, Dudelsack und jene vielen andern, von deren Beschaffenheit und Klang
wir kaum mehr etwas wissen; er verzeichnet die Gauklerkünste, womit sie den
Gästen die Zeit vertrieben, das Messerauffangen, das Tanzen, das Springen
durch den Reif, die Purzelbäume u. tgi., und zuletzt zählt er die lange Reihe
der Dichtungen auf, welche man bei solchen Gelegenheiten von ihnen zu hören
bekommen konnte, Dichtungen, deren Titel in solcher Zahl zu uns erhaltenen,
fast ausschließlich jedoch nordfranzösischen Werken passen, daß kein Grund vor¬
handen ist, an dem einstigen Vorhandensein auch der übrigen zu zweifeln. Es
bildet dieses Verzeichniß ein wichtiges Seitenstück zu drei uns anderwärts auf¬
bewahrten und entschädigt uns, mit ihnen zusammengehalten, bis zu einem
gewissen Grade dafür, daß die sonstigen literarhistorischen Aufzeichnungen aus
provenzalischer Feder sich beinahe ausschließlich mit den Minnesingern beschäf¬
tigen. Indessen ist nicht zu läugnen. daß der Verfasser des Romanes von
Flammea, wenn er die Schilderung der Festfreude durch seine Aufzählung unter¬
bricht, eine weniger passende Form gefunden hat, um seine allerdings nicht
geringe Literaturkenntniß "n den Tag zu legen, als Girard von Cabrcira.
welcher seinerseits in einem besonderen Gedichte dem Spielmann Cabra her¬
zählt, was ihm alles an erzählenden und an lyrischen Dichtungen geläufig sein
und welche musikalischen und gymnastischen Künste er erlernt haben sollte, um
seinem Berufe zu genügen, oder als Giraud von Calanson, welcher in der näm¬
lichen Weise sich an den Spielmann Fabel wendet, oder als Bertram de Paris


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der Darstellung des gesellschaftlichen Lebens mit seinen Bedürfnissen und Hilfs¬
mitteln, den Gegenständen des täglichen Bedarfs und des Schmuckes u. f. w.
veranlaßt werden, tiefere Griffe in den Sprachschatz zu thun. Zu der Zahl
dieser letzteren nun gehört Flammea, ja es läßt sich diesem Romane als Quelle
für die provenzalische Lexikographie so leicht kein anderes an die Seite stellen.
Freilich sind der Wörter, die wir nur aus ihm kennen, ohne daß der Zusammen¬
hang oder die augenscheinliche Verwandtschaft mit bekannten einen Schluß auf
die Bedeutung gestatten, nicht wenige, und sie lehren uns aufs neue den Werth
der Bibelübersetzungen und des provenzalischen Reimwörterbuchs schätzen, welche
über den Sinn ihrer nana selten einem Zweifel Raum lassen; in der Mehr¬
zahl der Fälle dagegen legt der Zusammenhang oder des Wortes Bildung die
richtige Uebersetzung nahe.

Mehr nur ein glücklicher Einfall des Dichters als das Wesen seiner
Schöpfung macht dieselbe zu einer wichtigen Quelle für die Geschichte der
Literatur des mittelalterlichen Frankreichs. Wir haben hier jene Stelle im
Auge, wo bei Anlaß der Schilderung des Festes, welches Archimbald bei Fla-
mencas Ankunft in ihrer neuen Heimath veranstaltet, der Dichter sehr eingehend
von der Thätigkeit der zahlreichen anwesenden Spielleute spricht. Er nennt die
Instrumente, welche sie zu spielen Pflegten, Harfe, Fiedel, Flöte, Pfeife, Geige,
Zither, Dudelsack und jene vielen andern, von deren Beschaffenheit und Klang
wir kaum mehr etwas wissen; er verzeichnet die Gauklerkünste, womit sie den
Gästen die Zeit vertrieben, das Messerauffangen, das Tanzen, das Springen
durch den Reif, die Purzelbäume u. tgi., und zuletzt zählt er die lange Reihe
der Dichtungen auf, welche man bei solchen Gelegenheiten von ihnen zu hören
bekommen konnte, Dichtungen, deren Titel in solcher Zahl zu uns erhaltenen,
fast ausschließlich jedoch nordfranzösischen Werken passen, daß kein Grund vor¬
handen ist, an dem einstigen Vorhandensein auch der übrigen zu zweifeln. Es
bildet dieses Verzeichniß ein wichtiges Seitenstück zu drei uns anderwärts auf¬
bewahrten und entschädigt uns, mit ihnen zusammengehalten, bis zu einem
gewissen Grade dafür, daß die sonstigen literarhistorischen Aufzeichnungen aus
provenzalischer Feder sich beinahe ausschließlich mit den Minnesingern beschäf¬
tigen. Indessen ist nicht zu läugnen. daß der Verfasser des Romanes von
Flammea, wenn er die Schilderung der Festfreude durch seine Aufzählung unter¬
bricht, eine weniger passende Form gefunden hat, um seine allerdings nicht
geringe Literaturkenntniß «n den Tag zu legen, als Girard von Cabrcira.
welcher seinerseits in einem besonderen Gedichte dem Spielmann Cabra her¬
zählt, was ihm alles an erzählenden und an lyrischen Dichtungen geläufig sein
und welche musikalischen und gymnastischen Künste er erlernt haben sollte, um
seinem Berufe zu genügen, oder als Giraud von Calanson, welcher in der näm¬
lichen Weise sich an den Spielmann Fabel wendet, oder als Bertram de Paris


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_286147/281>, abgerufen am 04.07.2024.