Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band.antes so trefflich gewartet, daß selbst der Thurm und das Münster sich darob Es ist wohl auch ein leiser Spott auf fromme Pedanterei, wenn Wilhelm Haben wir oben ausgesprochen, daß der Verfasser unseres Romans sich Worin die Krankheit lag, was die Zerrüttung des Organismus herbei- antes so trefflich gewartet, daß selbst der Thurm und das Münster sich darob Es ist wohl auch ein leiser Spott auf fromme Pedanterei, wenn Wilhelm Haben wir oben ausgesprochen, daß der Verfasser unseres Romans sich Worin die Krankheit lag, was die Zerrüttung des Organismus herbei- <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0278" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/286426"/> <p xml:id="ID_803" prev="#ID_802"> antes so trefflich gewartet, daß selbst der Thurm und das Münster sich darob<lb/> verwundert hätten. Dahin ferner die Auslassung über die vielberührte Unfähig¬<lb/> keit der Frauen, der Schönheit anderer Evastöchter gerecht zu werden. Flamen-<lb/> cas Liebreiz erzwingt sich die Bewunderung aller anwesenden Damen; und,<lb/> sagt der Dichter.</p><lb/> <lg xml:id="POEMID_14" type="poem"> <l/> </lg><lb/> <p xml:id="ID_804"> Es ist wohl auch ein leiser Spott auf fromme Pedanterei, wenn Wilhelm<lb/> seinem Vorgänger im Kirchendienste den Spruch: trat pax in virww (Psalm<lb/> 121. 7) als denjenigen bezeichnet, welcher bei der Ertheilung des Segens den<lb/> Besuchern der Kirche zum Kusse hinzuhalten sei, und daran zur Begründung<lb/> die gelehrte Notiz knüpft, David habe nach Vollendung des Psalters dem Sa-<lb/> lomo anbefohlen, jenen Spruch täglich zu küssen, und so lange Salomo gelebt<lb/> habe, sei der Friede in seinem Reiche nie gestört worden.</p><lb/> <p xml:id="ID_805"> Haben wir oben ausgesprochen, daß der Verfasser unseres Romans sich<lb/> innerhalb der Grenzen der literarischen Bildung seiner Zeitgenossen bewege, und<lb/> müssen wir daran das Urtheil schließen, er habe in dieser Richtung den geistigen<lb/> Besitz seines Volkes nicht wesentlich geäußert oder doch nur etwa insofern, als<lb/> er in einer umfangreichen Leistung statt einer fernen Vergangenheit oder einer<lb/> erträumten Wunderwelt das tägliche Leben seiner Zeit dichterisch verklärt habe,<lb/> so dürfen wir in Bezug auf den sittlichen Gekalt seines Werkes ein ähnliches<lb/> Urtheil fällen, und hier wie dort liegt im Tadel eine Entschuldigung, in der<lb/> Entschuldigung ein Tadel: der Dichter steht weder ästhetisch noch sittlich hoch,<lb/> aber er steht so hoch als die Gesellschaft, der er angehört; und andererseits:<lb/> der Geschmack und die Sittlichkeit der Gesellschaft, in welcher er gelebt hat.<lb/> waren krank, aber er hat nichts gethan, ihnen die Gesundheit wieder zu geben.</p><lb/> <p xml:id="ID_806" next="#ID_807"> Worin die Krankheit lag, was die Zerrüttung des Organismus herbei-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0278]
antes so trefflich gewartet, daß selbst der Thurm und das Münster sich darob
verwundert hätten. Dahin ferner die Auslassung über die vielberührte Unfähig¬
keit der Frauen, der Schönheit anderer Evastöchter gerecht zu werden. Flamen-
cas Liebreiz erzwingt sich die Bewunderung aller anwesenden Damen; und,
sagt der Dichter.
Es ist wohl auch ein leiser Spott auf fromme Pedanterei, wenn Wilhelm
seinem Vorgänger im Kirchendienste den Spruch: trat pax in virww (Psalm
121. 7) als denjenigen bezeichnet, welcher bei der Ertheilung des Segens den
Besuchern der Kirche zum Kusse hinzuhalten sei, und daran zur Begründung
die gelehrte Notiz knüpft, David habe nach Vollendung des Psalters dem Sa-
lomo anbefohlen, jenen Spruch täglich zu küssen, und so lange Salomo gelebt
habe, sei der Friede in seinem Reiche nie gestört worden.
Haben wir oben ausgesprochen, daß der Verfasser unseres Romans sich
innerhalb der Grenzen der literarischen Bildung seiner Zeitgenossen bewege, und
müssen wir daran das Urtheil schließen, er habe in dieser Richtung den geistigen
Besitz seines Volkes nicht wesentlich geäußert oder doch nur etwa insofern, als
er in einer umfangreichen Leistung statt einer fernen Vergangenheit oder einer
erträumten Wunderwelt das tägliche Leben seiner Zeit dichterisch verklärt habe,
so dürfen wir in Bezug auf den sittlichen Gekalt seines Werkes ein ähnliches
Urtheil fällen, und hier wie dort liegt im Tadel eine Entschuldigung, in der
Entschuldigung ein Tadel: der Dichter steht weder ästhetisch noch sittlich hoch,
aber er steht so hoch als die Gesellschaft, der er angehört; und andererseits:
der Geschmack und die Sittlichkeit der Gesellschaft, in welcher er gelebt hat.
waren krank, aber er hat nichts gethan, ihnen die Gesundheit wieder zu geben.
Worin die Krankheit lag, was die Zerrüttung des Organismus herbei-
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