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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band.

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einen Strahl gesandt, und wäre das Wölkchen nicht gewesen, das die Stirn¬
binde Flamencas bildete, dann hatte diese zweite Sonne genügt, den dunkeln
Winkel zu erhellen, so überschreitet er denn doch die Grenzen des guten -- wir
wollen einstweilen nur sagen Erzählerstiles. Beinahe unverständlich wird er an
einer andern Stelle, wo er die zwei Seiten, die er an der Minne findet, ein¬
ander gegenüberstellt, ohne sich der Anwendung eines und desselben Wortes für
die zwei Gegensätze zu enthalten: "Minne sogar hilft nicht gegen Minne; denn
wenn Minne gegen Minne hülfe, so liebte ja niemand wie ich und Minne
müßte mir wohl helfen und gegen Minne beistehn." und es thut wahrlich
Noth, daß er erklärend fortfährt: "Denn Minne ist das Uebel, daran man
leidet, und Minne ist das. wodurch das Uebel hervorgebracht wird" (etwa:
Liebesschmerz und Liebessehnsucht). Ein ander Mal drückt er den Gedanken,
daß Wilhelm "einsam nicht alleine". dagegen inmitten fröhlicher Geselligkeit
vereinsamt gewesen sei, mit einem ziemlich ausgesponnenen Wortspiel aus. dessen
Elemente 8olg.t2 (Unterhaltung, Gesellschaft) nebst der Ableitung 8olg.88g,t und
andererseits 8o1 (allein) mit der Ableitung asolat sind. Den Archimbald nennt
er irgendwo Altos eng.rrit, den bekümmerten Eifersüchtigen, und fügt bei:
"wenn ihr wollt, so nennt ihn MArit, g-nos, den eifersüchtigen Ehemann;" und
bald darauf spielt er mit dem zweideutigen mal traixe, dessen Sinn das eine
Mal "schlecht schließen", das andere Mal "unglücklich sein" (eigentlich: "Leid
schleppen") ist. Er verbreitet sich mit Gründlichkeit über die Frage, ob es
für Liebende höhere Wonne sei. sich in die Augen zu schauen oder sich zu küssen,
und kommt dabei zum Schlüsse, die Augen seien die treuerer Vermittler beim
Liebesaustausch, da sie nicht wie der Mund etwas von dem Empfangenen für
sich behalten, sondern es ungeschmälert zum Herzen gelangen lassen, wogegen
dem Kusse als der Bestätigung der innerlich gefühlten Liebeslust ebenfalls eine
gewisse Berechtigung zugesprochen wird. Der Liebende, lehrt unser Dichter
anderswo, soll fester sein denn Diamant; das ist schon an den Namen für
beide zu beweisen (airig-u und g^iraarr). ^.siimav ist ein zusammengesetztes Wort;
es ist gleich amair mehr 21; auch das lateinische g.nig.eng.8, aus welchem jenes
entstanden, zerfällt in aä und g-mas. ^eng,n dagegen ist einfach, unzerlegbar.
Nun aber ist alles Zusammengesetzte vergänglich, das Einfache besteht, wie
denn Hinfälligkeit das Loos aller irdischen Dinge ist, während die Elemente,
aus welchen sie gebildet sind, ewig dauern; also ist auch ein Liebender (amten)
fester als ein Diamant (aximan); was zu beweisen war.

Von eigenthümlicher Wirkung sind in dem sonst ernsthaft gehaltenen Ganzen
vereinzelte scherzhafte Ausdrücke und ironische oder satirische Ergüsse. Dahin
gehört z. B. die Redensart van MMr g. tauig, wossa für "sie gehn zu Tische";
WMi- g, tauig, bedeutet nämlich "das Bretspiel spielen", tauig, messn, aber ist
der "gedeckte Tisch". Dahin die drollige Hyperbel, Wilhelm habe seines Glöckner-


einen Strahl gesandt, und wäre das Wölkchen nicht gewesen, das die Stirn¬
binde Flamencas bildete, dann hatte diese zweite Sonne genügt, den dunkeln
Winkel zu erhellen, so überschreitet er denn doch die Grenzen des guten — wir
wollen einstweilen nur sagen Erzählerstiles. Beinahe unverständlich wird er an
einer andern Stelle, wo er die zwei Seiten, die er an der Minne findet, ein¬
ander gegenüberstellt, ohne sich der Anwendung eines und desselben Wortes für
die zwei Gegensätze zu enthalten: „Minne sogar hilft nicht gegen Minne; denn
wenn Minne gegen Minne hülfe, so liebte ja niemand wie ich und Minne
müßte mir wohl helfen und gegen Minne beistehn." und es thut wahrlich
Noth, daß er erklärend fortfährt: „Denn Minne ist das Uebel, daran man
leidet, und Minne ist das. wodurch das Uebel hervorgebracht wird" (etwa:
Liebesschmerz und Liebessehnsucht). Ein ander Mal drückt er den Gedanken,
daß Wilhelm „einsam nicht alleine". dagegen inmitten fröhlicher Geselligkeit
vereinsamt gewesen sei, mit einem ziemlich ausgesponnenen Wortspiel aus. dessen
Elemente 8olg.t2 (Unterhaltung, Gesellschaft) nebst der Ableitung 8olg.88g,t und
andererseits 8o1 (allein) mit der Ableitung asolat sind. Den Archimbald nennt
er irgendwo Altos eng.rrit, den bekümmerten Eifersüchtigen, und fügt bei:
„wenn ihr wollt, so nennt ihn MArit, g-nos, den eifersüchtigen Ehemann;" und
bald darauf spielt er mit dem zweideutigen mal traixe, dessen Sinn das eine
Mal „schlecht schließen", das andere Mal „unglücklich sein" (eigentlich: „Leid
schleppen") ist. Er verbreitet sich mit Gründlichkeit über die Frage, ob es
für Liebende höhere Wonne sei. sich in die Augen zu schauen oder sich zu küssen,
und kommt dabei zum Schlüsse, die Augen seien die treuerer Vermittler beim
Liebesaustausch, da sie nicht wie der Mund etwas von dem Empfangenen für
sich behalten, sondern es ungeschmälert zum Herzen gelangen lassen, wogegen
dem Kusse als der Bestätigung der innerlich gefühlten Liebeslust ebenfalls eine
gewisse Berechtigung zugesprochen wird. Der Liebende, lehrt unser Dichter
anderswo, soll fester sein denn Diamant; das ist schon an den Namen für
beide zu beweisen (airig-u und g^iraarr). ^.siimav ist ein zusammengesetztes Wort;
es ist gleich amair mehr 21; auch das lateinische g.nig.eng.8, aus welchem jenes
entstanden, zerfällt in aä und g-mas. ^eng,n dagegen ist einfach, unzerlegbar.
Nun aber ist alles Zusammengesetzte vergänglich, das Einfache besteht, wie
denn Hinfälligkeit das Loos aller irdischen Dinge ist, während die Elemente,
aus welchen sie gebildet sind, ewig dauern; also ist auch ein Liebender (amten)
fester als ein Diamant (aximan); was zu beweisen war.

Von eigenthümlicher Wirkung sind in dem sonst ernsthaft gehaltenen Ganzen
vereinzelte scherzhafte Ausdrücke und ironische oder satirische Ergüsse. Dahin
gehört z. B. die Redensart van MMr g. tauig, wossa für „sie gehn zu Tische";
WMi- g, tauig, bedeutet nämlich „das Bretspiel spielen", tauig, messn, aber ist
der „gedeckte Tisch". Dahin die drollige Hyperbel, Wilhelm habe seines Glöckner-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_286147/277>, abgerufen am 04.07.2024.