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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band.

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lich. da er ihm die Stelle zeigt und damit möglich macht, das Blatt, welches
Flamencas Lippen berührt haben, gleichfalls tausendmal an den Murtd zu
drücken. Im Traume der folgenden Nacht erscheint ihm die Geliebte und giebt
ihm, nachdem sein Flehen ihr Herz gewonnen hat, selbst den Rath, der Stell¬
vertreter des jugendlichen Ministranten zu werden, welcher auch ihr in der
Kirche den Segen zu geben Pflegt, weil er so bei jedem Zusammentreffen in
der Kirche wenigstens ein Wort unbemerkt zu ihr sprechen könne, und macht
ihn ferner darauf aufmerksam, daß es ihm ein Leichtes sein werde, zwischen
seiner Kammer und dem Baderaume, den sie in Peter Guidos Hause zu be¬
suchen Pflege, einen unterirdischen Weg herzustellen, auf welchem er zu ihr ge-
langen möge. Wilhelm schreitet zur Ausführung. Der Priester Justin, den
er wie den jungen Kirchendiener durch Einladungen und Geschenke für sich
gewonnen hat. willigt gern in die Entfernung seines Gehilfen, welchen der
freigebige Ritter für zwei Jahre auf die Schule von Paris schickt, und in die
Vertretung desselben durch Wilhelm, der ihn glauben macht, er gehöre bereits
dem geistlichen Stande an und beabsichtige zur Erfüllung seiner lange versäumten
kirchlichen Pflichten zurückzukehren. Nicht minder dienstbeflissen erweist sich der
Wirth; er räumt ihm. damit er ganz ungestört der Pflege seiner Gesundheit
leben könne, willig auf einige Zeit das ganze Haus ein. Wilhelm benutzt diese
Frist, um durch herbestellte Werkleute den unterirdischen Gang graben zu lassen,
und sein geistliches Amt, um sich mit Flammea zu besprechen^ Am Nächsten
Sonntag nämlich flüstert er, während er ihr das Psalmbuch zum Kusse reicht,
ihr zu: Weh mir! Sie vernimmt es wohl, und beim folgenden Zusammen¬
treffen fragt sie, wie sie es inzwischen in langer Berathung mit den treu erge¬
benen Dienerinnen ausgemacht hat, mit nicht geringerer Vorsicht: Was klagst?
Auf diesem Wege kommt im Verlaufe von drei Monaten, da nur Sonn- oder
Feiertage Gelegenheit zum Wiedersehn geben und die Kürze desselben kaum mehr
als zwei Sylben zu sprechen gestattet, folgendes Gespräch zu Stande: Weh
mir! -- Was klagst? -- Ich sterb. -- Vor was? -- Vor Lieb. -- Für
wen? -- Für euch. -- Was thun? -- Heile mich. -- Doch wie? -- Mit
List. -- Sorg denn. -- Gesorgt! -- Und wie? -- Ihr geht. -- Wohin?
-- Ins Bad. -- Und wann? -- Recht bald. -- Es sei! --

So kommt es denn endlich zu einer ungestörten Zusammenkunft und, da
Flammea durch Vorgeben einer Krankheit ihren Gatten bestimmt, häufige Gänge
ins Bad zu erlauben, zu mehrern. Und wenn auch Archimbald sie jedesmal
ins Haus Peter Guidos geleitet, so bemerkt er doch von der mit einer Stein¬
platte bedeckten Mündung jenes verborgenen Weges trotz alles Spähens nichts
und läßt die Ungetreue bald mit ihren Dienerinnen allein; diese selbst
werden dann durch zwei Untergebene Wilhelms, welche dieser in sein Geheimniß
gezogen und in die Badestube mitgebracht hat, so angenehm in Anspruch ge-


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lich. da er ihm die Stelle zeigt und damit möglich macht, das Blatt, welches
Flamencas Lippen berührt haben, gleichfalls tausendmal an den Murtd zu
drücken. Im Traume der folgenden Nacht erscheint ihm die Geliebte und giebt
ihm, nachdem sein Flehen ihr Herz gewonnen hat, selbst den Rath, der Stell¬
vertreter des jugendlichen Ministranten zu werden, welcher auch ihr in der
Kirche den Segen zu geben Pflegt, weil er so bei jedem Zusammentreffen in
der Kirche wenigstens ein Wort unbemerkt zu ihr sprechen könne, und macht
ihn ferner darauf aufmerksam, daß es ihm ein Leichtes sein werde, zwischen
seiner Kammer und dem Baderaume, den sie in Peter Guidos Hause zu be¬
suchen Pflege, einen unterirdischen Weg herzustellen, auf welchem er zu ihr ge-
langen möge. Wilhelm schreitet zur Ausführung. Der Priester Justin, den
er wie den jungen Kirchendiener durch Einladungen und Geschenke für sich
gewonnen hat. willigt gern in die Entfernung seines Gehilfen, welchen der
freigebige Ritter für zwei Jahre auf die Schule von Paris schickt, und in die
Vertretung desselben durch Wilhelm, der ihn glauben macht, er gehöre bereits
dem geistlichen Stande an und beabsichtige zur Erfüllung seiner lange versäumten
kirchlichen Pflichten zurückzukehren. Nicht minder dienstbeflissen erweist sich der
Wirth; er räumt ihm. damit er ganz ungestört der Pflege seiner Gesundheit
leben könne, willig auf einige Zeit das ganze Haus ein. Wilhelm benutzt diese
Frist, um durch herbestellte Werkleute den unterirdischen Gang graben zu lassen,
und sein geistliches Amt, um sich mit Flammea zu besprechen^ Am Nächsten
Sonntag nämlich flüstert er, während er ihr das Psalmbuch zum Kusse reicht,
ihr zu: Weh mir! Sie vernimmt es wohl, und beim folgenden Zusammen¬
treffen fragt sie, wie sie es inzwischen in langer Berathung mit den treu erge¬
benen Dienerinnen ausgemacht hat, mit nicht geringerer Vorsicht: Was klagst?
Auf diesem Wege kommt im Verlaufe von drei Monaten, da nur Sonn- oder
Feiertage Gelegenheit zum Wiedersehn geben und die Kürze desselben kaum mehr
als zwei Sylben zu sprechen gestattet, folgendes Gespräch zu Stande: Weh
mir! — Was klagst? — Ich sterb. — Vor was? — Vor Lieb. — Für
wen? — Für euch. — Was thun? — Heile mich. — Doch wie? — Mit
List. — Sorg denn. — Gesorgt! — Und wie? — Ihr geht. — Wohin?
— Ins Bad. — Und wann? — Recht bald. — Es sei! —

So kommt es denn endlich zu einer ungestörten Zusammenkunft und, da
Flammea durch Vorgeben einer Krankheit ihren Gatten bestimmt, häufige Gänge
ins Bad zu erlauben, zu mehrern. Und wenn auch Archimbald sie jedesmal
ins Haus Peter Guidos geleitet, so bemerkt er doch von der mit einer Stein¬
platte bedeckten Mündung jenes verborgenen Weges trotz alles Spähens nichts
und läßt die Ungetreue bald mit ihren Dienerinnen allein; diese selbst
werden dann durch zwei Untergebene Wilhelms, welche dieser in sein Geheimniß
gezogen und in die Badestube mitgebracht hat, so angenehm in Anspruch ge-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_286147/273>, abgerufen am 04.07.2024.