Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Graf Guido von Nemours genehmigt, nachdem er sich mit seinen Rittern
und seinem Weibe darüber berathen, die Bewerbung Archimbalds, des Herrn
von Bourbon, um die Hand seiner Tochter Flammea. Archimbald reist, sobald
er es erfährt, zu seiner ihm noch unbekannten Braut und ihren Eltern, und es
wird an dem Hofe von Nemours aus Anlaß der Hochzeit ein glänzendes Fest
gegeben. Darauf eilt er zurück, um seiner Gemahlin würdigen Empfang
zu bereiten. Der König, den er dazu geladen, geleitet Flammea in ihre neue
HeiMth. überhäuft sie apele dermaßen mit Aufmerksamkeiten, daß die Eisersucht
der mit anwesenden Königin rege wird. Sie äußert gegen Archimbald ihre
Muthmaßung eines Einverständnisses zwischen dem König und der Neuver-
mählten, und er, so wenig er es eingestehen will, schenkt ihr Glauben; ja so
fest ist bald seine Ueberzeugung von der Untreue der arglosen Gattin, daß,
nachdem die Festlichkeiten vorüber und die Gäste alle verreist sind, er ein ganz
andrer wird, der frühern frohen Ritterlichkeit des Sinnes und der Lebensweise
vergißt und durch seine offen zur Schau getragene Eifersucht sich zum Gespötts
der Leute macht. Er hält Flammea sammt zweien ihrer dienenden Fräulein
in strengsten Gewahrsam, so zwar, daß er selbst ihnen die nöthige Speise an
ein, Fensterchen des Gefängnißthurmes bringt, in der Kirche, welche er an allen
Sonn- und Feiertagen mit seiner Gemahlin besucht, ihr einen Breterverschlag
mit schmaler Oeffnung als Platz anweist und auch in die berühmten Bäder
des Ortes sie nur zur größten Seltenheit und mit äußerster Vorsicht führt. --
Zwei Jährte dauerte dies qualvolle Leben. Um dieselbe Zeit lebte in Burgund
ein Ritter, den Natur und Erziehung mit allem ausgestaltet hatten, was einem
Mngling Po." hohem Stande zur Zierde gereicht, und welcher Wilhelm von
Revers hieß. Noch kannte er die Liebe nur vom Lesen der Schriftsteller, die
von ihr handeln; da er aber wohl wußte, daß sie ein Erfordernis) ritter¬
licher Jugend sei, so folgte er der Aufforderung der Frau Minne, sein Herz
der unglücklichen Flammea zu schenken, von deren Lobe jedermann voll war.-->
Er reist nach Bourbon, steigt daselbst in der Herberge des Badewirthes Peter
Guido ab., welchen er durch seine Freigebigkeit bald ganz für sich einnimmt,
unh erchält ein Zimmer angewiesen, von dessen Fenster er den Thurm vor
Augen, Hot, darin der,^ Gegenstand, seines Sehnens weiltj. In der Kirche, welche
er am ersten Sonntag, nqch Ostern, dem Tage nach seiner Ankunft, besucht,
erblickt er Flammea zum ersten Male, ohne jedoch von ihr bemerkt zu werden
oder sie anreden zu können. Er beweist bei diesem Anlaß eine seltene Ver¬
trautheit mit allen kirchlichen Uebungen und ungewöhnliche Geschicklichkeit im
Kirchengesang, welches beides ihm in der Folge sehr zu Statten kommt. Der
Knabe Nikolas, welcher dem Priester in den Verrichtungen seines Amtes bei¬
steht und nach der Messe den Versammelten den Segen giebt, indem er dieselben
eine Stelle seines Psalmbuches küssen läßt, macht unsern Verliebten übergluck-


Graf Guido von Nemours genehmigt, nachdem er sich mit seinen Rittern
und seinem Weibe darüber berathen, die Bewerbung Archimbalds, des Herrn
von Bourbon, um die Hand seiner Tochter Flammea. Archimbald reist, sobald
er es erfährt, zu seiner ihm noch unbekannten Braut und ihren Eltern, und es
wird an dem Hofe von Nemours aus Anlaß der Hochzeit ein glänzendes Fest
gegeben. Darauf eilt er zurück, um seiner Gemahlin würdigen Empfang
zu bereiten. Der König, den er dazu geladen, geleitet Flammea in ihre neue
HeiMth. überhäuft sie apele dermaßen mit Aufmerksamkeiten, daß die Eisersucht
der mit anwesenden Königin rege wird. Sie äußert gegen Archimbald ihre
Muthmaßung eines Einverständnisses zwischen dem König und der Neuver-
mählten, und er, so wenig er es eingestehen will, schenkt ihr Glauben; ja so
fest ist bald seine Ueberzeugung von der Untreue der arglosen Gattin, daß,
nachdem die Festlichkeiten vorüber und die Gäste alle verreist sind, er ein ganz
andrer wird, der frühern frohen Ritterlichkeit des Sinnes und der Lebensweise
vergißt und durch seine offen zur Schau getragene Eifersucht sich zum Gespötts
der Leute macht. Er hält Flammea sammt zweien ihrer dienenden Fräulein
in strengsten Gewahrsam, so zwar, daß er selbst ihnen die nöthige Speise an
ein, Fensterchen des Gefängnißthurmes bringt, in der Kirche, welche er an allen
Sonn- und Feiertagen mit seiner Gemahlin besucht, ihr einen Breterverschlag
mit schmaler Oeffnung als Platz anweist und auch in die berühmten Bäder
des Ortes sie nur zur größten Seltenheit und mit äußerster Vorsicht führt. —
Zwei Jährte dauerte dies qualvolle Leben. Um dieselbe Zeit lebte in Burgund
ein Ritter, den Natur und Erziehung mit allem ausgestaltet hatten, was einem
Mngling Po.» hohem Stande zur Zierde gereicht, und welcher Wilhelm von
Revers hieß. Noch kannte er die Liebe nur vom Lesen der Schriftsteller, die
von ihr handeln; da er aber wohl wußte, daß sie ein Erfordernis) ritter¬
licher Jugend sei, so folgte er der Aufforderung der Frau Minne, sein Herz
der unglücklichen Flammea zu schenken, von deren Lobe jedermann voll war.—>
Er reist nach Bourbon, steigt daselbst in der Herberge des Badewirthes Peter
Guido ab., welchen er durch seine Freigebigkeit bald ganz für sich einnimmt,
unh erchält ein Zimmer angewiesen, von dessen Fenster er den Thurm vor
Augen, Hot, darin der,^ Gegenstand, seines Sehnens weiltj. In der Kirche, welche
er am ersten Sonntag, nqch Ostern, dem Tage nach seiner Ankunft, besucht,
erblickt er Flammea zum ersten Male, ohne jedoch von ihr bemerkt zu werden
oder sie anreden zu können. Er beweist bei diesem Anlaß eine seltene Ver¬
trautheit mit allen kirchlichen Uebungen und ungewöhnliche Geschicklichkeit im
Kirchengesang, welches beides ihm in der Folge sehr zu Statten kommt. Der
Knabe Nikolas, welcher dem Priester in den Verrichtungen seines Amtes bei¬
steht und nach der Messe den Versammelten den Segen giebt, indem er dieselben
eine Stelle seines Psalmbuches küssen läßt, macht unsern Verliebten übergluck-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0272" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/286420"/>
          <p xml:id="ID_790" next="#ID_791"> Graf Guido von Nemours genehmigt, nachdem er sich mit seinen Rittern<lb/>
und seinem Weibe darüber berathen, die Bewerbung Archimbalds, des Herrn<lb/>
von Bourbon, um die Hand seiner Tochter Flammea. Archimbald reist, sobald<lb/>
er es erfährt, zu seiner ihm noch unbekannten Braut und ihren Eltern, und es<lb/>
wird an dem Hofe von Nemours aus Anlaß der Hochzeit ein glänzendes Fest<lb/>
gegeben. Darauf eilt er zurück, um seiner Gemahlin würdigen Empfang<lb/>
zu bereiten. Der König, den er dazu geladen, geleitet Flammea in ihre neue<lb/>
HeiMth. überhäuft sie apele dermaßen mit Aufmerksamkeiten, daß die Eisersucht<lb/>
der mit anwesenden Königin rege wird. Sie äußert gegen Archimbald ihre<lb/>
Muthmaßung eines Einverständnisses zwischen dem König und der Neuver-<lb/>
mählten, und er, so wenig er es eingestehen will, schenkt ihr Glauben; ja so<lb/>
fest ist bald seine Ueberzeugung von der Untreue der arglosen Gattin, daß,<lb/>
nachdem die Festlichkeiten vorüber und die Gäste alle verreist sind, er ein ganz<lb/>
andrer wird, der frühern frohen Ritterlichkeit des Sinnes und der Lebensweise<lb/>
vergißt und durch seine offen zur Schau getragene Eifersucht sich zum Gespötts<lb/>
der Leute macht. Er hält Flammea sammt zweien ihrer dienenden Fräulein<lb/>
in strengsten Gewahrsam, so zwar, daß er selbst ihnen die nöthige Speise an<lb/>
ein, Fensterchen des Gefängnißthurmes bringt, in der Kirche, welche er an allen<lb/>
Sonn- und Feiertagen mit seiner Gemahlin besucht, ihr einen Breterverschlag<lb/>
mit schmaler Oeffnung als Platz anweist und auch in die berühmten Bäder<lb/>
des Ortes sie nur zur größten Seltenheit und mit äußerster Vorsicht führt. &#x2014;<lb/>
Zwei Jährte dauerte dies qualvolle Leben. Um dieselbe Zeit lebte in Burgund<lb/>
ein Ritter, den Natur und Erziehung mit allem ausgestaltet hatten, was einem<lb/>
Mngling Po.» hohem Stande zur Zierde gereicht, und welcher Wilhelm von<lb/>
Revers hieß. Noch kannte er die Liebe nur vom Lesen der Schriftsteller, die<lb/>
von ihr handeln; da er aber wohl wußte, daß sie ein Erfordernis) ritter¬<lb/>
licher Jugend sei, so folgte er der Aufforderung der Frau Minne, sein Herz<lb/>
der unglücklichen Flammea zu schenken, von deren Lobe jedermann voll war.&#x2014;&gt;<lb/>
Er reist nach Bourbon, steigt daselbst in der Herberge des Badewirthes Peter<lb/>
Guido ab., welchen er durch seine Freigebigkeit bald ganz für sich einnimmt,<lb/>
unh erchält ein Zimmer angewiesen, von dessen Fenster er den Thurm vor<lb/>
Augen, Hot, darin der,^ Gegenstand, seines Sehnens weiltj. In der Kirche, welche<lb/>
er am ersten Sonntag, nqch Ostern, dem Tage nach seiner Ankunft, besucht,<lb/>
erblickt er Flammea zum ersten Male, ohne jedoch von ihr bemerkt zu werden<lb/>
oder sie anreden zu können. Er beweist bei diesem Anlaß eine seltene Ver¬<lb/>
trautheit mit allen kirchlichen Uebungen und ungewöhnliche Geschicklichkeit im<lb/>
Kirchengesang, welches beides ihm in der Folge sehr zu Statten kommt. Der<lb/>
Knabe Nikolas, welcher dem Priester in den Verrichtungen seines Amtes bei¬<lb/>
steht und nach der Messe den Versammelten den Segen giebt, indem er dieselben<lb/>
eine Stelle seines Psalmbuches küssen läßt, macht unsern Verliebten übergluck-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0272] Graf Guido von Nemours genehmigt, nachdem er sich mit seinen Rittern und seinem Weibe darüber berathen, die Bewerbung Archimbalds, des Herrn von Bourbon, um die Hand seiner Tochter Flammea. Archimbald reist, sobald er es erfährt, zu seiner ihm noch unbekannten Braut und ihren Eltern, und es wird an dem Hofe von Nemours aus Anlaß der Hochzeit ein glänzendes Fest gegeben. Darauf eilt er zurück, um seiner Gemahlin würdigen Empfang zu bereiten. Der König, den er dazu geladen, geleitet Flammea in ihre neue HeiMth. überhäuft sie apele dermaßen mit Aufmerksamkeiten, daß die Eisersucht der mit anwesenden Königin rege wird. Sie äußert gegen Archimbald ihre Muthmaßung eines Einverständnisses zwischen dem König und der Neuver- mählten, und er, so wenig er es eingestehen will, schenkt ihr Glauben; ja so fest ist bald seine Ueberzeugung von der Untreue der arglosen Gattin, daß, nachdem die Festlichkeiten vorüber und die Gäste alle verreist sind, er ein ganz andrer wird, der frühern frohen Ritterlichkeit des Sinnes und der Lebensweise vergißt und durch seine offen zur Schau getragene Eifersucht sich zum Gespötts der Leute macht. Er hält Flammea sammt zweien ihrer dienenden Fräulein in strengsten Gewahrsam, so zwar, daß er selbst ihnen die nöthige Speise an ein, Fensterchen des Gefängnißthurmes bringt, in der Kirche, welche er an allen Sonn- und Feiertagen mit seiner Gemahlin besucht, ihr einen Breterverschlag mit schmaler Oeffnung als Platz anweist und auch in die berühmten Bäder des Ortes sie nur zur größten Seltenheit und mit äußerster Vorsicht führt. — Zwei Jährte dauerte dies qualvolle Leben. Um dieselbe Zeit lebte in Burgund ein Ritter, den Natur und Erziehung mit allem ausgestaltet hatten, was einem Mngling Po.» hohem Stande zur Zierde gereicht, und welcher Wilhelm von Revers hieß. Noch kannte er die Liebe nur vom Lesen der Schriftsteller, die von ihr handeln; da er aber wohl wußte, daß sie ein Erfordernis) ritter¬ licher Jugend sei, so folgte er der Aufforderung der Frau Minne, sein Herz der unglücklichen Flammea zu schenken, von deren Lobe jedermann voll war.—> Er reist nach Bourbon, steigt daselbst in der Herberge des Badewirthes Peter Guido ab., welchen er durch seine Freigebigkeit bald ganz für sich einnimmt, unh erchält ein Zimmer angewiesen, von dessen Fenster er den Thurm vor Augen, Hot, darin der,^ Gegenstand, seines Sehnens weiltj. In der Kirche, welche er am ersten Sonntag, nqch Ostern, dem Tage nach seiner Ankunft, besucht, erblickt er Flammea zum ersten Male, ohne jedoch von ihr bemerkt zu werden oder sie anreden zu können. Er beweist bei diesem Anlaß eine seltene Ver¬ trautheit mit allen kirchlichen Uebungen und ungewöhnliche Geschicklichkeit im Kirchengesang, welches beides ihm in der Folge sehr zu Statten kommt. Der Knabe Nikolas, welcher dem Priester in den Verrichtungen seines Amtes bei¬ steht und nach der Messe den Versammelten den Segen giebt, indem er dieselben eine Stelle seines Psalmbuches küssen läßt, macht unsern Verliebten übergluck-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_286147
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_286147/272
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_286147/272>, abgerufen am 04.07.2024.