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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band.

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zumal in den Regimentern, in welchen die alte preußische Disciplin im Offizier-
corps mit voller Strenge geübt wird. -- Der zum Offizier avancirte Unter¬
offizier schließt sich vom gemeinen Mann und Unteroffizier ab, weil er nur durch
die Scheidung etwas Anderes ist und nur auf diesem Wege das Vorgesetzten¬
verhältniß scharf erhalten kann; in Preußen ist das letztere selbstverständlich, und
die Verbindung, die Annäherung beider Theile ist Aufgabe. Das preußische
Offiziercorps bildet eine Militäraristokratie, die höhern östreichischen Offiziere
gehören der Aristokratie Oestreichs an; das ist der Unterschied beider. Die süd¬
deutschen Offiziere bilden ein Mittelding, die Vorliebe für öffentliche Locale
aller Art läßt sie zum Schaden ihrer innern und äußern Selbständigkeit ihrer
Würde leicht vergessen. Der Corp^geiht im preußischen Offiziercorps hat den
einen militärischen Nachtheil, daß n sehr den Einzelnen bestimmt und dadurch
oft scharfe, aber brauchbare Charaktere ab- oder ausstößt und milde oder liebens¬
würdige zu gern und zu lange conservirt.

Die dritte Eigenthümlichkeit ist die Bewaffnung der preußischen Armee.
Dabei müssen wir noch einmal das vielberufene Zündnadelgewehr erwähnen.
Bei Besprechung dieses Gewehrs von fremden Schriftstellern hören wir, es
trifft schlechter, aber es schießt öfter als die gezogenen Gewehre andrer Armeen.
Man liest, daß man deshalb in Oestreich. Frankreich u. s. w. dazu schreitet, auch
Hinterladungsgewehre einzuführen, aber da ja eben die Schnelligkeit sich als
die Hauptsache ergeben hat, führt man statt der preußischen, die nur fünf Schuß
in der Minute abgeben, solche ein, die das Doppelte an Geschwindigkeit leisten.
Es erinnert dies an die Veränderung der Gewehre, welche Friedrich der Große
in den europäischen Armeen, auch in der preußischen veranlaßte. Er hatte durch
den eisernen Ladestock und das präcise Exercitium in seiner Infanterie eine
Schnelligkeit des Feuers erzielt, das seine Gegner überraschte und wie die Welt
sagte, überwand. Ihn hierin zu übertreffen wurde das Ziel aller Bestrebungen
und dies führte dahin, daß man die Zündlöcher größer machte, um die Selbst-
beschüttung der Pfanne vollständig zu sichern, und daß man die Kugeln und
Patronen kleiner machte, um durch einfaches Aufstoßen des Gewehrs das Herunter¬
fallen der Ladung zu veranlassen, das Ergreifen des Ladestocks aber zu ersparen.
Man erreichte das raschere Laden, aber man traf nicht mehr. Die- Franzosen
gingen damals zuerst von dieser Richtung ab, führten neue Gewehre noch in
den ersten Jahren der Revolution ein und trafen besser als ihre Gegner. Und
das war auch in dem letzten Kriege bei den Preußen der wesentlichste Vortheil.
Das Schnellfeuer hatte stellenweise großartige Erfolge, aber das Treffen ist doch
immer die Hauptsache und lesen wir, daß der preußische Soldat in Summa
und im Durchschnitt im Feldzug gegen die Oestreicher nicht zehn Patronen
verschossen, so möchte man behaupten, daß der Gegner mehr davon auf den
Mann verkrallt hat. Leider läßt sich dies nicht constatiren, da die Oestreicher


zumal in den Regimentern, in welchen die alte preußische Disciplin im Offizier-
corps mit voller Strenge geübt wird. — Der zum Offizier avancirte Unter¬
offizier schließt sich vom gemeinen Mann und Unteroffizier ab, weil er nur durch
die Scheidung etwas Anderes ist und nur auf diesem Wege das Vorgesetzten¬
verhältniß scharf erhalten kann; in Preußen ist das letztere selbstverständlich, und
die Verbindung, die Annäherung beider Theile ist Aufgabe. Das preußische
Offiziercorps bildet eine Militäraristokratie, die höhern östreichischen Offiziere
gehören der Aristokratie Oestreichs an; das ist der Unterschied beider. Die süd¬
deutschen Offiziere bilden ein Mittelding, die Vorliebe für öffentliche Locale
aller Art läßt sie zum Schaden ihrer innern und äußern Selbständigkeit ihrer
Würde leicht vergessen. Der Corp^geiht im preußischen Offiziercorps hat den
einen militärischen Nachtheil, daß n sehr den Einzelnen bestimmt und dadurch
oft scharfe, aber brauchbare Charaktere ab- oder ausstößt und milde oder liebens¬
würdige zu gern und zu lange conservirt.

Die dritte Eigenthümlichkeit ist die Bewaffnung der preußischen Armee.
Dabei müssen wir noch einmal das vielberufene Zündnadelgewehr erwähnen.
Bei Besprechung dieses Gewehrs von fremden Schriftstellern hören wir, es
trifft schlechter, aber es schießt öfter als die gezogenen Gewehre andrer Armeen.
Man liest, daß man deshalb in Oestreich. Frankreich u. s. w. dazu schreitet, auch
Hinterladungsgewehre einzuführen, aber da ja eben die Schnelligkeit sich als
die Hauptsache ergeben hat, führt man statt der preußischen, die nur fünf Schuß
in der Minute abgeben, solche ein, die das Doppelte an Geschwindigkeit leisten.
Es erinnert dies an die Veränderung der Gewehre, welche Friedrich der Große
in den europäischen Armeen, auch in der preußischen veranlaßte. Er hatte durch
den eisernen Ladestock und das präcise Exercitium in seiner Infanterie eine
Schnelligkeit des Feuers erzielt, das seine Gegner überraschte und wie die Welt
sagte, überwand. Ihn hierin zu übertreffen wurde das Ziel aller Bestrebungen
und dies führte dahin, daß man die Zündlöcher größer machte, um die Selbst-
beschüttung der Pfanne vollständig zu sichern, und daß man die Kugeln und
Patronen kleiner machte, um durch einfaches Aufstoßen des Gewehrs das Herunter¬
fallen der Ladung zu veranlassen, das Ergreifen des Ladestocks aber zu ersparen.
Man erreichte das raschere Laden, aber man traf nicht mehr. Die- Franzosen
gingen damals zuerst von dieser Richtung ab, führten neue Gewehre noch in
den ersten Jahren der Revolution ein und trafen besser als ihre Gegner. Und
das war auch in dem letzten Kriege bei den Preußen der wesentlichste Vortheil.
Das Schnellfeuer hatte stellenweise großartige Erfolge, aber das Treffen ist doch
immer die Hauptsache und lesen wir, daß der preußische Soldat in Summa
und im Durchschnitt im Feldzug gegen die Oestreicher nicht zehn Patronen
verschossen, so möchte man behaupten, daß der Gegner mehr davon auf den
Mann verkrallt hat. Leider läßt sich dies nicht constatiren, da die Oestreicher


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[0226] zumal in den Regimentern, in welchen die alte preußische Disciplin im Offizier- corps mit voller Strenge geübt wird. — Der zum Offizier avancirte Unter¬ offizier schließt sich vom gemeinen Mann und Unteroffizier ab, weil er nur durch die Scheidung etwas Anderes ist und nur auf diesem Wege das Vorgesetzten¬ verhältniß scharf erhalten kann; in Preußen ist das letztere selbstverständlich, und die Verbindung, die Annäherung beider Theile ist Aufgabe. Das preußische Offiziercorps bildet eine Militäraristokratie, die höhern östreichischen Offiziere gehören der Aristokratie Oestreichs an; das ist der Unterschied beider. Die süd¬ deutschen Offiziere bilden ein Mittelding, die Vorliebe für öffentliche Locale aller Art läßt sie zum Schaden ihrer innern und äußern Selbständigkeit ihrer Würde leicht vergessen. Der Corp^geiht im preußischen Offiziercorps hat den einen militärischen Nachtheil, daß n sehr den Einzelnen bestimmt und dadurch oft scharfe, aber brauchbare Charaktere ab- oder ausstößt und milde oder liebens¬ würdige zu gern und zu lange conservirt. Die dritte Eigenthümlichkeit ist die Bewaffnung der preußischen Armee. Dabei müssen wir noch einmal das vielberufene Zündnadelgewehr erwähnen. Bei Besprechung dieses Gewehrs von fremden Schriftstellern hören wir, es trifft schlechter, aber es schießt öfter als die gezogenen Gewehre andrer Armeen. Man liest, daß man deshalb in Oestreich. Frankreich u. s. w. dazu schreitet, auch Hinterladungsgewehre einzuführen, aber da ja eben die Schnelligkeit sich als die Hauptsache ergeben hat, führt man statt der preußischen, die nur fünf Schuß in der Minute abgeben, solche ein, die das Doppelte an Geschwindigkeit leisten. Es erinnert dies an die Veränderung der Gewehre, welche Friedrich der Große in den europäischen Armeen, auch in der preußischen veranlaßte. Er hatte durch den eisernen Ladestock und das präcise Exercitium in seiner Infanterie eine Schnelligkeit des Feuers erzielt, das seine Gegner überraschte und wie die Welt sagte, überwand. Ihn hierin zu übertreffen wurde das Ziel aller Bestrebungen und dies führte dahin, daß man die Zündlöcher größer machte, um die Selbst- beschüttung der Pfanne vollständig zu sichern, und daß man die Kugeln und Patronen kleiner machte, um durch einfaches Aufstoßen des Gewehrs das Herunter¬ fallen der Ladung zu veranlassen, das Ergreifen des Ladestocks aber zu ersparen. Man erreichte das raschere Laden, aber man traf nicht mehr. Die- Franzosen gingen damals zuerst von dieser Richtung ab, führten neue Gewehre noch in den ersten Jahren der Revolution ein und trafen besser als ihre Gegner. Und das war auch in dem letzten Kriege bei den Preußen der wesentlichste Vortheil. Das Schnellfeuer hatte stellenweise großartige Erfolge, aber das Treffen ist doch immer die Hauptsache und lesen wir, daß der preußische Soldat in Summa und im Durchschnitt im Feldzug gegen die Oestreicher nicht zehn Patronen verschossen, so möchte man behaupten, daß der Gegner mehr davon auf den Mann verkrallt hat. Leider läßt sich dies nicht constatiren, da die Oestreicher

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_286147/226>, abgerufen am 02.07.2024.