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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band.

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Diese östreichische Staatsschuld wurde aber nicht nur gegen Wissen und
Willen Ungarns und der meisten andren Lande Oestreichs contrahirt, sondern
überdies noch fast ausschließlich bei ausländischen Gläubigern, namentlich bei
den Süddeutschen und Schweizern, bei den Belgiern, Holländern und Englän¬
dern. Frankfurt war oft der Vermittler, der die glühenden Kohlen den andern
in der Hand ließ, doch auch sich selbst die Taschen beschädigte. In Belgien
allein sind. Dank dem Genie des Mr. Langrand-Dumonceau, anderthalb Mil¬
liarden, in Actien bis zu hundert Franken herab, den kleinen Kapitalisten und
Epiciers in die Sparbüchse gespielt. Sobald Oestreich endlich einmal den un¬
vermeidlichen Staatsbankerott aussprechen wird, trifft dieser fast mehr als das
Capital in Oestreich' jene Herren Ausländer, welche sich dem Dilemma accom-
modirten "lieber gut essen, wenn auch schlecht schlafen". Grade jene Schreier
nach östreichischer Bruderliebe und die Brüllsrösche mitteleuropäischer Demokratie,
grade sie haben die Völker zum Vertrauen auf Oestreich gemahnt, auf daß
Oestreich ja recht ungenirt die Mittel habe, die Freiheit zu verbreiten! Europa
lieferte bereitwillig die Mittel -- damit Oestreich weiter lebe; und zwar grade die
ärgsten principiellen Gegner der Tendenz Oestreichs waren die bereitwilligsten
Opferer. Natürlich, beim Gelde hört nicht blos die Gemüthlichkeit, hören auch
Verstand, Politik und Nationalgefühl auf. Dagegen die Völker Oestreichs --
und zwar hierin einmüthig alle -- haben sich weit mehr von dieser einen
Schwäche freigehalten, theils aus Armuth, theils aus Schlauheit oder aus
Opposition. Die Regierung war froh, konnte sie von den Unterthanen über¬
haupt nur ihre Steuern eintreiben. Und Zwangsanlehnsversuche hatten solchen
Erfolg, wie das boscarollische Anlehen per S00 Millionen 18S8, das im Aus¬
lande ein freiwilliges war, dabei aber doch 483 Millionen vom Auslande her
eintrug, während es in der Monarchie als Zwangsanlehen durch die Gensdarmerie
colportirt wurde, und trotzdem blos 17 Millionen ergab.

Endlich aber, und das ist der Hauptpunkt der ganzen Frage: was ist denn
eigentlich Kirchenvermögen? Doch ohne Zweifel und überall ist es das Resultat
der Gaben und Schenkungen, welche des jetzt lebenden Volkes Vorfahren, als
Funclioncire oder als Privatleute, der Kirche im Geiste ihrer Zeit darbrachten;
oder es sind Stiftungen, welche mit Willen der ganzen Nation geschahen, und
durch legislative Organe zu gesetzlichen Thatsachen wurden. Somit ist der
Klerus der nutznießende Pfandinhaber eines dem Volke gehörenden National¬
vermögens. Wenn es also je dazu kommt, daß dies Pfand zurückgelöst werden
soll, solcher Art, daß man das Capital einzieht, und von den Interessen den
Klerus besoldet -- und ohne Zweifel wird es auch in Oestreich, früher oder
später dazu kommen -- so hat doch gewiß nur das Volk selbst, die Nation,
Eigenthumsrechte auf dies Capital ihrer Vorfahren, und nicht eine Regierung,
welche von der Nation keine Genehmigung dazu erhalten hat.


Diese östreichische Staatsschuld wurde aber nicht nur gegen Wissen und
Willen Ungarns und der meisten andren Lande Oestreichs contrahirt, sondern
überdies noch fast ausschließlich bei ausländischen Gläubigern, namentlich bei
den Süddeutschen und Schweizern, bei den Belgiern, Holländern und Englän¬
dern. Frankfurt war oft der Vermittler, der die glühenden Kohlen den andern
in der Hand ließ, doch auch sich selbst die Taschen beschädigte. In Belgien
allein sind. Dank dem Genie des Mr. Langrand-Dumonceau, anderthalb Mil¬
liarden, in Actien bis zu hundert Franken herab, den kleinen Kapitalisten und
Epiciers in die Sparbüchse gespielt. Sobald Oestreich endlich einmal den un¬
vermeidlichen Staatsbankerott aussprechen wird, trifft dieser fast mehr als das
Capital in Oestreich' jene Herren Ausländer, welche sich dem Dilemma accom-
modirten „lieber gut essen, wenn auch schlecht schlafen". Grade jene Schreier
nach östreichischer Bruderliebe und die Brüllsrösche mitteleuropäischer Demokratie,
grade sie haben die Völker zum Vertrauen auf Oestreich gemahnt, auf daß
Oestreich ja recht ungenirt die Mittel habe, die Freiheit zu verbreiten! Europa
lieferte bereitwillig die Mittel — damit Oestreich weiter lebe; und zwar grade die
ärgsten principiellen Gegner der Tendenz Oestreichs waren die bereitwilligsten
Opferer. Natürlich, beim Gelde hört nicht blos die Gemüthlichkeit, hören auch
Verstand, Politik und Nationalgefühl auf. Dagegen die Völker Oestreichs —
und zwar hierin einmüthig alle — haben sich weit mehr von dieser einen
Schwäche freigehalten, theils aus Armuth, theils aus Schlauheit oder aus
Opposition. Die Regierung war froh, konnte sie von den Unterthanen über¬
haupt nur ihre Steuern eintreiben. Und Zwangsanlehnsversuche hatten solchen
Erfolg, wie das boscarollische Anlehen per S00 Millionen 18S8, das im Aus¬
lande ein freiwilliges war, dabei aber doch 483 Millionen vom Auslande her
eintrug, während es in der Monarchie als Zwangsanlehen durch die Gensdarmerie
colportirt wurde, und trotzdem blos 17 Millionen ergab.

Endlich aber, und das ist der Hauptpunkt der ganzen Frage: was ist denn
eigentlich Kirchenvermögen? Doch ohne Zweifel und überall ist es das Resultat
der Gaben und Schenkungen, welche des jetzt lebenden Volkes Vorfahren, als
Funclioncire oder als Privatleute, der Kirche im Geiste ihrer Zeit darbrachten;
oder es sind Stiftungen, welche mit Willen der ganzen Nation geschahen, und
durch legislative Organe zu gesetzlichen Thatsachen wurden. Somit ist der
Klerus der nutznießende Pfandinhaber eines dem Volke gehörenden National¬
vermögens. Wenn es also je dazu kommt, daß dies Pfand zurückgelöst werden
soll, solcher Art, daß man das Capital einzieht, und von den Interessen den
Klerus besoldet — und ohne Zweifel wird es auch in Oestreich, früher oder
später dazu kommen — so hat doch gewiß nur das Volk selbst, die Nation,
Eigenthumsrechte auf dies Capital ihrer Vorfahren, und nicht eine Regierung,
welche von der Nation keine Genehmigung dazu erhalten hat.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_286147/213>, abgerufen am 02.07.2024.