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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band.

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In Uebereinstimmung mit dieser Anschauung bezeichnete Herr v. Oertzen in
einem Schreiben vom 12. Januar 1863 an das badische Ministerium des Aus¬
wärtigen, welches ein modificirtes Project einer Delegirtenvcrsammlung vorge¬
legt hatte, die Verwandlung des Staatenbunds in einen Bundesstaat als
eine politische Unmöglichkeit. "Der deutsche Bund," bemerkt er, "ist
nicht blos nach den bestehenden europäischen Verhältnissen und nach seinen
Grundgesetzen ein Staatenbund, sondern er wird auch nach innerer Noth¬
wendigkeit ein solcher bleiben. ... Die Uebertragung der parlamenta¬
rischen Regierungsform auf den deutschen Bund muß nicht blos zu einer
einheitlichen Regierungsgewalt, sondern auch zu einer absoluten Majori¬
tätenherrschaft über die Interessen und Bedürfnisse aller Bestandtheile der
deutschen Nation führen, so daß der Staatenbund in einen Bundesstaat
sich verwandelt. Wie sehr ein solches Bestreben den wahren Wünschen der
deutschen Nation zuwiderläuft, beweist der Ausgang des Versuches, die frank¬
furter Reichsverfassung vom Jahre 1849 zur Geltung zu bringen." Weit ent¬
fernt, daß die Einheitlichkeit des Entschlusses und der Ausführung durch ein
neues repräsentatives Organ am Bunde gelähmt werden dürfe, müßten vielmehr
die Mitglieder des deutschen Bundes wieder frei werden von aller Beschränkung
und Lähmung durch ihre eigenen Volksvertretungen und diese Befreiung sei
unzweifelhaft durch bundesverfassungsmäßige Beschlüsse erreichbar.

Im August 1863 begleitete Herr v. Oertzen den Großherzog Friedrich Franz
auf den frankfurter Fürstentag. In einem von letzterem hier abgegebenen schrift¬
lichen Votum heißt es wörtlich: "An und für sich empfiehlt sich die Einfüh¬
rung eines konstitutionellen Systems in die Bundesinstitutionen nicht. Die
Voraussetzungen der englischen Verfassung fehlen in Deutschland. Wenn aber
dennoch eine deutsche Nationaivcrtretung, die sich nicht auf Kopfzahl, sondern
aus geistige Kräfte stützt, von hohem Werthe auch für die deutsche Bundes¬
gesammtheit sein kann, so heißt es nicht die Institution beschränken oder schwächen,
sondern unterstützen, wenn man dieselbe vor Conflicten sicher zu stellen sucht,
die zwischen der politischen Gewalt und einer mit dem Steuerverweigerungs¬
rechte ausgerüsteten Versammlung erfahrungsmäßig zu entstehen und mit dem
Untergange der einen oder der anderen zu endigen pflegen."

Bei so großer Abneigung gegen eine Umwandlung der Bundesverfassung
durch Einfügung einer Nationalvertretung konnte der bismarcksche Antrag vom
9. April 1866 auf Berufung eines nach Kopfzahl zu wählenden Parlaments
nicht leicht mit mehr Unwillen und Abscheu aufgenommen werden als in dem
Ministerium des Auswärtigen zu Schwerin. Der "norddeutsche Korrespondent"
machte es zu seiner Aufgabe, diesen Antrag mit allen Mitteln, selbst die hob.
mende Verspottung nicht ausgenommen, zu bekämpfen. Einer der den Feudalen
verhaßtesten demokratischen Namen ist der des früheren Parlamentsmitgliedes


In Uebereinstimmung mit dieser Anschauung bezeichnete Herr v. Oertzen in
einem Schreiben vom 12. Januar 1863 an das badische Ministerium des Aus¬
wärtigen, welches ein modificirtes Project einer Delegirtenvcrsammlung vorge¬
legt hatte, die Verwandlung des Staatenbunds in einen Bundesstaat als
eine politische Unmöglichkeit. „Der deutsche Bund," bemerkt er, „ist
nicht blos nach den bestehenden europäischen Verhältnissen und nach seinen
Grundgesetzen ein Staatenbund, sondern er wird auch nach innerer Noth¬
wendigkeit ein solcher bleiben. ... Die Uebertragung der parlamenta¬
rischen Regierungsform auf den deutschen Bund muß nicht blos zu einer
einheitlichen Regierungsgewalt, sondern auch zu einer absoluten Majori¬
tätenherrschaft über die Interessen und Bedürfnisse aller Bestandtheile der
deutschen Nation führen, so daß der Staatenbund in einen Bundesstaat
sich verwandelt. Wie sehr ein solches Bestreben den wahren Wünschen der
deutschen Nation zuwiderläuft, beweist der Ausgang des Versuches, die frank¬
furter Reichsverfassung vom Jahre 1849 zur Geltung zu bringen." Weit ent¬
fernt, daß die Einheitlichkeit des Entschlusses und der Ausführung durch ein
neues repräsentatives Organ am Bunde gelähmt werden dürfe, müßten vielmehr
die Mitglieder des deutschen Bundes wieder frei werden von aller Beschränkung
und Lähmung durch ihre eigenen Volksvertretungen und diese Befreiung sei
unzweifelhaft durch bundesverfassungsmäßige Beschlüsse erreichbar.

Im August 1863 begleitete Herr v. Oertzen den Großherzog Friedrich Franz
auf den frankfurter Fürstentag. In einem von letzterem hier abgegebenen schrift¬
lichen Votum heißt es wörtlich: „An und für sich empfiehlt sich die Einfüh¬
rung eines konstitutionellen Systems in die Bundesinstitutionen nicht. Die
Voraussetzungen der englischen Verfassung fehlen in Deutschland. Wenn aber
dennoch eine deutsche Nationaivcrtretung, die sich nicht auf Kopfzahl, sondern
aus geistige Kräfte stützt, von hohem Werthe auch für die deutsche Bundes¬
gesammtheit sein kann, so heißt es nicht die Institution beschränken oder schwächen,
sondern unterstützen, wenn man dieselbe vor Conflicten sicher zu stellen sucht,
die zwischen der politischen Gewalt und einer mit dem Steuerverweigerungs¬
rechte ausgerüsteten Versammlung erfahrungsmäßig zu entstehen und mit dem
Untergange der einen oder der anderen zu endigen pflegen."

Bei so großer Abneigung gegen eine Umwandlung der Bundesverfassung
durch Einfügung einer Nationalvertretung konnte der bismarcksche Antrag vom
9. April 1866 auf Berufung eines nach Kopfzahl zu wählenden Parlaments
nicht leicht mit mehr Unwillen und Abscheu aufgenommen werden als in dem
Ministerium des Auswärtigen zu Schwerin. Der „norddeutsche Korrespondent"
machte es zu seiner Aufgabe, diesen Antrag mit allen Mitteln, selbst die hob.
mende Verspottung nicht ausgenommen, zu bekämpfen. Einer der den Feudalen
verhaßtesten demokratischen Namen ist der des früheren Parlamentsmitgliedes


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_286147/21>, abgerufen am 30.06.2024.