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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band.

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gewöhnlich nur darin abweiche, daß er sie in der Richtung des Phantastischen
überbiete und ihre pragmatische Motivirung abschwäche."

Aber genug der Beispiele! Mögen Shakespeares Dramen Weltweisheit.
Menschenkenntniß, Tiefe sittlicher Anschauung, ein reiches Wissen, Humor und
was sonst aufweisen oder nicht, die Haupsache ist, daß Gustav Rümelin be¬
wiesen haben will, daß Shakespeare alle diese "Qualitäten" nach den dar¬
gelegten Verhältnissen nicht besitzen konnte!

Von der Stellung der Schauspieler zur bürgerlichen Gesellschaft sagt
Rümelin (S. 4): "Sie bildeten einen ehrlosen, von der bürgerlichen Gesellschaft
ausgeschlossenen und geächteten Stand."

Einen kleinen Beleg für die Anerkennung, die unter Elisabeth und Jacob
dem Ersten der Schauspielcrstand trotz aller Anfeindungen der Puritaner genossen,
liefert jene Tafel an der Wand des Altarplatzes in der Kirche zu Stratford
am Avon in der Grafschaft Warwick. mit der Inschrift:


^uäieio ?^Inn, Mnio Loeratem, irrte Ug,rc>nem,
terra togit, xoxulus mosret, Olympus trabst.

Folgt darauf ein englischer Spruch, zu deutsch etwa so:

Oditt ^. Du: 1616.

^stg,t. 53. Die 23. ^xr.

Und höchstens sieben Jahre ehe dieser Stein von seinen Thaten Kunde
gab, legte man zu Füßen des Altars den Leib zur Ruhe.

Freilich war William Shakespeare Dichter und Theaterunternehmer, kein
bloßer Schauspieler. Aller Herr Rümelin versichert: "für die bürgerliche Achtung
war dies eher nachtheilig als günstig, und der Puritaner von der echtesten
Sorte sah darin wohl keinen weiteren Unterschied als den zwischen der Bordell¬
wirthin und der Dirne."

Nun findet sich im Todtenregister der Kirche Se. Saviour (Heilandssprengel)
in der londoner Vorstadt Southwark, daß ein Schauspieler Edmund Shake¬
speare in dieser Kirche am 31. December 1607 begraben worden. (1607. Des. 31 se.
Dclmonä LKaKösxöai'e!, s. Mz^er, in dirs elrurclr.)

Er war der jüngste Bruder Williams und spielte an dem gleichen Theater
"zum Globus" eine so untergeordnete Rolle, daß er nicht unter den Theilhabern
genannt wird. Wurde hier also "die Dirne" in der Kirche begraben? Oder
sollte man Rücksicht auf seine Verwandtschaft genommen haben? Das würde
sicherlich große Anerkennung der Zeitgenossen voraussetzen.


gewöhnlich nur darin abweiche, daß er sie in der Richtung des Phantastischen
überbiete und ihre pragmatische Motivirung abschwäche."

Aber genug der Beispiele! Mögen Shakespeares Dramen Weltweisheit.
Menschenkenntniß, Tiefe sittlicher Anschauung, ein reiches Wissen, Humor und
was sonst aufweisen oder nicht, die Haupsache ist, daß Gustav Rümelin be¬
wiesen haben will, daß Shakespeare alle diese „Qualitäten" nach den dar¬
gelegten Verhältnissen nicht besitzen konnte!

Von der Stellung der Schauspieler zur bürgerlichen Gesellschaft sagt
Rümelin (S. 4): „Sie bildeten einen ehrlosen, von der bürgerlichen Gesellschaft
ausgeschlossenen und geächteten Stand."

Einen kleinen Beleg für die Anerkennung, die unter Elisabeth und Jacob
dem Ersten der Schauspielcrstand trotz aller Anfeindungen der Puritaner genossen,
liefert jene Tafel an der Wand des Altarplatzes in der Kirche zu Stratford
am Avon in der Grafschaft Warwick. mit der Inschrift:


^uäieio ?^Inn, Mnio Loeratem, irrte Ug,rc>nem,
terra togit, xoxulus mosret, Olympus trabst.

Folgt darauf ein englischer Spruch, zu deutsch etwa so:

Oditt ^. Du: 1616.

^stg,t. 53. Die 23. ^xr.

Und höchstens sieben Jahre ehe dieser Stein von seinen Thaten Kunde
gab, legte man zu Füßen des Altars den Leib zur Ruhe.

Freilich war William Shakespeare Dichter und Theaterunternehmer, kein
bloßer Schauspieler. Aller Herr Rümelin versichert: „für die bürgerliche Achtung
war dies eher nachtheilig als günstig, und der Puritaner von der echtesten
Sorte sah darin wohl keinen weiteren Unterschied als den zwischen der Bordell¬
wirthin und der Dirne."

Nun findet sich im Todtenregister der Kirche Se. Saviour (Heilandssprengel)
in der londoner Vorstadt Southwark, daß ein Schauspieler Edmund Shake¬
speare in dieser Kirche am 31. December 1607 begraben worden. (1607. Des. 31 se.
Dclmonä LKaKösxöai'e!, s. Mz^er, in dirs elrurclr.)

Er war der jüngste Bruder Williams und spielte an dem gleichen Theater
„zum Globus" eine so untergeordnete Rolle, daß er nicht unter den Theilhabern
genannt wird. Wurde hier also „die Dirne" in der Kirche begraben? Oder
sollte man Rücksicht auf seine Verwandtschaft genommen haben? Das würde
sicherlich große Anerkennung der Zeitgenossen voraussetzen.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_286147/192>, abgerufen am 28.07.2024.