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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band.

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Initiative des Magistrats -- in welchem der Bürgermeister Bopser (1848 bis
1850 Schleswig.holsteinischer Minister des Innern) und der hochgebildete, ener¬
gische Senator Roemer die leitenden Rollen spielen -- im gedeihlichsten Aufschwung
begriffen war, ließ der neue Landdrost es sich vor allem angelegen sein, die
gemeinnützige Thätigfeit des Magistrats völlig lahm zu legen. Die Bevölkerung,
dachte er, werde nicht unterscheiden zwischen Unvermögen und äußerer Unmög¬
lichkeit, sich von der ohnmächtigen städtischen Behörde der mächtigen königlichen
zuwenden, und so schließlich in einem allgemeinen unterwürfigen Fußfall die
alte Opposition der Stadt begraben. Es wäre unehrlich, zu läugnen, daß selbst
in Hildesheim auf diesem Wege erhebliche Fortschritte gemacht worden sind.
Wenige Jahre wie bisher vielleicht nur noch, und der Missionar des Welfen-
thums beherrschte in Gemeinschaft mit der stets für gewisse Gegenleistungen zu
habenden katholischen Klerisei die Wahlen. Vor diesem demüthigenden Schicksal
hat die preußische Occupation eine wackere Bürgerschaft bewahrt. Es war daher
kein Wunder, daß die ersten Pickelhauben nirgends im Hannoverland freudiger
begrüßt wurden als in Hildesheim. Sie sind dort wie Befreier ausgenommen
und wie Gastfreunde gehalten worden. Diejenigen unter ihnen, welche von
Hannover nach Hildesheim kamen, athmeten aus, als kämen sie aus Feindes in
Freundes Land. Die preußischen Offiziere verkehrten viel und gern mit den
Bürgern in den öffentlichen Localen, während die in Civil einhergehenden
Offiziere des aufgelösten welsischen Heeres, ja selbst die meisten Civilbeamten
sich des öffentlichen Erscheinens mehr als jemals enthielten. Es entsprach daher
nur einer schon mehre Monate langen Vergangenheit, wenn bei der Huldigungs¬
feier, die hier nicht wie in Hannover hinter Schloß und Mauern vor sich ging,
sondern unter der strahlendsten Mittagssonne, Magistrat und Bürgervorsteher
und andere angesehene Bürger im Festanzuge zugegen waren, und wenn der
dem neuen Staate zugewandte Sinn der Bürgerschaft die Gelegenheit ergriff,
um durch eine rasch veranstaltete Sammlung freiwilliger Beiträge die Truppen
der Garnison für den ihnen entgangenen Antheil an der heimischen Siegesfeier
schadlos zu halten.

In Kassel habe ich mich seit sechzehn Jahren fast alljährlich ein paar Mal
Stunden oder Tage lang ausgehalten, aber noch niemals, außer in diesem Herbst,
anders als mit gedrückten Gefühlen und trüben Betrachtungen. Ich lernte es kennen
unmittelbar nachdem die große Niederlage des preußischen Staates und der
Nation im Jahre 1830 diesem Boden, dem tapfer widerstrebenden Volke die
.empfindlichsten Spuren unter allen aufgeprägt hatte. Die triumphirend zurück¬
kehrende Wirthschaft des Kurfürsten sammt seinen Schergen Hassenpflug und
Vilmar breitete über das Land eine finstere Grabesdecke aus. Da ich bald
nachher zufällig Jacob Grimm in einer sprachwissenschaftlichen Angelegenheit
um Rath zu bitten-hatte, schilderte ich ihm in Kürze die Eindrücke, die mir


Initiative des Magistrats — in welchem der Bürgermeister Bopser (1848 bis
1850 Schleswig.holsteinischer Minister des Innern) und der hochgebildete, ener¬
gische Senator Roemer die leitenden Rollen spielen — im gedeihlichsten Aufschwung
begriffen war, ließ der neue Landdrost es sich vor allem angelegen sein, die
gemeinnützige Thätigfeit des Magistrats völlig lahm zu legen. Die Bevölkerung,
dachte er, werde nicht unterscheiden zwischen Unvermögen und äußerer Unmög¬
lichkeit, sich von der ohnmächtigen städtischen Behörde der mächtigen königlichen
zuwenden, und so schließlich in einem allgemeinen unterwürfigen Fußfall die
alte Opposition der Stadt begraben. Es wäre unehrlich, zu läugnen, daß selbst
in Hildesheim auf diesem Wege erhebliche Fortschritte gemacht worden sind.
Wenige Jahre wie bisher vielleicht nur noch, und der Missionar des Welfen-
thums beherrschte in Gemeinschaft mit der stets für gewisse Gegenleistungen zu
habenden katholischen Klerisei die Wahlen. Vor diesem demüthigenden Schicksal
hat die preußische Occupation eine wackere Bürgerschaft bewahrt. Es war daher
kein Wunder, daß die ersten Pickelhauben nirgends im Hannoverland freudiger
begrüßt wurden als in Hildesheim. Sie sind dort wie Befreier ausgenommen
und wie Gastfreunde gehalten worden. Diejenigen unter ihnen, welche von
Hannover nach Hildesheim kamen, athmeten aus, als kämen sie aus Feindes in
Freundes Land. Die preußischen Offiziere verkehrten viel und gern mit den
Bürgern in den öffentlichen Localen, während die in Civil einhergehenden
Offiziere des aufgelösten welsischen Heeres, ja selbst die meisten Civilbeamten
sich des öffentlichen Erscheinens mehr als jemals enthielten. Es entsprach daher
nur einer schon mehre Monate langen Vergangenheit, wenn bei der Huldigungs¬
feier, die hier nicht wie in Hannover hinter Schloß und Mauern vor sich ging,
sondern unter der strahlendsten Mittagssonne, Magistrat und Bürgervorsteher
und andere angesehene Bürger im Festanzuge zugegen waren, und wenn der
dem neuen Staate zugewandte Sinn der Bürgerschaft die Gelegenheit ergriff,
um durch eine rasch veranstaltete Sammlung freiwilliger Beiträge die Truppen
der Garnison für den ihnen entgangenen Antheil an der heimischen Siegesfeier
schadlos zu halten.

In Kassel habe ich mich seit sechzehn Jahren fast alljährlich ein paar Mal
Stunden oder Tage lang ausgehalten, aber noch niemals, außer in diesem Herbst,
anders als mit gedrückten Gefühlen und trüben Betrachtungen. Ich lernte es kennen
unmittelbar nachdem die große Niederlage des preußischen Staates und der
Nation im Jahre 1830 diesem Boden, dem tapfer widerstrebenden Volke die
.empfindlichsten Spuren unter allen aufgeprägt hatte. Die triumphirend zurück¬
kehrende Wirthschaft des Kurfürsten sammt seinen Schergen Hassenpflug und
Vilmar breitete über das Land eine finstere Grabesdecke aus. Da ich bald
nachher zufällig Jacob Grimm in einer sprachwissenschaftlichen Angelegenheit
um Rath zu bitten-hatte, schilderte ich ihm in Kürze die Eindrücke, die mir


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[0182] Initiative des Magistrats — in welchem der Bürgermeister Bopser (1848 bis 1850 Schleswig.holsteinischer Minister des Innern) und der hochgebildete, ener¬ gische Senator Roemer die leitenden Rollen spielen — im gedeihlichsten Aufschwung begriffen war, ließ der neue Landdrost es sich vor allem angelegen sein, die gemeinnützige Thätigfeit des Magistrats völlig lahm zu legen. Die Bevölkerung, dachte er, werde nicht unterscheiden zwischen Unvermögen und äußerer Unmög¬ lichkeit, sich von der ohnmächtigen städtischen Behörde der mächtigen königlichen zuwenden, und so schließlich in einem allgemeinen unterwürfigen Fußfall die alte Opposition der Stadt begraben. Es wäre unehrlich, zu läugnen, daß selbst in Hildesheim auf diesem Wege erhebliche Fortschritte gemacht worden sind. Wenige Jahre wie bisher vielleicht nur noch, und der Missionar des Welfen- thums beherrschte in Gemeinschaft mit der stets für gewisse Gegenleistungen zu habenden katholischen Klerisei die Wahlen. Vor diesem demüthigenden Schicksal hat die preußische Occupation eine wackere Bürgerschaft bewahrt. Es war daher kein Wunder, daß die ersten Pickelhauben nirgends im Hannoverland freudiger begrüßt wurden als in Hildesheim. Sie sind dort wie Befreier ausgenommen und wie Gastfreunde gehalten worden. Diejenigen unter ihnen, welche von Hannover nach Hildesheim kamen, athmeten aus, als kämen sie aus Feindes in Freundes Land. Die preußischen Offiziere verkehrten viel und gern mit den Bürgern in den öffentlichen Localen, während die in Civil einhergehenden Offiziere des aufgelösten welsischen Heeres, ja selbst die meisten Civilbeamten sich des öffentlichen Erscheinens mehr als jemals enthielten. Es entsprach daher nur einer schon mehre Monate langen Vergangenheit, wenn bei der Huldigungs¬ feier, die hier nicht wie in Hannover hinter Schloß und Mauern vor sich ging, sondern unter der strahlendsten Mittagssonne, Magistrat und Bürgervorsteher und andere angesehene Bürger im Festanzuge zugegen waren, und wenn der dem neuen Staate zugewandte Sinn der Bürgerschaft die Gelegenheit ergriff, um durch eine rasch veranstaltete Sammlung freiwilliger Beiträge die Truppen der Garnison für den ihnen entgangenen Antheil an der heimischen Siegesfeier schadlos zu halten. In Kassel habe ich mich seit sechzehn Jahren fast alljährlich ein paar Mal Stunden oder Tage lang ausgehalten, aber noch niemals, außer in diesem Herbst, anders als mit gedrückten Gefühlen und trüben Betrachtungen. Ich lernte es kennen unmittelbar nachdem die große Niederlage des preußischen Staates und der Nation im Jahre 1830 diesem Boden, dem tapfer widerstrebenden Volke die .empfindlichsten Spuren unter allen aufgeprägt hatte. Die triumphirend zurück¬ kehrende Wirthschaft des Kurfürsten sammt seinen Schergen Hassenpflug und Vilmar breitete über das Land eine finstere Grabesdecke aus. Da ich bald nachher zufällig Jacob Grimm in einer sprachwissenschaftlichen Angelegenheit um Rath zu bitten-hatte, schilderte ich ihm in Kürze die Eindrücke, die mir

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_286147/182>, abgerufen am 24.08.2024.