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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band.

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Kreise überwiegenden Einfluß erlangen möchten. Darum sehen wir denn auch,
daß die preußenscindlichsten Bureaukraten statt der "hoffnungslosen Ergebung"
des Herrn v. Münchhausen mehr und mehr eine fast unverschämt zu nennende
hoffnungsdreiste Ergebenheit gegen den neuen Herrn an den Tag legen. Wird
aber der Pöbel erst nicht mehr von vornehmen Herren und Damen aufgemuntert,
Gcsinnungsterrorismus zu üben, so wird ihm der Spaß bald etwas Altes werden.
Dann kann der gebildete Mittelstand die Sympathien für Preußen ungescheut
kundthun, die er zum großen Theil selbst in der Residenzstadt hegt und nur
aus Furcht noch verbirgt.

Hildesheim liegt ver früheren Wclfenresidenz zu nahe, als daß es nicht
unter der Tendenz kleiner und sich selbst überschätzender Höfe, den Ort ihres
regelmäßigen Aufenthalts künstlich zu steigern, vor andren hannoverschen Pro-
vinzialstädten hätte leiden sollen. Ohnehin gehörte es der Dynastie noch nicht
lange genug an, um die Treue gegen das Weifenhaus schon unter seine reli¬
giösen Gefühle aufgenommen zu haben. Der alte Frciheitstrotz der im Kampfe
gegen den Bischof erzogenen natürlich-regsamen Bürgerschaft und das begreif¬
liche Widerstreben des hier domiciürten Katholicismus gegen ein protestantisches
Regiment vereinigten sich, die Stadt zu einem ständigen Sitze der Opposition
zu machen, die hier bis 1848, ja eigentlich wohl bis 1859 vorwiegend demo¬
kratische Farbe trug, seitdem aber nationale Farbe mit einem gewissen Stich
ins Schwarzweiße. Man begann sich von da an gern der einstmaligen kurzen
Zusammengehörigkeit mit Preußen zu erinnern, weniger aus positiver Sehn¬
sucht, als weil man sich mit dem hannoverschen Staatswesen innerlich immer
mehr überwarf. Diese Stimmung mußte auf den Gipfel getrieben werden,
als König Georg seinen Günstling Wermuth zum Landdrosten von Hildesheim
mit dem ausdrücklichen Auftrag ernannte, diese sprödeste unter den "Töchtern
des Landes" zu zähmen. Wermuth, von Anlage und langjährigem Beruf
Polizeimann, war ein Meister in allen den kleinen Künsten, welche zu ober¬
flächlichen Erfolgen führen um den Preis, die Zukunft desto sichrer aufs Spiel
zu setzen. In einem so unumschränkt regierten Staate, wie Hannover vor diesem
gesegneten Sommer trotz Verfassung und Landtag war, brauchte ein dem König
so nahestehender und so seelenverwandter Mann wie er.vor keiner Dreistigkeit
zurückzuschrecken. Er hat sich denn z. B. auch nicht gescheut, um den vortreff¬
lichen, unabhängig gesinnten Magistrat der Stadt zu beugen, in Betreff einer
von ihm geforderten, vom Magistrat als zweckwidrig abgelehnten städtischen
Anlage zwei höheren Wasscrbaubeamten das von ihnen selbst aufgesetzte objec- -
dive Protokoll einer Conferenz als unbrauchbar zurückzugeben und die Unter¬
schrist unter ein von ihm gefertigtes unrichtiges Protokoll abzunöthigen, was
einer dieser Beamten hinterdrein voll Scham und Reue dem Magistrat brieflich
anzeigte. Während Hildesheim vor seiner Zeit grade vermöge der erleuchteten


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Kreise überwiegenden Einfluß erlangen möchten. Darum sehen wir denn auch,
daß die preußenscindlichsten Bureaukraten statt der „hoffnungslosen Ergebung"
des Herrn v. Münchhausen mehr und mehr eine fast unverschämt zu nennende
hoffnungsdreiste Ergebenheit gegen den neuen Herrn an den Tag legen. Wird
aber der Pöbel erst nicht mehr von vornehmen Herren und Damen aufgemuntert,
Gcsinnungsterrorismus zu üben, so wird ihm der Spaß bald etwas Altes werden.
Dann kann der gebildete Mittelstand die Sympathien für Preußen ungescheut
kundthun, die er zum großen Theil selbst in der Residenzstadt hegt und nur
aus Furcht noch verbirgt.

Hildesheim liegt ver früheren Wclfenresidenz zu nahe, als daß es nicht
unter der Tendenz kleiner und sich selbst überschätzender Höfe, den Ort ihres
regelmäßigen Aufenthalts künstlich zu steigern, vor andren hannoverschen Pro-
vinzialstädten hätte leiden sollen. Ohnehin gehörte es der Dynastie noch nicht
lange genug an, um die Treue gegen das Weifenhaus schon unter seine reli¬
giösen Gefühle aufgenommen zu haben. Der alte Frciheitstrotz der im Kampfe
gegen den Bischof erzogenen natürlich-regsamen Bürgerschaft und das begreif¬
liche Widerstreben des hier domiciürten Katholicismus gegen ein protestantisches
Regiment vereinigten sich, die Stadt zu einem ständigen Sitze der Opposition
zu machen, die hier bis 1848, ja eigentlich wohl bis 1859 vorwiegend demo¬
kratische Farbe trug, seitdem aber nationale Farbe mit einem gewissen Stich
ins Schwarzweiße. Man begann sich von da an gern der einstmaligen kurzen
Zusammengehörigkeit mit Preußen zu erinnern, weniger aus positiver Sehn¬
sucht, als weil man sich mit dem hannoverschen Staatswesen innerlich immer
mehr überwarf. Diese Stimmung mußte auf den Gipfel getrieben werden,
als König Georg seinen Günstling Wermuth zum Landdrosten von Hildesheim
mit dem ausdrücklichen Auftrag ernannte, diese sprödeste unter den „Töchtern
des Landes" zu zähmen. Wermuth, von Anlage und langjährigem Beruf
Polizeimann, war ein Meister in allen den kleinen Künsten, welche zu ober¬
flächlichen Erfolgen führen um den Preis, die Zukunft desto sichrer aufs Spiel
zu setzen. In einem so unumschränkt regierten Staate, wie Hannover vor diesem
gesegneten Sommer trotz Verfassung und Landtag war, brauchte ein dem König
so nahestehender und so seelenverwandter Mann wie er.vor keiner Dreistigkeit
zurückzuschrecken. Er hat sich denn z. B. auch nicht gescheut, um den vortreff¬
lichen, unabhängig gesinnten Magistrat der Stadt zu beugen, in Betreff einer
von ihm geforderten, vom Magistrat als zweckwidrig abgelehnten städtischen
Anlage zwei höheren Wasscrbaubeamten das von ihnen selbst aufgesetzte objec- -
dive Protokoll einer Conferenz als unbrauchbar zurückzugeben und die Unter¬
schrist unter ein von ihm gefertigtes unrichtiges Protokoll abzunöthigen, was
einer dieser Beamten hinterdrein voll Scham und Reue dem Magistrat brieflich
anzeigte. Während Hildesheim vor seiner Zeit grade vermöge der erleuchteten


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[0181] Kreise überwiegenden Einfluß erlangen möchten. Darum sehen wir denn auch, daß die preußenscindlichsten Bureaukraten statt der „hoffnungslosen Ergebung" des Herrn v. Münchhausen mehr und mehr eine fast unverschämt zu nennende hoffnungsdreiste Ergebenheit gegen den neuen Herrn an den Tag legen. Wird aber der Pöbel erst nicht mehr von vornehmen Herren und Damen aufgemuntert, Gcsinnungsterrorismus zu üben, so wird ihm der Spaß bald etwas Altes werden. Dann kann der gebildete Mittelstand die Sympathien für Preußen ungescheut kundthun, die er zum großen Theil selbst in der Residenzstadt hegt und nur aus Furcht noch verbirgt. Hildesheim liegt ver früheren Wclfenresidenz zu nahe, als daß es nicht unter der Tendenz kleiner und sich selbst überschätzender Höfe, den Ort ihres regelmäßigen Aufenthalts künstlich zu steigern, vor andren hannoverschen Pro- vinzialstädten hätte leiden sollen. Ohnehin gehörte es der Dynastie noch nicht lange genug an, um die Treue gegen das Weifenhaus schon unter seine reli¬ giösen Gefühle aufgenommen zu haben. Der alte Frciheitstrotz der im Kampfe gegen den Bischof erzogenen natürlich-regsamen Bürgerschaft und das begreif¬ liche Widerstreben des hier domiciürten Katholicismus gegen ein protestantisches Regiment vereinigten sich, die Stadt zu einem ständigen Sitze der Opposition zu machen, die hier bis 1848, ja eigentlich wohl bis 1859 vorwiegend demo¬ kratische Farbe trug, seitdem aber nationale Farbe mit einem gewissen Stich ins Schwarzweiße. Man begann sich von da an gern der einstmaligen kurzen Zusammengehörigkeit mit Preußen zu erinnern, weniger aus positiver Sehn¬ sucht, als weil man sich mit dem hannoverschen Staatswesen innerlich immer mehr überwarf. Diese Stimmung mußte auf den Gipfel getrieben werden, als König Georg seinen Günstling Wermuth zum Landdrosten von Hildesheim mit dem ausdrücklichen Auftrag ernannte, diese sprödeste unter den „Töchtern des Landes" zu zähmen. Wermuth, von Anlage und langjährigem Beruf Polizeimann, war ein Meister in allen den kleinen Künsten, welche zu ober¬ flächlichen Erfolgen führen um den Preis, die Zukunft desto sichrer aufs Spiel zu setzen. In einem so unumschränkt regierten Staate, wie Hannover vor diesem gesegneten Sommer trotz Verfassung und Landtag war, brauchte ein dem König so nahestehender und so seelenverwandter Mann wie er.vor keiner Dreistigkeit zurückzuschrecken. Er hat sich denn z. B. auch nicht gescheut, um den vortreff¬ lichen, unabhängig gesinnten Magistrat der Stadt zu beugen, in Betreff einer von ihm geforderten, vom Magistrat als zweckwidrig abgelehnten städtischen Anlage zwei höheren Wasscrbaubeamten das von ihnen selbst aufgesetzte objec- - dive Protokoll einer Conferenz als unbrauchbar zurückzugeben und die Unter¬ schrist unter ein von ihm gefertigtes unrichtiges Protokoll abzunöthigen, was einer dieser Beamten hinterdrein voll Scham und Reue dem Magistrat brieflich anzeigte. Während Hildesheim vor seiner Zeit grade vermöge der erleuchteten 21*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_286147/181>, abgerufen am 25.08.2024.