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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band.

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ferner wollte man sich öffentlich auesprechen, als bis alles vollendete Thatsache
sei. Die Versammlung wurde daher auch, weil die Besitzergreifung auf sich
warten ließ, vom 24. September auf den nächstfolgenden Sonntag hinaus¬
geschoben. In derselben soll sich Bennigsen denn auch anfangs gegen jede
öffentliche Erklärung überhaupt gesträubt haben; er wollte lediglich die Eingabe
an das Ministerium. Erklärung und Eingabe sind würdig gehalten, zweck¬
mäßigen Inhalts; aber ein wärmerer Ton. eine entschiedenere Parteinahme für
den neuen Stand der Dinge, ein freudigerer Muth für die noch übrigen vater¬
ländischen Arbeiten wird doch darin nicht ohne Befremden vermißt. Ist es
wirklich die active liberale Partei, die so spät und dann so vorsichtig bemessen
spricht? Nein, es ist eine Koalition aller mittleren Elemente, und die nationale
Fortschrittspartei, die gewohnt war, in Bennigsen den Dolmetscher ihrer Em¬
pfindungen und Entschlüsse zu finden, muß sich darein ergeben, ihn seine aus¬
gezeichnete Führerschaft auf bisher bekämpfte oder in bestimmter Entfernung
gehaltene andere Parteien oder Reste alter Parteien miterstrecken zu sehen.

Die sehr natürlichen Klagen über diesen relativen Wechsel der Stellung,
von einstigen begeisterten Anhängern Bennigsens im Lande ausgesprochen, tönten
noch in meinen Ohren nach, als ich die vormalige Welfeurcsidenz erreichte. Ich gebe
sie hier als eine feststehende und beachtenswerthe Thatsache wieder, ohne noch
entscheiden zu wollen, ob sie mehr als subjective Begründung haben. Das muß
der Erfolg lehren. Wenn das Ergebniß der Neichstagswahlen vorliegt, oder
wenn übers Jahr die Vertreter des hannoverschen Volkes gleichberechtigt in den
preußischen Landtag eintreten, wird sich zeige", ob Bennigsen sich augenblicklich
mit Recht oder Unrecht der unvermeidlichen Mißstimmung seiner eifrigsten bis¬
herigen Anhänger aussetzt. Ein Mann von seinem Charakter und seiner Ver¬
gangenheit kann wohl verlangen, daß man ihn nicht vorschnell verwerfe.

Ganz anders lautet natürlich das Urtheil über die nichtsnutzigen Agitationen,
deren Vorhandensein Bennigsen eine vielleicht zu weitgehende Rücksicht zollt.
Der Einverleibungstag rief jene bekannte Abgeschmacktheit des anonymen Central-
comitvs hervor, das natürlich bei Nacht lagert, in der Frühe gedruckte Zettel
in die Häuser werfen ließ, welche zur Schließung der Läden, Anlegung von
Trauerkleidern, Enthaltung von den öffentlichen Vcrgnüglichkeitcn u. tgi. in.
aufforderten. Die schlechte Copie wälscher und sarmatischer Nationalitäts¬
demonstrationen, angewandt gegen den die Nationalität vertretenden Staat,
verfing nicht einmal recht bei den mißvergnügten Beamtenfamilien und den
mit Verlust ihrer bunten Schilder bedrohten Hoflieferanten. Man brummt
wohl Uebereinstimmung im vertrauten Kreise vor sich hin. aber nach außen hin
machen die Meisten von ihr°er angeblich so unbezähmbaren Loyalität gegen das
Welfenhaus nur sehr bescheidenen Gebrauch. Schon waltet die weise Erwägung
vor. daß wenn man nicht bald mit der neuen Regierung Frieden schließe, andere


ferner wollte man sich öffentlich auesprechen, als bis alles vollendete Thatsache
sei. Die Versammlung wurde daher auch, weil die Besitzergreifung auf sich
warten ließ, vom 24. September auf den nächstfolgenden Sonntag hinaus¬
geschoben. In derselben soll sich Bennigsen denn auch anfangs gegen jede
öffentliche Erklärung überhaupt gesträubt haben; er wollte lediglich die Eingabe
an das Ministerium. Erklärung und Eingabe sind würdig gehalten, zweck¬
mäßigen Inhalts; aber ein wärmerer Ton. eine entschiedenere Parteinahme für
den neuen Stand der Dinge, ein freudigerer Muth für die noch übrigen vater¬
ländischen Arbeiten wird doch darin nicht ohne Befremden vermißt. Ist es
wirklich die active liberale Partei, die so spät und dann so vorsichtig bemessen
spricht? Nein, es ist eine Koalition aller mittleren Elemente, und die nationale
Fortschrittspartei, die gewohnt war, in Bennigsen den Dolmetscher ihrer Em¬
pfindungen und Entschlüsse zu finden, muß sich darein ergeben, ihn seine aus¬
gezeichnete Führerschaft auf bisher bekämpfte oder in bestimmter Entfernung
gehaltene andere Parteien oder Reste alter Parteien miterstrecken zu sehen.

Die sehr natürlichen Klagen über diesen relativen Wechsel der Stellung,
von einstigen begeisterten Anhängern Bennigsens im Lande ausgesprochen, tönten
noch in meinen Ohren nach, als ich die vormalige Welfeurcsidenz erreichte. Ich gebe
sie hier als eine feststehende und beachtenswerthe Thatsache wieder, ohne noch
entscheiden zu wollen, ob sie mehr als subjective Begründung haben. Das muß
der Erfolg lehren. Wenn das Ergebniß der Neichstagswahlen vorliegt, oder
wenn übers Jahr die Vertreter des hannoverschen Volkes gleichberechtigt in den
preußischen Landtag eintreten, wird sich zeige», ob Bennigsen sich augenblicklich
mit Recht oder Unrecht der unvermeidlichen Mißstimmung seiner eifrigsten bis¬
herigen Anhänger aussetzt. Ein Mann von seinem Charakter und seiner Ver¬
gangenheit kann wohl verlangen, daß man ihn nicht vorschnell verwerfe.

Ganz anders lautet natürlich das Urtheil über die nichtsnutzigen Agitationen,
deren Vorhandensein Bennigsen eine vielleicht zu weitgehende Rücksicht zollt.
Der Einverleibungstag rief jene bekannte Abgeschmacktheit des anonymen Central-
comitvs hervor, das natürlich bei Nacht lagert, in der Frühe gedruckte Zettel
in die Häuser werfen ließ, welche zur Schließung der Läden, Anlegung von
Trauerkleidern, Enthaltung von den öffentlichen Vcrgnüglichkeitcn u. tgi. in.
aufforderten. Die schlechte Copie wälscher und sarmatischer Nationalitäts¬
demonstrationen, angewandt gegen den die Nationalität vertretenden Staat,
verfing nicht einmal recht bei den mißvergnügten Beamtenfamilien und den
mit Verlust ihrer bunten Schilder bedrohten Hoflieferanten. Man brummt
wohl Uebereinstimmung im vertrauten Kreise vor sich hin. aber nach außen hin
machen die Meisten von ihr°er angeblich so unbezähmbaren Loyalität gegen das
Welfenhaus nur sehr bescheidenen Gebrauch. Schon waltet die weise Erwägung
vor. daß wenn man nicht bald mit der neuen Regierung Frieden schließe, andere


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_286147/180>, abgerufen am 02.10.2024.