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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band.

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ist kaum ein Anhalten möglich, noch weniger ein Rückschritt ohne Niederlage
und Schmach. Wie vorsichtig auch die Weise war, in welcher Preußen die
Bevölkerung deutscher Länder in sich aufgenommen hat, ehern ist die Hand des
Schicksals, welches sich jetzt auf uns gelegt hat, und wir alle müssen auf dem¬
selben Wege vorwärts, ohne Wahl. Wer sich widersetzen will, wird nieder¬
geworfen, der Trotz des Einzelnen wie jedes Theils muß fortan zum Heil des
Ganzen gebrochen werden. Ob die Männer, welche jetzt die Geschäfte Preußens
leiten, die Arbeit zu Ende führen, welche sie so selbstwillig begonnen, wissen
wir nicht. Aber auch eine neue Regierung in Preußen und ein neues System
wird die Kräfte nicht entbehren, welche auf dem jetzt eingeschlagenen Wege vor¬
wärts gehen müssen, vielleicht mit weniger Rücksicht und weniger Bedenken.
Der kurze Krieg hat dort eine Fülle von Kraft frei gemacht und zuverlässig
auch Talente heraufgebracht, welche das volle Maß von Patriotismus, Stolz
und Energie haben, um im Krieg und Frieden an der Lösung der deutschen
Frage zu arbeiten. Nach dieser Richtung sind die Tage des berliner Sieges¬
zugs für die Deutschen und das Ausland sehr lehrreich, das preußische Volk
ist sich seiner Stärke bewußt geworden wie das Heer. Es war kein hohler
Festrausch, der dort Hoch rief, die heimkehrenden Soldaten in die Arme schloß
und bedächtigen Leuten Freudenthränen auf die Wangen trieb; es war der
Anfang einer großen Zeit auch für das preußische Volk. Die kühnste Politik
wird fortan dort Beifall und aufopfernde Unterstützung finden. Und solche
Politik ist jetzt sogar nothwendig geworden, um dem Königshaus und der Re¬
gierung ihr Ansehen im eigenen Lande zu sichern. Die Zeit ist für Preußen
vorbei, wo die Regierung einen kläglichen Literaten wie May wegen Preußen-
feindlicher Aeußerungen mit ostensiblem Haß verfolgte und einen preußischen
Grafen oder Herzog, die ihren Sitz im Herrenhause verschmähen und erklären,
nicht mehr Preußen sein zu wollen, geduldig trotzen läßt. Es wäre unerfreu¬
lich, wenn an den Gutsherrn in Hannover und ein den Partisanen Oestreichs
in Westfalen ein Exempel statuirt werden müßte; aber die Herren mögen sich
erinnern, daß sie jetzt Vor dieser Aussicht stehen. Und wenn die Regierung
nicht von selbst Schritte thut, so werden nächstens einmal die Preußen dies
fordern.

Jeden Deutschen, der jetzt athmet, von König Wilhelm und seinem Mi-
nister an bis zum ärmsten Tagearbeiter in Mecklenburg, hat dieses Jahr über-
rascht und in neue Bahnen gedrängt. Wir wundern uns nicht, daß diese plötz-
liche Umwandlung Vielen Schmerzen macht; aber wir preisen den vor andern
glücklich, der sich in den vergangenen Jahren den Glauben an die Kraft und
Tüchtigkeit Preußens sicher im Herzen bewahrt hat, denn nur er empfindet die
Freude, daß ihm eine Erfüllung treugehegtcr Hoffnung ist, was jetzt plötzlich
ins Leben tritt.




ist kaum ein Anhalten möglich, noch weniger ein Rückschritt ohne Niederlage
und Schmach. Wie vorsichtig auch die Weise war, in welcher Preußen die
Bevölkerung deutscher Länder in sich aufgenommen hat, ehern ist die Hand des
Schicksals, welches sich jetzt auf uns gelegt hat, und wir alle müssen auf dem¬
selben Wege vorwärts, ohne Wahl. Wer sich widersetzen will, wird nieder¬
geworfen, der Trotz des Einzelnen wie jedes Theils muß fortan zum Heil des
Ganzen gebrochen werden. Ob die Männer, welche jetzt die Geschäfte Preußens
leiten, die Arbeit zu Ende führen, welche sie so selbstwillig begonnen, wissen
wir nicht. Aber auch eine neue Regierung in Preußen und ein neues System
wird die Kräfte nicht entbehren, welche auf dem jetzt eingeschlagenen Wege vor¬
wärts gehen müssen, vielleicht mit weniger Rücksicht und weniger Bedenken.
Der kurze Krieg hat dort eine Fülle von Kraft frei gemacht und zuverlässig
auch Talente heraufgebracht, welche das volle Maß von Patriotismus, Stolz
und Energie haben, um im Krieg und Frieden an der Lösung der deutschen
Frage zu arbeiten. Nach dieser Richtung sind die Tage des berliner Sieges¬
zugs für die Deutschen und das Ausland sehr lehrreich, das preußische Volk
ist sich seiner Stärke bewußt geworden wie das Heer. Es war kein hohler
Festrausch, der dort Hoch rief, die heimkehrenden Soldaten in die Arme schloß
und bedächtigen Leuten Freudenthränen auf die Wangen trieb; es war der
Anfang einer großen Zeit auch für das preußische Volk. Die kühnste Politik
wird fortan dort Beifall und aufopfernde Unterstützung finden. Und solche
Politik ist jetzt sogar nothwendig geworden, um dem Königshaus und der Re¬
gierung ihr Ansehen im eigenen Lande zu sichern. Die Zeit ist für Preußen
vorbei, wo die Regierung einen kläglichen Literaten wie May wegen Preußen-
feindlicher Aeußerungen mit ostensiblem Haß verfolgte und einen preußischen
Grafen oder Herzog, die ihren Sitz im Herrenhause verschmähen und erklären,
nicht mehr Preußen sein zu wollen, geduldig trotzen läßt. Es wäre unerfreu¬
lich, wenn an den Gutsherrn in Hannover und ein den Partisanen Oestreichs
in Westfalen ein Exempel statuirt werden müßte; aber die Herren mögen sich
erinnern, daß sie jetzt Vor dieser Aussicht stehen. Und wenn die Regierung
nicht von selbst Schritte thut, so werden nächstens einmal die Preußen dies
fordern.

Jeden Deutschen, der jetzt athmet, von König Wilhelm und seinem Mi-
nister an bis zum ärmsten Tagearbeiter in Mecklenburg, hat dieses Jahr über-
rascht und in neue Bahnen gedrängt. Wir wundern uns nicht, daß diese plötz-
liche Umwandlung Vielen Schmerzen macht; aber wir preisen den vor andern
glücklich, der sich in den vergangenen Jahren den Glauben an die Kraft und
Tüchtigkeit Preußens sicher im Herzen bewahrt hat, denn nur er empfindet die
Freude, daß ihm eine Erfüllung treugehegtcr Hoffnung ist, was jetzt plötzlich
ins Leben tritt.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_286147/18>, abgerufen am 30.06.2024.