Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

der sich in seinem gelehrten Leben mindestens ein Halbhundertmal wiederholte,
so befolgte er, nicht aus Reflexion oder als mnemotechnisches Hilfsmittel, son¬
dern durch den unmittelbaren Jnstinct seines Geistes getrieben, stets die Methode,
eine ganze längere Zeit -- er rechnete im Durchschnitt 6 bis 8 Wochen dazu
nöt'sig --, nur diese eine Sprache vorzunehmen und ausschließlich in ihr zu
leben. Es war ihm während dem gradezu unmöglich, Schriftwerke einer andern
oder mehrer anderer daneben zu lesen, am allerwenigsten etwa mehr als eine
ihm noch unbekannte auf einmal oder neben einander zu erlernen. Sein Geist
bohrte sich, so zu sagen, oder versenkte sich so völlig hinein in das ihm noch
fremde Object, daß einstweilen kein Raum für etwas Anderes gleicher Art blieb.
Andere wissenschaftliche Gegenstände aus ganz entlegenen Gebieten konnten ihn
nicht stören: sie diente" ihm vielmehr zu der bei solcher erschöpfenden Anspannung
durchaus nöthigen Erholung.

Das linguistische Interesse, welches ihn zuerst zum Sanskrit geführt hatte,
verband sich naturgemäß sofort mit dem poetischen. Wenn irgendwo, erhielt
das eine wie das andere hier seine reichste Befriedigung, ohne daß er je zu
einer Überschätzung sich hätte verleiten lassen. Davor sicherte ihn schon seine
universelle Kenntniß der Sprache, sein Eindringen und Einleben in die Welt¬
literatur in einem Umfange und einer Tiefe, deren sich nicht leicht ein Anderer
rühmen konnte. Wie hätte er von einseitigen Vorurtheilen befangen sein kön¬
nen, er, der in allen sichtbaren Erscheinungen der Sprachen und ihren Kunst¬
schöpfungen nur die stufenweisen und organischen Offenbarungen eines und
desselben Geistes sah, er, dem der Begriff der historischen Berechtigung und
Würdigung schon durch Intuition aufgegangen war. als er nur noch auf einem
relativ sehr engen Gebiete, dem der classischen und modernen Sprachen und
Literaturen, heimisch war? Daß ihn aber die verba!tnißmäßig einzige Vollen¬
dung der Sprachbildung, ebenso wie die verhältnißmäßig einzige Fülle der
Phantasie und poetischer Conception im Sanskrit mit stets wachsender, weil
stets besser begründeter Bewunderung erfüllte, versteht sich eben deshalb von
selbst. Jene sonderbare Art von angeblichen Patriotismus, der ihm als Dich¬
ter und als Gelehrten seine angebliche Vorliebe für so völlig fremdartige Dinge
und die nach einem ebenso wunderlichen Vorurtheil nothwendig damit verbun¬
dene Entfremdung von der eigenen Heimath zum Vorwurf zu wenden suchte,
blieb ihm unverständlich, oder er hätte in ihr das, was sie ist, eine bloße Bor-
nirtheit, wenn nicht etwas Gemeineres sehen dürfen, wenn seine große und reine
Seele nicht zu arglos dazu gewesen wäre. Es geschah häusig genug, um irgend¬
einen poetischen, landsmannschaftlichcn oder politischen Parteigenossen gegen
ihn den absolut selbständigen und Unabhängigen möglichst ins Licht zu setzen
und wenn man sonst nicht viel zu sagen wußte, so war man damit wohlfeil
genug mit einer Waffe versehen, die immer einige Wirkung that, da wir uns


der sich in seinem gelehrten Leben mindestens ein Halbhundertmal wiederholte,
so befolgte er, nicht aus Reflexion oder als mnemotechnisches Hilfsmittel, son¬
dern durch den unmittelbaren Jnstinct seines Geistes getrieben, stets die Methode,
eine ganze längere Zeit — er rechnete im Durchschnitt 6 bis 8 Wochen dazu
nöt'sig —, nur diese eine Sprache vorzunehmen und ausschließlich in ihr zu
leben. Es war ihm während dem gradezu unmöglich, Schriftwerke einer andern
oder mehrer anderer daneben zu lesen, am allerwenigsten etwa mehr als eine
ihm noch unbekannte auf einmal oder neben einander zu erlernen. Sein Geist
bohrte sich, so zu sagen, oder versenkte sich so völlig hinein in das ihm noch
fremde Object, daß einstweilen kein Raum für etwas Anderes gleicher Art blieb.
Andere wissenschaftliche Gegenstände aus ganz entlegenen Gebieten konnten ihn
nicht stören: sie diente» ihm vielmehr zu der bei solcher erschöpfenden Anspannung
durchaus nöthigen Erholung.

Das linguistische Interesse, welches ihn zuerst zum Sanskrit geführt hatte,
verband sich naturgemäß sofort mit dem poetischen. Wenn irgendwo, erhielt
das eine wie das andere hier seine reichste Befriedigung, ohne daß er je zu
einer Überschätzung sich hätte verleiten lassen. Davor sicherte ihn schon seine
universelle Kenntniß der Sprache, sein Eindringen und Einleben in die Welt¬
literatur in einem Umfange und einer Tiefe, deren sich nicht leicht ein Anderer
rühmen konnte. Wie hätte er von einseitigen Vorurtheilen befangen sein kön¬
nen, er, der in allen sichtbaren Erscheinungen der Sprachen und ihren Kunst¬
schöpfungen nur die stufenweisen und organischen Offenbarungen eines und
desselben Geistes sah, er, dem der Begriff der historischen Berechtigung und
Würdigung schon durch Intuition aufgegangen war. als er nur noch auf einem
relativ sehr engen Gebiete, dem der classischen und modernen Sprachen und
Literaturen, heimisch war? Daß ihn aber die verba!tnißmäßig einzige Vollen¬
dung der Sprachbildung, ebenso wie die verhältnißmäßig einzige Fülle der
Phantasie und poetischer Conception im Sanskrit mit stets wachsender, weil
stets besser begründeter Bewunderung erfüllte, versteht sich eben deshalb von
selbst. Jene sonderbare Art von angeblichen Patriotismus, der ihm als Dich¬
ter und als Gelehrten seine angebliche Vorliebe für so völlig fremdartige Dinge
und die nach einem ebenso wunderlichen Vorurtheil nothwendig damit verbun¬
dene Entfremdung von der eigenen Heimath zum Vorwurf zu wenden suchte,
blieb ihm unverständlich, oder er hätte in ihr das, was sie ist, eine bloße Bor-
nirtheit, wenn nicht etwas Gemeineres sehen dürfen, wenn seine große und reine
Seele nicht zu arglos dazu gewesen wäre. Es geschah häusig genug, um irgend¬
einen poetischen, landsmannschaftlichcn oder politischen Parteigenossen gegen
ihn den absolut selbständigen und Unabhängigen möglichst ins Licht zu setzen
und wenn man sonst nicht viel zu sagen wußte, so war man damit wohlfeil
genug mit einer Waffe versehen, die immer einige Wirkung that, da wir uns


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0165" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/286313"/>
          <p xml:id="ID_442" prev="#ID_441"> der sich in seinem gelehrten Leben mindestens ein Halbhundertmal wiederholte,<lb/>
so befolgte er, nicht aus Reflexion oder als mnemotechnisches Hilfsmittel, son¬<lb/>
dern durch den unmittelbaren Jnstinct seines Geistes getrieben, stets die Methode,<lb/>
eine ganze längere Zeit &#x2014; er rechnete im Durchschnitt 6 bis 8 Wochen dazu<lb/>
nöt'sig &#x2014;, nur diese eine Sprache vorzunehmen und ausschließlich in ihr zu<lb/>
leben. Es war ihm während dem gradezu unmöglich, Schriftwerke einer andern<lb/>
oder mehrer anderer daneben zu lesen, am allerwenigsten etwa mehr als eine<lb/>
ihm noch unbekannte auf einmal oder neben einander zu erlernen. Sein Geist<lb/>
bohrte sich, so zu sagen, oder versenkte sich so völlig hinein in das ihm noch<lb/>
fremde Object, daß einstweilen kein Raum für etwas Anderes gleicher Art blieb.<lb/>
Andere wissenschaftliche Gegenstände aus ganz entlegenen Gebieten konnten ihn<lb/>
nicht stören: sie diente» ihm vielmehr zu der bei solcher erschöpfenden Anspannung<lb/>
durchaus nöthigen Erholung.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_443" next="#ID_444"> Das linguistische Interesse, welches ihn zuerst zum Sanskrit geführt hatte,<lb/>
verband sich naturgemäß sofort mit dem poetischen. Wenn irgendwo, erhielt<lb/>
das eine wie das andere hier seine reichste Befriedigung, ohne daß er je zu<lb/>
einer Überschätzung sich hätte verleiten lassen. Davor sicherte ihn schon seine<lb/>
universelle Kenntniß der Sprache, sein Eindringen und Einleben in die Welt¬<lb/>
literatur in einem Umfange und einer Tiefe, deren sich nicht leicht ein Anderer<lb/>
rühmen konnte. Wie hätte er von einseitigen Vorurtheilen befangen sein kön¬<lb/>
nen, er, der in allen sichtbaren Erscheinungen der Sprachen und ihren Kunst¬<lb/>
schöpfungen nur die stufenweisen und organischen Offenbarungen eines und<lb/>
desselben Geistes sah, er, dem der Begriff der historischen Berechtigung und<lb/>
Würdigung schon durch Intuition aufgegangen war. als er nur noch auf einem<lb/>
relativ sehr engen Gebiete, dem der classischen und modernen Sprachen und<lb/>
Literaturen, heimisch war? Daß ihn aber die verba!tnißmäßig einzige Vollen¬<lb/>
dung der Sprachbildung, ebenso wie die verhältnißmäßig einzige Fülle der<lb/>
Phantasie und poetischer Conception im Sanskrit mit stets wachsender, weil<lb/>
stets besser begründeter Bewunderung erfüllte, versteht sich eben deshalb von<lb/>
selbst. Jene sonderbare Art von angeblichen Patriotismus, der ihm als Dich¬<lb/>
ter und als Gelehrten seine angebliche Vorliebe für so völlig fremdartige Dinge<lb/>
und die nach einem ebenso wunderlichen Vorurtheil nothwendig damit verbun¬<lb/>
dene Entfremdung von der eigenen Heimath zum Vorwurf zu wenden suchte,<lb/>
blieb ihm unverständlich, oder er hätte in ihr das, was sie ist, eine bloße Bor-<lb/>
nirtheit, wenn nicht etwas Gemeineres sehen dürfen, wenn seine große und reine<lb/>
Seele nicht zu arglos dazu gewesen wäre. Es geschah häusig genug, um irgend¬<lb/>
einen poetischen, landsmannschaftlichcn oder politischen Parteigenossen gegen<lb/>
ihn den absolut selbständigen und Unabhängigen möglichst ins Licht zu setzen<lb/>
und wenn man sonst nicht viel zu sagen wußte, so war man damit wohlfeil<lb/>
genug mit einer Waffe versehen, die immer einige Wirkung that, da wir uns</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0165] der sich in seinem gelehrten Leben mindestens ein Halbhundertmal wiederholte, so befolgte er, nicht aus Reflexion oder als mnemotechnisches Hilfsmittel, son¬ dern durch den unmittelbaren Jnstinct seines Geistes getrieben, stets die Methode, eine ganze längere Zeit — er rechnete im Durchschnitt 6 bis 8 Wochen dazu nöt'sig —, nur diese eine Sprache vorzunehmen und ausschließlich in ihr zu leben. Es war ihm während dem gradezu unmöglich, Schriftwerke einer andern oder mehrer anderer daneben zu lesen, am allerwenigsten etwa mehr als eine ihm noch unbekannte auf einmal oder neben einander zu erlernen. Sein Geist bohrte sich, so zu sagen, oder versenkte sich so völlig hinein in das ihm noch fremde Object, daß einstweilen kein Raum für etwas Anderes gleicher Art blieb. Andere wissenschaftliche Gegenstände aus ganz entlegenen Gebieten konnten ihn nicht stören: sie diente» ihm vielmehr zu der bei solcher erschöpfenden Anspannung durchaus nöthigen Erholung. Das linguistische Interesse, welches ihn zuerst zum Sanskrit geführt hatte, verband sich naturgemäß sofort mit dem poetischen. Wenn irgendwo, erhielt das eine wie das andere hier seine reichste Befriedigung, ohne daß er je zu einer Überschätzung sich hätte verleiten lassen. Davor sicherte ihn schon seine universelle Kenntniß der Sprache, sein Eindringen und Einleben in die Welt¬ literatur in einem Umfange und einer Tiefe, deren sich nicht leicht ein Anderer rühmen konnte. Wie hätte er von einseitigen Vorurtheilen befangen sein kön¬ nen, er, der in allen sichtbaren Erscheinungen der Sprachen und ihren Kunst¬ schöpfungen nur die stufenweisen und organischen Offenbarungen eines und desselben Geistes sah, er, dem der Begriff der historischen Berechtigung und Würdigung schon durch Intuition aufgegangen war. als er nur noch auf einem relativ sehr engen Gebiete, dem der classischen und modernen Sprachen und Literaturen, heimisch war? Daß ihn aber die verba!tnißmäßig einzige Vollen¬ dung der Sprachbildung, ebenso wie die verhältnißmäßig einzige Fülle der Phantasie und poetischer Conception im Sanskrit mit stets wachsender, weil stets besser begründeter Bewunderung erfüllte, versteht sich eben deshalb von selbst. Jene sonderbare Art von angeblichen Patriotismus, der ihm als Dich¬ ter und als Gelehrten seine angebliche Vorliebe für so völlig fremdartige Dinge und die nach einem ebenso wunderlichen Vorurtheil nothwendig damit verbun¬ dene Entfremdung von der eigenen Heimath zum Vorwurf zu wenden suchte, blieb ihm unverständlich, oder er hätte in ihr das, was sie ist, eine bloße Bor- nirtheit, wenn nicht etwas Gemeineres sehen dürfen, wenn seine große und reine Seele nicht zu arglos dazu gewesen wäre. Es geschah häusig genug, um irgend¬ einen poetischen, landsmannschaftlichcn oder politischen Parteigenossen gegen ihn den absolut selbständigen und Unabhängigen möglichst ins Licht zu setzen und wenn man sonst nicht viel zu sagen wußte, so war man damit wohlfeil genug mit einer Waffe versehen, die immer einige Wirkung that, da wir uns

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_286147
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_286147/165
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_286147/165>, abgerufen am 04.07.2024.