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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band.

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der Hamasa als Grenze angenommen werden. Sie fällt in das Jahr 1844;
die Arbeit gehörte zu denjenigen, die sowohl den Gelehrten wie den Dichter
in aller seiner Kraft in Anspruch nahmen. Begonnen war sie schon in den
ersten Jahren seiner orientalischen Studien, noch in Koburg. aber aus verschie¬
denen Ursachen oft Jahre lang liegen geblieben, so daß bis zu ihrem völligen
Abschluß beinahe ein ganzes Menschenalter verging. Bon da ab verlor Rückert
die arabische Sprache und Literatur zwar nicht aus den Augen, aber er sagte
sich selbst, daß er bis zu dem Ziele vorgedrungen sei. das er sich ursprünglich
selbst gesteckt hatte und daß er einen Theil seiner Arbeitskraft nun von diesem
Felde hinwegziehen könne, um ihn anderwärts ergiebiger zu verwenden. Den
Platz des Arabischen hatte allmcilig in der Neigung und in der äußern Dis¬
position über seine Arbeitszeit das Sanskrit und daneben das Persische ein¬
genommen. Durch das letztere war selbstverständlich auch immer ein Ver-
bindungsfäden mit dem Arabischen festgehalten, von dem es in den Kunstformen
seiner Literatur in den Stoffen, ja selbst in seinem lexikalischen Material so
stark beeinflußt ist, daß es ohne jenes gar nicht recht begriffen werden kann.

Dem äußeren Umfange nach ist das Material aller Art, welches Rückerts
Sanekritstudien zu Tage gefördert haben, noch bedeutender selbst als das der
arabischen, ja der gesammten semitischen. Ohne seinen Gehalt noch in Betracht
zu ziehen, scheint sich darin eine weit über das gewöhnliche Maß des Fleißes
und der Productivität hinausreichende Thätigkeit eines ganzen vollen Lebens ab¬
zuspiegeln, während es hier nur ein Stück, wenn auch ein vorzüglich begün¬
stigtes, des Ganzen ist. Was Rückert als Ahnung in seiner Doctordissertation
ausgesprochen, das sah er allmcilig im Laufe des letzten Menschenalters der
linguistischen Studien in Erfüllung gehen. Im Sanskrit war zwar nicht die
Ursache an sich gefunden, wie manche Leute von starker Phantasie und geringer
Gcdankenschcufe wähnten -- Rückert selbst hat sich niemals eine solche Confusion
der Begriffe zu Schulden kommen lassen --. aber doch eine Art von Schlüssel
für die Genesis und Construction einer ganzen Menge von Sprachen. Die
Sprachvergleichung,,eine Wissenschaft, die ohne die genaue Kenntniß des Sans¬
krit undenkbar wäre, beruhte auch für ihn zunächst auf dieser Grundlage, aber
wir haben schon gesehen, daß seine linguistische Perspective viel zu großartig
war, als daß er seinem Auge an der Grenze der sogenannten indogermanischen
Sprachen hätte Halt gebieten können. Die vollkommenste Herrschaft über das
Sprachmaterial des Sanskrit erlangte er rasch und ungefähr in derselben Zeit,
in der er eine für die Erlernung offenbar viel schwierigere Sprache, eine, die
namentlich in der Fülle und Mannigfaltigkeit ihres Wortschatzes das Sanskrit
weit übertrifft, das Arabische, sich zu eigen machte. Nur Möchten wir hier noch
bemerken, daß der Ausdruck in derselben Zeit sich auf eine längere Periode be¬
zieht. Wenn Rückert an die Bewältigung einer neuen Sprache ging, ein Fall,


der Hamasa als Grenze angenommen werden. Sie fällt in das Jahr 1844;
die Arbeit gehörte zu denjenigen, die sowohl den Gelehrten wie den Dichter
in aller seiner Kraft in Anspruch nahmen. Begonnen war sie schon in den
ersten Jahren seiner orientalischen Studien, noch in Koburg. aber aus verschie¬
denen Ursachen oft Jahre lang liegen geblieben, so daß bis zu ihrem völligen
Abschluß beinahe ein ganzes Menschenalter verging. Bon da ab verlor Rückert
die arabische Sprache und Literatur zwar nicht aus den Augen, aber er sagte
sich selbst, daß er bis zu dem Ziele vorgedrungen sei. das er sich ursprünglich
selbst gesteckt hatte und daß er einen Theil seiner Arbeitskraft nun von diesem
Felde hinwegziehen könne, um ihn anderwärts ergiebiger zu verwenden. Den
Platz des Arabischen hatte allmcilig in der Neigung und in der äußern Dis¬
position über seine Arbeitszeit das Sanskrit und daneben das Persische ein¬
genommen. Durch das letztere war selbstverständlich auch immer ein Ver-
bindungsfäden mit dem Arabischen festgehalten, von dem es in den Kunstformen
seiner Literatur in den Stoffen, ja selbst in seinem lexikalischen Material so
stark beeinflußt ist, daß es ohne jenes gar nicht recht begriffen werden kann.

Dem äußeren Umfange nach ist das Material aller Art, welches Rückerts
Sanekritstudien zu Tage gefördert haben, noch bedeutender selbst als das der
arabischen, ja der gesammten semitischen. Ohne seinen Gehalt noch in Betracht
zu ziehen, scheint sich darin eine weit über das gewöhnliche Maß des Fleißes
und der Productivität hinausreichende Thätigkeit eines ganzen vollen Lebens ab¬
zuspiegeln, während es hier nur ein Stück, wenn auch ein vorzüglich begün¬
stigtes, des Ganzen ist. Was Rückert als Ahnung in seiner Doctordissertation
ausgesprochen, das sah er allmcilig im Laufe des letzten Menschenalters der
linguistischen Studien in Erfüllung gehen. Im Sanskrit war zwar nicht die
Ursache an sich gefunden, wie manche Leute von starker Phantasie und geringer
Gcdankenschcufe wähnten — Rückert selbst hat sich niemals eine solche Confusion
der Begriffe zu Schulden kommen lassen —. aber doch eine Art von Schlüssel
für die Genesis und Construction einer ganzen Menge von Sprachen. Die
Sprachvergleichung,,eine Wissenschaft, die ohne die genaue Kenntniß des Sans¬
krit undenkbar wäre, beruhte auch für ihn zunächst auf dieser Grundlage, aber
wir haben schon gesehen, daß seine linguistische Perspective viel zu großartig
war, als daß er seinem Auge an der Grenze der sogenannten indogermanischen
Sprachen hätte Halt gebieten können. Die vollkommenste Herrschaft über das
Sprachmaterial des Sanskrit erlangte er rasch und ungefähr in derselben Zeit,
in der er eine für die Erlernung offenbar viel schwierigere Sprache, eine, die
namentlich in der Fülle und Mannigfaltigkeit ihres Wortschatzes das Sanskrit
weit übertrifft, das Arabische, sich zu eigen machte. Nur Möchten wir hier noch
bemerken, daß der Ausdruck in derselben Zeit sich auf eine längere Periode be¬
zieht. Wenn Rückert an die Bewältigung einer neuen Sprache ging, ein Fall,


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[0164] der Hamasa als Grenze angenommen werden. Sie fällt in das Jahr 1844; die Arbeit gehörte zu denjenigen, die sowohl den Gelehrten wie den Dichter in aller seiner Kraft in Anspruch nahmen. Begonnen war sie schon in den ersten Jahren seiner orientalischen Studien, noch in Koburg. aber aus verschie¬ denen Ursachen oft Jahre lang liegen geblieben, so daß bis zu ihrem völligen Abschluß beinahe ein ganzes Menschenalter verging. Bon da ab verlor Rückert die arabische Sprache und Literatur zwar nicht aus den Augen, aber er sagte sich selbst, daß er bis zu dem Ziele vorgedrungen sei. das er sich ursprünglich selbst gesteckt hatte und daß er einen Theil seiner Arbeitskraft nun von diesem Felde hinwegziehen könne, um ihn anderwärts ergiebiger zu verwenden. Den Platz des Arabischen hatte allmcilig in der Neigung und in der äußern Dis¬ position über seine Arbeitszeit das Sanskrit und daneben das Persische ein¬ genommen. Durch das letztere war selbstverständlich auch immer ein Ver- bindungsfäden mit dem Arabischen festgehalten, von dem es in den Kunstformen seiner Literatur in den Stoffen, ja selbst in seinem lexikalischen Material so stark beeinflußt ist, daß es ohne jenes gar nicht recht begriffen werden kann. Dem äußeren Umfange nach ist das Material aller Art, welches Rückerts Sanekritstudien zu Tage gefördert haben, noch bedeutender selbst als das der arabischen, ja der gesammten semitischen. Ohne seinen Gehalt noch in Betracht zu ziehen, scheint sich darin eine weit über das gewöhnliche Maß des Fleißes und der Productivität hinausreichende Thätigkeit eines ganzen vollen Lebens ab¬ zuspiegeln, während es hier nur ein Stück, wenn auch ein vorzüglich begün¬ stigtes, des Ganzen ist. Was Rückert als Ahnung in seiner Doctordissertation ausgesprochen, das sah er allmcilig im Laufe des letzten Menschenalters der linguistischen Studien in Erfüllung gehen. Im Sanskrit war zwar nicht die Ursache an sich gefunden, wie manche Leute von starker Phantasie und geringer Gcdankenschcufe wähnten — Rückert selbst hat sich niemals eine solche Confusion der Begriffe zu Schulden kommen lassen —. aber doch eine Art von Schlüssel für die Genesis und Construction einer ganzen Menge von Sprachen. Die Sprachvergleichung,,eine Wissenschaft, die ohne die genaue Kenntniß des Sans¬ krit undenkbar wäre, beruhte auch für ihn zunächst auf dieser Grundlage, aber wir haben schon gesehen, daß seine linguistische Perspective viel zu großartig war, als daß er seinem Auge an der Grenze der sogenannten indogermanischen Sprachen hätte Halt gebieten können. Die vollkommenste Herrschaft über das Sprachmaterial des Sanskrit erlangte er rasch und ungefähr in derselben Zeit, in der er eine für die Erlernung offenbar viel schwierigere Sprache, eine, die namentlich in der Fülle und Mannigfaltigkeit ihres Wortschatzes das Sanskrit weit übertrifft, das Arabische, sich zu eigen machte. Nur Möchten wir hier noch bemerken, daß der Ausdruck in derselben Zeit sich auf eine längere Periode be¬ zieht. Wenn Rückert an die Bewältigung einer neuen Sprache ging, ein Fall,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_286147/164>, abgerufen am 05.07.2024.