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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band.

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in Deutschland während der letzten Decennien nur durch die Herrschaft der
patriotischen Phrase trotz ihrer von Vielen geahnten und jetzt so entsetzlich
offenkundig gewordenen Lügenhaftigkeit so sehr haben imponiren lassen. Sein
Patriotismus war von anderem Gehalte; wie er in Beziehung auf die großen
praktischen Interessen der deutschen Nation stets und mit ganzer Seele Theil
nahm und nach seinen reichen Kräften förderlich eintrat für alles, was zu ihrer
Ehre und Läuterung diente, wußte jeder, der ihm nahe stand. Nur das patrio.
lische Pbrasenthum und die gedunsene Schwätzerei, von welcher namentlich die¬
jenigen sich nicht erslttigen konnten, die sich jetzt als die eigentlichen Todfeinde
jeder gründlichen und ernsten That zur Rettung der deutschen Nation aus einem
Abgrund von Schmach, Verkommenheit und Verwahrlosung erweisen, war und
blieb ihm immer unerträglich, wie er überhaupt weder an sich noch an Andern
die Phrase duldete.

Wie groß er von dem Berufe deS deutschen Geistes und der deutschen
Sprache auf dem idealen Gebiete der Kunst und der Wissenschaft dachte, davon
legt schon jene früheste Jugendarbeit, die Abhandlung über die Idee der Phi¬
lologie, genügendes Zeugniß ab. Dem deutschen Wesen erkannte er allein die
Fähigkeit zu. den ganzen Reichthum des fremden Geisteslebens in sich aufzu¬
nehmen, ohne sich selbst untreu zu werden. Und wie er in beredten Worten
gegen den Unfug der ehr- und charakterlosen Hingabe an das Fremde eiferte,
ebenso sehr bekämpfte er auch die Pedanterie des nationalen Purismus, der
bornirten Exclusivität auf idealen Gebieten. Die Idee der Weltliteratur war
ihm schon damals aufgegangen, aber er faßte sie nicht in jenem vagen, kosmo¬
politischen Sinne, in welchem sie gleichbedeutend ist mit einem Aufgeben der
deutschen Eigenart. Er selbst hat ja durch seine eigene künstlerische Thätigkeit
am deutlichsten gezeigt, wie er sie meinte, denn kein Anderer hat, wie auch seine
Verkleinerer zugeben müssen, eine so unendliche Menge von Schätzen der Fremde
der Heimath zugeführt und sie ganz und gar deutsch gemacht, nicht blos mit
einem äußerlich übergehängten deutschen Gewände verkleidet. Schon damals
erklärte er sich gegen die Art, wie Voß die fremde, namentlich die antike Poesie
deutsch zu machen versuchte. Er fand sie im Gegensatz zu der damals geläufigen
Mmiung durchaus roh und handwerksmäßig. Ihm selbst schwebte schon damals
ein anderes Ideal des Uebersetzers vor, das er später so bewunderungswürdig
verwirklichen sollte. Daß es ihm nicht blos mit Hilfe des sprachlichen Jnstinctes
ober des angeborenen Talentes gelang, bedarf keiner Bemerkung, wie mächtig
man sich auch beide denken möge. - Er versenkte sich mit rastlosem Fleiße in die
subtilsten und mühseligsten Studien unserer lebenden Sprache, grade so wie er
ihre Vergangenheit allseitig ergründete. Er ging ihr in alle ihre verborgensten
Falten und Winkel nach und nichts war so klein und scheinbar so genngfügig,
worauf er nicht die Schärfe seines Blickes gelenkt hätte. Ohne dem Verdienste


in Deutschland während der letzten Decennien nur durch die Herrschaft der
patriotischen Phrase trotz ihrer von Vielen geahnten und jetzt so entsetzlich
offenkundig gewordenen Lügenhaftigkeit so sehr haben imponiren lassen. Sein
Patriotismus war von anderem Gehalte; wie er in Beziehung auf die großen
praktischen Interessen der deutschen Nation stets und mit ganzer Seele Theil
nahm und nach seinen reichen Kräften förderlich eintrat für alles, was zu ihrer
Ehre und Läuterung diente, wußte jeder, der ihm nahe stand. Nur das patrio.
lische Pbrasenthum und die gedunsene Schwätzerei, von welcher namentlich die¬
jenigen sich nicht erslttigen konnten, die sich jetzt als die eigentlichen Todfeinde
jeder gründlichen und ernsten That zur Rettung der deutschen Nation aus einem
Abgrund von Schmach, Verkommenheit und Verwahrlosung erweisen, war und
blieb ihm immer unerträglich, wie er überhaupt weder an sich noch an Andern
die Phrase duldete.

Wie groß er von dem Berufe deS deutschen Geistes und der deutschen
Sprache auf dem idealen Gebiete der Kunst und der Wissenschaft dachte, davon
legt schon jene früheste Jugendarbeit, die Abhandlung über die Idee der Phi¬
lologie, genügendes Zeugniß ab. Dem deutschen Wesen erkannte er allein die
Fähigkeit zu. den ganzen Reichthum des fremden Geisteslebens in sich aufzu¬
nehmen, ohne sich selbst untreu zu werden. Und wie er in beredten Worten
gegen den Unfug der ehr- und charakterlosen Hingabe an das Fremde eiferte,
ebenso sehr bekämpfte er auch die Pedanterie des nationalen Purismus, der
bornirten Exclusivität auf idealen Gebieten. Die Idee der Weltliteratur war
ihm schon damals aufgegangen, aber er faßte sie nicht in jenem vagen, kosmo¬
politischen Sinne, in welchem sie gleichbedeutend ist mit einem Aufgeben der
deutschen Eigenart. Er selbst hat ja durch seine eigene künstlerische Thätigkeit
am deutlichsten gezeigt, wie er sie meinte, denn kein Anderer hat, wie auch seine
Verkleinerer zugeben müssen, eine so unendliche Menge von Schätzen der Fremde
der Heimath zugeführt und sie ganz und gar deutsch gemacht, nicht blos mit
einem äußerlich übergehängten deutschen Gewände verkleidet. Schon damals
erklärte er sich gegen die Art, wie Voß die fremde, namentlich die antike Poesie
deutsch zu machen versuchte. Er fand sie im Gegensatz zu der damals geläufigen
Mmiung durchaus roh und handwerksmäßig. Ihm selbst schwebte schon damals
ein anderes Ideal des Uebersetzers vor, das er später so bewunderungswürdig
verwirklichen sollte. Daß es ihm nicht blos mit Hilfe des sprachlichen Jnstinctes
ober des angeborenen Talentes gelang, bedarf keiner Bemerkung, wie mächtig
man sich auch beide denken möge. - Er versenkte sich mit rastlosem Fleiße in die
subtilsten und mühseligsten Studien unserer lebenden Sprache, grade so wie er
ihre Vergangenheit allseitig ergründete. Er ging ihr in alle ihre verborgensten
Falten und Winkel nach und nichts war so klein und scheinbar so genngfügig,
worauf er nicht die Schärfe seines Blickes gelenkt hätte. Ohne dem Verdienste


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[0166] in Deutschland während der letzten Decennien nur durch die Herrschaft der patriotischen Phrase trotz ihrer von Vielen geahnten und jetzt so entsetzlich offenkundig gewordenen Lügenhaftigkeit so sehr haben imponiren lassen. Sein Patriotismus war von anderem Gehalte; wie er in Beziehung auf die großen praktischen Interessen der deutschen Nation stets und mit ganzer Seele Theil nahm und nach seinen reichen Kräften förderlich eintrat für alles, was zu ihrer Ehre und Läuterung diente, wußte jeder, der ihm nahe stand. Nur das patrio. lische Pbrasenthum und die gedunsene Schwätzerei, von welcher namentlich die¬ jenigen sich nicht erslttigen konnten, die sich jetzt als die eigentlichen Todfeinde jeder gründlichen und ernsten That zur Rettung der deutschen Nation aus einem Abgrund von Schmach, Verkommenheit und Verwahrlosung erweisen, war und blieb ihm immer unerträglich, wie er überhaupt weder an sich noch an Andern die Phrase duldete. Wie groß er von dem Berufe deS deutschen Geistes und der deutschen Sprache auf dem idealen Gebiete der Kunst und der Wissenschaft dachte, davon legt schon jene früheste Jugendarbeit, die Abhandlung über die Idee der Phi¬ lologie, genügendes Zeugniß ab. Dem deutschen Wesen erkannte er allein die Fähigkeit zu. den ganzen Reichthum des fremden Geisteslebens in sich aufzu¬ nehmen, ohne sich selbst untreu zu werden. Und wie er in beredten Worten gegen den Unfug der ehr- und charakterlosen Hingabe an das Fremde eiferte, ebenso sehr bekämpfte er auch die Pedanterie des nationalen Purismus, der bornirten Exclusivität auf idealen Gebieten. Die Idee der Weltliteratur war ihm schon damals aufgegangen, aber er faßte sie nicht in jenem vagen, kosmo¬ politischen Sinne, in welchem sie gleichbedeutend ist mit einem Aufgeben der deutschen Eigenart. Er selbst hat ja durch seine eigene künstlerische Thätigkeit am deutlichsten gezeigt, wie er sie meinte, denn kein Anderer hat, wie auch seine Verkleinerer zugeben müssen, eine so unendliche Menge von Schätzen der Fremde der Heimath zugeführt und sie ganz und gar deutsch gemacht, nicht blos mit einem äußerlich übergehängten deutschen Gewände verkleidet. Schon damals erklärte er sich gegen die Art, wie Voß die fremde, namentlich die antike Poesie deutsch zu machen versuchte. Er fand sie im Gegensatz zu der damals geläufigen Mmiung durchaus roh und handwerksmäßig. Ihm selbst schwebte schon damals ein anderes Ideal des Uebersetzers vor, das er später so bewunderungswürdig verwirklichen sollte. Daß es ihm nicht blos mit Hilfe des sprachlichen Jnstinctes ober des angeborenen Talentes gelang, bedarf keiner Bemerkung, wie mächtig man sich auch beide denken möge. - Er versenkte sich mit rastlosem Fleiße in die subtilsten und mühseligsten Studien unserer lebenden Sprache, grade so wie er ihre Vergangenheit allseitig ergründete. Er ging ihr in alle ihre verborgensten Falten und Winkel nach und nichts war so klein und scheinbar so genngfügig, worauf er nicht die Schärfe seines Blickes gelenkt hätte. Ohne dem Verdienste

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_286147/166>, abgerufen am 04.07.2024.