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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band.

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behende Devotion ein ein schlechtes Nichts, d.h. an zwei Mißregierungen unan¬
genehmer Gebieter gar nicht verstehen. Wir Deutsche freilich kennen diesen
Grundzug unseres Wesens, wir sind ihm stets im Bösen und Guten gefolgt.
Der Trieb zu lieben und zu verehren ist in unsrem Volk von je so unWider,
stehiich gewesen, daß die Deutschen sich ein Object ihrer Hingabe erfinden
müssen, wenn sie zufällig keins haben. Sie umgeben dann leicht den Erwählten
mit aller Poesie ihres warmen Gemüths und ihnen ist alsdann lästig zu prüfen,
ob das Original in Wahrheit ihrer Hingabe werth ist. Das war schon in
Urzeiten so. Dies Gefühl hat durch zwei Jahrtausende die Treue des Gefolges
an den Herrn, die Hingabe des Frommen an seinen Heiligen, die Diensttreue
des Vasallen hervorgebracht, noch jetzt ist dasselbe Gefühl ebenso oft ein Quell
sittlicher Empfindungen, als eines gedankenlosen Bedientensinnes. Heut ist es
bei dem Bürger Hannovers etwas Treue, viel Trotz, und ein wenig Sorge
um den eigenen Geldbeutel. Und man darf mit den kleinen Leuten, welche
aus der Ferne ihren König verehrt haben, jede Nachsicht haben, ihre Kinder
werden aus demselben Bedürfniß eines loyalen Cultus ebenso eifrige Preußen
werden, als die Väter'jetzt eifrige Welsen sind.

Weniger Nachsicht verdienen die Damen, weiche die politischen Debütan¬
tinnen des Auslandes darin nachäffen, daß sie in schwarzer Kleidung trauern.
Und wir erlauben uns mit dem letzten Rest von Courtoisie. den wir vor dieser
monotonen Toilette empfinden, an eine peinliche Erfahrung zu erinnern. Bis
jetzt hat fast überall schwarzes Trauergewand, welches Frauen aus politischem
Grunde trugen, ihren Männern Unheil und Todesgefahr gebracht. Als die
Polinnen und Italienerinnen sich in schwarze Seide kleideten, wurden ihre
Männer Verschwörer. Die ersteren für eine imaginäre Republik, der die realen
Grundlagen des Gedeihens fehlten, die zweiten für die Idee eines großen
nationalen Staats. In beiden Fällen machte Pulverdampf der weiblichen De¬
monstration ein Ende; in Polen wurde es Verderben der Männer und Unter¬
gang der polnischen Wünsche, in Italien durch die Todesgefahr der Männer
Sieg des italienischen Einheitsstaats. Aber weder Polinnen noch Italienerinnen
haben vor Europa die Lächerlichkeit auf sich geladen, um der Caricatur eines
Grvßstaats willen ihre Männer zu Verschwörern zu machen. Es ist sehr zu
wünschen, daß die schwarze Seide der Ritterfrauen in Hannover für die An¬
gehörigen derselben nicht ähnliche finstere Folgen haben und nicht zuletzt ein
wirkliches Trauergewand werde.

Der Ritterschaft von Hannover aber, der aus dem preußischen West¬
falen und aus mancher anderen Landschaft des norddeutschen Staates sind die
Augen seltsam geblendet. Noch heut, nach einem blutigen Kriege, und dem
Sturz alter Negentcnhäuser. ahnen sie nicht, daß sie, grade sie und ihre alten
Freunde und Gebieter uns mitten in eine große deutsche Revolution versetzt


behende Devotion ein ein schlechtes Nichts, d.h. an zwei Mißregierungen unan¬
genehmer Gebieter gar nicht verstehen. Wir Deutsche freilich kennen diesen
Grundzug unseres Wesens, wir sind ihm stets im Bösen und Guten gefolgt.
Der Trieb zu lieben und zu verehren ist in unsrem Volk von je so unWider,
stehiich gewesen, daß die Deutschen sich ein Object ihrer Hingabe erfinden
müssen, wenn sie zufällig keins haben. Sie umgeben dann leicht den Erwählten
mit aller Poesie ihres warmen Gemüths und ihnen ist alsdann lästig zu prüfen,
ob das Original in Wahrheit ihrer Hingabe werth ist. Das war schon in
Urzeiten so. Dies Gefühl hat durch zwei Jahrtausende die Treue des Gefolges
an den Herrn, die Hingabe des Frommen an seinen Heiligen, die Diensttreue
des Vasallen hervorgebracht, noch jetzt ist dasselbe Gefühl ebenso oft ein Quell
sittlicher Empfindungen, als eines gedankenlosen Bedientensinnes. Heut ist es
bei dem Bürger Hannovers etwas Treue, viel Trotz, und ein wenig Sorge
um den eigenen Geldbeutel. Und man darf mit den kleinen Leuten, welche
aus der Ferne ihren König verehrt haben, jede Nachsicht haben, ihre Kinder
werden aus demselben Bedürfniß eines loyalen Cultus ebenso eifrige Preußen
werden, als die Väter'jetzt eifrige Welsen sind.

Weniger Nachsicht verdienen die Damen, weiche die politischen Debütan¬
tinnen des Auslandes darin nachäffen, daß sie in schwarzer Kleidung trauern.
Und wir erlauben uns mit dem letzten Rest von Courtoisie. den wir vor dieser
monotonen Toilette empfinden, an eine peinliche Erfahrung zu erinnern. Bis
jetzt hat fast überall schwarzes Trauergewand, welches Frauen aus politischem
Grunde trugen, ihren Männern Unheil und Todesgefahr gebracht. Als die
Polinnen und Italienerinnen sich in schwarze Seide kleideten, wurden ihre
Männer Verschwörer. Die ersteren für eine imaginäre Republik, der die realen
Grundlagen des Gedeihens fehlten, die zweiten für die Idee eines großen
nationalen Staats. In beiden Fällen machte Pulverdampf der weiblichen De¬
monstration ein Ende; in Polen wurde es Verderben der Männer und Unter¬
gang der polnischen Wünsche, in Italien durch die Todesgefahr der Männer
Sieg des italienischen Einheitsstaats. Aber weder Polinnen noch Italienerinnen
haben vor Europa die Lächerlichkeit auf sich geladen, um der Caricatur eines
Grvßstaats willen ihre Männer zu Verschwörern zu machen. Es ist sehr zu
wünschen, daß die schwarze Seide der Ritterfrauen in Hannover für die An¬
gehörigen derselben nicht ähnliche finstere Folgen haben und nicht zuletzt ein
wirkliches Trauergewand werde.

Der Ritterschaft von Hannover aber, der aus dem preußischen West¬
falen und aus mancher anderen Landschaft des norddeutschen Staates sind die
Augen seltsam geblendet. Noch heut, nach einem blutigen Kriege, und dem
Sturz alter Negentcnhäuser. ahnen sie nicht, daß sie, grade sie und ihre alten
Freunde und Gebieter uns mitten in eine große deutsche Revolution versetzt


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_286147/16>, abgerufen am 30.06.2024.