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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band.

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Friedensarbeit wesentlich erschwert. Gegen die Einmischung Frankreichs für
Sachsen hatte man gar keinen festen Willen. Auch die übrigen occupirten
Länder waren so schonend und säuberlich angefaßt, wie Wohl nie in ähn¬
lichem Falle geschehen ist. mit geringen Einschränkungen, welchen der Trup-
penve"lehr nöthig machte, ließ man fast überall die alte Landesregierung
fortbestehen. Im Drang der Ereignisse bei der Entfernung der obersten Staats¬
leitung war das nicht zu verwundern. Aber es hat sich als ein Uebelstand er¬
wiesen. Die erste Erschütterung in den Gemüthern der Bevölkerung, die Un¬
zufriedenheit der Sachsen, Hannoveraner, Hessen mit der verkehrten Politik ihrer
Fürsten ging vorüber, ohne daß ihnen der volle Ernst der Lage deutlich ge¬
worden wäre. Erst spät, nach und nach in einzelnen zögernden Schritten faßte
Preußen die Verwaltung fester an. die Leute hatten überall durch Wochen nicht
für Ernst gehalten, daß ein Wechsel der Dynastien stattfinden könnte, an die
Stelle der Unzufriedenheit mit der alten Regierung war unterdeß Mitleid mit
den dcpossedirten Fürsten getreten, die weiche Zärtlichkeit, welche der Deutsche
bei einem Unglück seiner Regenten zu fühlen sich niemals versagt, gab sogar
dem Kurfürsten von Hessen, noch mehr der Königsfamilie von Hannover eine
Popularität, deren sie sich in glücklichen Tagen niemals zu erfreuen hatten, und
die sie durch ihr politisches Thun niemals verdient hatten. Je höher das
Nationalgefühl der Preußen sich steigerte, um so schärfer wurde der Gegensatz
in den occupirten Ländern empfunden. Unter dem Eindruck des ersten Waffen¬
schrecks, unmittelbar nach dem Treffen bei Langensalza und der Schlacht von
Königsgrätz hätten sich sämmtliche Parteien in den annectirten Ländern, ja sogar
die Truppen derselben, sehr fügsam in die neue Ordnung begeben, jetzt sind
einer particularistischcn Agitation Monate vergönnt worden, und in einzelnen
Theilen der Bevölkerung ist eine Verbitterung großgezogen, die hier und da
unbequem werden kann, und z. B. in Hannover ein entschiedenes Eingreifen
unvermeidlich machen wird.

Aber obwohl die Schwierigkeiten dadurch für den Augenblick größer ge¬
worden sind, sie werden doch bewältigt werden und die Gegner hoffen vergeblich,
daß Schwankungen am berliner Hof oder die Beseitigung des gegenwärtigen
Leiters der auswärtigen Politik im Großen die Resultate ändern werden. Man
hat in Berlin bis jetzt viele Nachsicht gegen separatistische Demonstrationen in
den neuen Landschaften bewiesen, weil man die meisten für unwichtig hielt.
Die Hannoveraner erfreuen sich des Königshauses, das seit jener englischen
Thronbesteigung vor 130 Jahren ihnen ganz fremd geworden war, erst seit
wenigen Jahrzehnten, und die beiden Repräsentanten des alten Geschlechtes.
König Ernst August und sein Nachfolger, waren nach allgemeinem Urtheil nicht
so geartet, daß sie als Regenten eine persönliche Hingabe von Leuten mit ver¬
ständigen Sinnen beanspruchen konnten. Das Ausland wird deshalb solche


Friedensarbeit wesentlich erschwert. Gegen die Einmischung Frankreichs für
Sachsen hatte man gar keinen festen Willen. Auch die übrigen occupirten
Länder waren so schonend und säuberlich angefaßt, wie Wohl nie in ähn¬
lichem Falle geschehen ist. mit geringen Einschränkungen, welchen der Trup-
penve«lehr nöthig machte, ließ man fast überall die alte Landesregierung
fortbestehen. Im Drang der Ereignisse bei der Entfernung der obersten Staats¬
leitung war das nicht zu verwundern. Aber es hat sich als ein Uebelstand er¬
wiesen. Die erste Erschütterung in den Gemüthern der Bevölkerung, die Un¬
zufriedenheit der Sachsen, Hannoveraner, Hessen mit der verkehrten Politik ihrer
Fürsten ging vorüber, ohne daß ihnen der volle Ernst der Lage deutlich ge¬
worden wäre. Erst spät, nach und nach in einzelnen zögernden Schritten faßte
Preußen die Verwaltung fester an. die Leute hatten überall durch Wochen nicht
für Ernst gehalten, daß ein Wechsel der Dynastien stattfinden könnte, an die
Stelle der Unzufriedenheit mit der alten Regierung war unterdeß Mitleid mit
den dcpossedirten Fürsten getreten, die weiche Zärtlichkeit, welche der Deutsche
bei einem Unglück seiner Regenten zu fühlen sich niemals versagt, gab sogar
dem Kurfürsten von Hessen, noch mehr der Königsfamilie von Hannover eine
Popularität, deren sie sich in glücklichen Tagen niemals zu erfreuen hatten, und
die sie durch ihr politisches Thun niemals verdient hatten. Je höher das
Nationalgefühl der Preußen sich steigerte, um so schärfer wurde der Gegensatz
in den occupirten Ländern empfunden. Unter dem Eindruck des ersten Waffen¬
schrecks, unmittelbar nach dem Treffen bei Langensalza und der Schlacht von
Königsgrätz hätten sich sämmtliche Parteien in den annectirten Ländern, ja sogar
die Truppen derselben, sehr fügsam in die neue Ordnung begeben, jetzt sind
einer particularistischcn Agitation Monate vergönnt worden, und in einzelnen
Theilen der Bevölkerung ist eine Verbitterung großgezogen, die hier und da
unbequem werden kann, und z. B. in Hannover ein entschiedenes Eingreifen
unvermeidlich machen wird.

Aber obwohl die Schwierigkeiten dadurch für den Augenblick größer ge¬
worden sind, sie werden doch bewältigt werden und die Gegner hoffen vergeblich,
daß Schwankungen am berliner Hof oder die Beseitigung des gegenwärtigen
Leiters der auswärtigen Politik im Großen die Resultate ändern werden. Man
hat in Berlin bis jetzt viele Nachsicht gegen separatistische Demonstrationen in
den neuen Landschaften bewiesen, weil man die meisten für unwichtig hielt.
Die Hannoveraner erfreuen sich des Königshauses, das seit jener englischen
Thronbesteigung vor 130 Jahren ihnen ganz fremd geworden war, erst seit
wenigen Jahrzehnten, und die beiden Repräsentanten des alten Geschlechtes.
König Ernst August und sein Nachfolger, waren nach allgemeinem Urtheil nicht
so geartet, daß sie als Regenten eine persönliche Hingabe von Leuten mit ver¬
ständigen Sinnen beanspruchen konnten. Das Ausland wird deshalb solche


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_286147/15>, abgerufen am 30.06.2024.