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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band.

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und breit noch jetzt cursiren, wenn auch vorauszusehen ist, daß sie mit der Ge¬
neration, die sie erzeugt hat, absterben werden. Der olympische Stolz eines
Eichstädt -- der große lÄclrstRäius, der letzte wirklich "perfecte" Lateiner, was
die spätere Kritik nicht einmal einem Gottfried Hermann ganz und gar zuge¬
stehen wollte --, die vornehme suffisance eines Gabler und mehrer anderer
namenloser Heroen des akademischen Zopfes erlitten hier eine so eclatante
Niederlage, daß sich die Freude der süßen akademischen Plebs und zugleich ihre
Indignation über die geringschätzige und höhnische Vornehmthuerei, mit der jene
illustres und speetadilös zuerst ihren Gegner niederzuschmettern gedachten, nicht
anders Luft machen konnte, als in einer allgemeinen Vertilgung aller den Ge¬
nannten zugehörigen Fensterscheiben nebst.unzähligen obligaten Pereats und den
obligaten Vivats für den jungen Helden. Es muß denn doch diesem sonst so
kurzsichtigen Völkchen nachgerühmt werden, daß es zwar wenig Verstand, aber
desto mehr Jnstinct hat. Wenn irgendeinmal. war er hier auf der rechten
Spur. Der künftige Dichter der geharnischten Sonette, der Uebersetzer der
Makamen stellte freilich eine andere Art von Philologie dar, als man bis dahin
in den Hörsälen von Jena zu tractiren gewöhnt war und wenn auch zehn
gegen eins zu wetten ist, daß unter den Hunderten von begeisterten Vivatrufern
nicht einer auch nur die ersten Sätze der Dissertation in ihrer ganzen, man
möchte sagen, grenzenlosen Perspektive verstanden hat, so schadet das der An¬
erkennung, die man ihrem gesunden Sinne zollen muß, nicht im Geringsten.
Ein Franz Passow, damals Lehrer am weimarischen Gymnasium und später ein
begeisterter Verehrer Friedrich Rückerts, wußte doch, eben weil er Philolog im
gewöhnlichen Sinne und nicht mehr Student war, nichts weiter über die Disser¬
tation zu sagen, als daß er sie für das Product eines Narren erklärte und in
Knittelversen verhöhnte.

Der Begriff der Philologie wär von Rückert in so großartige Perspektive
gestellt, daß es grade einem besseren Kopfe schwindeln konnte; der gewöhn¬
liche Troß wurde von dem gänzlich Unbegreifbaren natürlich nicht ange¬
fochten. Schon darin lag nach dem damaligen Stand der Wissenschaft eine
unvergleichliche Kühnheit, daß einer mitten aus der zünftigen Schaar heraus,
wie es dieser junge Mann that, der sich selbst einen Philologen nannte und
Philologie dociren wollte, rund heraus erklärte, griechische Sprache und Poesie
behaupteten nur eine Stelle in dem Entwickelungsgang des menschlichen Geistes,
sie seien aber nicht die absolute Vollendung der Sprache und Poesie, nicht die
Sprache und Poesie an sich, wie es die Philologen, altmodische und neumodische,
auf gleiche Weise damals noch als unbedingtes Credo hinstellten. Für jeden
Zweifel hatten sie nur ein mitleidiges Lächeln, denn Zorn verlohnte sich kaum.
Dieser blieb einer späteren Zeit aufbehalten, als jene geniale Intuition eines
Einzelnen eine mehr und mehr Anhang findende Ketzerei wurde. Jetzt, ist uns,


und breit noch jetzt cursiren, wenn auch vorauszusehen ist, daß sie mit der Ge¬
neration, die sie erzeugt hat, absterben werden. Der olympische Stolz eines
Eichstädt — der große lÄclrstRäius, der letzte wirklich „perfecte" Lateiner, was
die spätere Kritik nicht einmal einem Gottfried Hermann ganz und gar zuge¬
stehen wollte —, die vornehme suffisance eines Gabler und mehrer anderer
namenloser Heroen des akademischen Zopfes erlitten hier eine so eclatante
Niederlage, daß sich die Freude der süßen akademischen Plebs und zugleich ihre
Indignation über die geringschätzige und höhnische Vornehmthuerei, mit der jene
illustres und speetadilös zuerst ihren Gegner niederzuschmettern gedachten, nicht
anders Luft machen konnte, als in einer allgemeinen Vertilgung aller den Ge¬
nannten zugehörigen Fensterscheiben nebst.unzähligen obligaten Pereats und den
obligaten Vivats für den jungen Helden. Es muß denn doch diesem sonst so
kurzsichtigen Völkchen nachgerühmt werden, daß es zwar wenig Verstand, aber
desto mehr Jnstinct hat. Wenn irgendeinmal. war er hier auf der rechten
Spur. Der künftige Dichter der geharnischten Sonette, der Uebersetzer der
Makamen stellte freilich eine andere Art von Philologie dar, als man bis dahin
in den Hörsälen von Jena zu tractiren gewöhnt war und wenn auch zehn
gegen eins zu wetten ist, daß unter den Hunderten von begeisterten Vivatrufern
nicht einer auch nur die ersten Sätze der Dissertation in ihrer ganzen, man
möchte sagen, grenzenlosen Perspektive verstanden hat, so schadet das der An¬
erkennung, die man ihrem gesunden Sinne zollen muß, nicht im Geringsten.
Ein Franz Passow, damals Lehrer am weimarischen Gymnasium und später ein
begeisterter Verehrer Friedrich Rückerts, wußte doch, eben weil er Philolog im
gewöhnlichen Sinne und nicht mehr Student war, nichts weiter über die Disser¬
tation zu sagen, als daß er sie für das Product eines Narren erklärte und in
Knittelversen verhöhnte.

Der Begriff der Philologie wär von Rückert in so großartige Perspektive
gestellt, daß es grade einem besseren Kopfe schwindeln konnte; der gewöhn¬
liche Troß wurde von dem gänzlich Unbegreifbaren natürlich nicht ange¬
fochten. Schon darin lag nach dem damaligen Stand der Wissenschaft eine
unvergleichliche Kühnheit, daß einer mitten aus der zünftigen Schaar heraus,
wie es dieser junge Mann that, der sich selbst einen Philologen nannte und
Philologie dociren wollte, rund heraus erklärte, griechische Sprache und Poesie
behaupteten nur eine Stelle in dem Entwickelungsgang des menschlichen Geistes,
sie seien aber nicht die absolute Vollendung der Sprache und Poesie, nicht die
Sprache und Poesie an sich, wie es die Philologen, altmodische und neumodische,
auf gleiche Weise damals noch als unbedingtes Credo hinstellten. Für jeden
Zweifel hatten sie nur ein mitleidiges Lächeln, denn Zorn verlohnte sich kaum.
Dieser blieb einer späteren Zeit aufbehalten, als jene geniale Intuition eines
Einzelnen eine mehr und mehr Anhang findende Ketzerei wurde. Jetzt, ist uns,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_286147/150>, abgerufen am 02.07.2024.