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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band.

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werden. Nur schade, daß dies Durchschnittslängenmaß eben nicht für ihn paßte
und am allerwenigsten, wenn man es Halbiren wollte.

Uebrigens hat er selbst in dem ersten Producte, was-er in die Welt ge¬
druckt hinaussandte, sein wissenschaftliches und zugleich sein Gesammtprogramm
auf eine wunderbar klare Weise gegeben. Sein ganzes späteres Schaffen als
Dichter und Gelehrter ist hier in den wesentlichen Grundzügen mit einer Art
Von Divination gezeichnet, die für den secirenden Verstand etwas Unbegreifliches
enthält. Da es in einem Druckwerke geschehen ist, das nach der Bestimmung
seiner ganzen Gattung ebenso rasch vergessen als gelesen, oder vielmehr von
den Wenigsten, die überhaupt zu lesen Pflegen, weder mit Augen gesehen, noch
gelesen wurde, nämlich in einer akademischen Habilitationsschrift, so ist es be¬
greiflich, daß auch diejenigen, die sich ernst und eindringlich mit dem Geiste
Friedrich Rückerts befreundet haben, davon nichts zu wissen scheinen, "visssr-
tatio xniIol0Alco pi>iI<)8oMieÄ <to iäöli, rMIoloAg,?,, yuain -- und wie die andern
solennen und verzopften Formeln beißen, die bei solchen Gelegenheiten an¬
gebracht werden müssen -- publics <ieksnclst ^ri^srieus Küe1<ert. -heilg., 30.nar2
181Z." 86 Seiten auf sehr bescheiden graues Papier in sehr altmodischem
hohem Octavformat gedruckt, macht schon das Aeußere dieses Werkchens auf
den heutigen Leser einen eigenthümlichen Eindruck. So weit sich übrigens noch
eine gewisse populäre Tradition aus jener Zeit bis auf unsere Tage in Jena
und in den Theilen Deutschlands, die von den akademischen Einflüssen dieser
damaligen Centraluniversitcit berührt wurden, erhalten und die gewaltigen Kata¬
strophen der Weltgeschichte und des Universitätslebens während des letzten halben
Jahrhunderts überdauert hat, verweilt diese oder verweilte bis zur jüngsten
Zeit noch immer mit einer sichtbaren Vorliebe bei jener Habilitationsschrift und
noch mehr bei den drastischen Vorgängen während der Habilitation selbst. Nie¬
mals vorher und niemals seitdem hat ein solcher Actus. dessen indifferente
Nüchternheit sprichwörtlich geworden ist, die unmittelbaren Theilnehmer so tief
erregt, wie die Vertheidigung dieser Abhandlung Ze laha xlrilolvgmö. Der
noch völlig namenlose, in Jena kaum persönlich bekannte junge Docent -- er
zählte am 30. März Z8I1 noch keine 23 Jahre -- imponirte wahrscheinlich am
meisten durch die Macht seines ganzen Wesens, das sich in einem unvergleich¬
lich durchsichtigen Aeußern auch dem blödesten und kindischsten Sinne als etwas
Einziges in seiner Art begreiflich machte. Daneben aber erregte auch die schon
damals ungewöhnliche Gewandtheit in der äußeren Handhabung der lateinischen
Sprache, ein stets schlagfertiger Witz und Humor, den man überall eher als
auf diesem Katheder zu finden gewohnt war. den Enthusiasmus des studen¬
tischen Publikums, das in dem damaligen Jena aus der Elite von ganz Deutsch¬
land bestand. Eine Menge Anekdoten sind von der Sage zu den wirklichen,
qu sich schon pikanten Ereignissen dieses Wortgefechtes hinzugedichtet, die weit


werden. Nur schade, daß dies Durchschnittslängenmaß eben nicht für ihn paßte
und am allerwenigsten, wenn man es Halbiren wollte.

Uebrigens hat er selbst in dem ersten Producte, was-er in die Welt ge¬
druckt hinaussandte, sein wissenschaftliches und zugleich sein Gesammtprogramm
auf eine wunderbar klare Weise gegeben. Sein ganzes späteres Schaffen als
Dichter und Gelehrter ist hier in den wesentlichen Grundzügen mit einer Art
Von Divination gezeichnet, die für den secirenden Verstand etwas Unbegreifliches
enthält. Da es in einem Druckwerke geschehen ist, das nach der Bestimmung
seiner ganzen Gattung ebenso rasch vergessen als gelesen, oder vielmehr von
den Wenigsten, die überhaupt zu lesen Pflegen, weder mit Augen gesehen, noch
gelesen wurde, nämlich in einer akademischen Habilitationsschrift, so ist es be¬
greiflich, daß auch diejenigen, die sich ernst und eindringlich mit dem Geiste
Friedrich Rückerts befreundet haben, davon nichts zu wissen scheinen, „visssr-
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solennen und verzopften Formeln beißen, die bei solchen Gelegenheiten an¬
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181Z." 86 Seiten auf sehr bescheiden graues Papier in sehr altmodischem
hohem Octavformat gedruckt, macht schon das Aeußere dieses Werkchens auf
den heutigen Leser einen eigenthümlichen Eindruck. So weit sich übrigens noch
eine gewisse populäre Tradition aus jener Zeit bis auf unsere Tage in Jena
und in den Theilen Deutschlands, die von den akademischen Einflüssen dieser
damaligen Centraluniversitcit berührt wurden, erhalten und die gewaltigen Kata¬
strophen der Weltgeschichte und des Universitätslebens während des letzten halben
Jahrhunderts überdauert hat, verweilt diese oder verweilte bis zur jüngsten
Zeit noch immer mit einer sichtbaren Vorliebe bei jener Habilitationsschrift und
noch mehr bei den drastischen Vorgängen während der Habilitation selbst. Nie¬
mals vorher und niemals seitdem hat ein solcher Actus. dessen indifferente
Nüchternheit sprichwörtlich geworden ist, die unmittelbaren Theilnehmer so tief
erregt, wie die Vertheidigung dieser Abhandlung Ze laha xlrilolvgmö. Der
noch völlig namenlose, in Jena kaum persönlich bekannte junge Docent — er
zählte am 30. März Z8I1 noch keine 23 Jahre — imponirte wahrscheinlich am
meisten durch die Macht seines ganzen Wesens, das sich in einem unvergleich¬
lich durchsichtigen Aeußern auch dem blödesten und kindischsten Sinne als etwas
Einziges in seiner Art begreiflich machte. Daneben aber erregte auch die schon
damals ungewöhnliche Gewandtheit in der äußeren Handhabung der lateinischen
Sprache, ein stets schlagfertiger Witz und Humor, den man überall eher als
auf diesem Katheder zu finden gewohnt war. den Enthusiasmus des studen¬
tischen Publikums, das in dem damaligen Jena aus der Elite von ganz Deutsch¬
land bestand. Eine Menge Anekdoten sind von der Sage zu den wirklichen,
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[0149] werden. Nur schade, daß dies Durchschnittslängenmaß eben nicht für ihn paßte und am allerwenigsten, wenn man es Halbiren wollte. Uebrigens hat er selbst in dem ersten Producte, was-er in die Welt ge¬ druckt hinaussandte, sein wissenschaftliches und zugleich sein Gesammtprogramm auf eine wunderbar klare Weise gegeben. Sein ganzes späteres Schaffen als Dichter und Gelehrter ist hier in den wesentlichen Grundzügen mit einer Art Von Divination gezeichnet, die für den secirenden Verstand etwas Unbegreifliches enthält. Da es in einem Druckwerke geschehen ist, das nach der Bestimmung seiner ganzen Gattung ebenso rasch vergessen als gelesen, oder vielmehr von den Wenigsten, die überhaupt zu lesen Pflegen, weder mit Augen gesehen, noch gelesen wurde, nämlich in einer akademischen Habilitationsschrift, so ist es be¬ greiflich, daß auch diejenigen, die sich ernst und eindringlich mit dem Geiste Friedrich Rückerts befreundet haben, davon nichts zu wissen scheinen, „visssr- tatio xniIol0Alco pi>iI<)8oMieÄ <to iäöli, rMIoloAg,?,, yuain — und wie die andern solennen und verzopften Formeln beißen, die bei solchen Gelegenheiten an¬ gebracht werden müssen — publics <ieksnclst ^ri^srieus Küe1<ert. -heilg., 30.nar2 181Z." 86 Seiten auf sehr bescheiden graues Papier in sehr altmodischem hohem Octavformat gedruckt, macht schon das Aeußere dieses Werkchens auf den heutigen Leser einen eigenthümlichen Eindruck. So weit sich übrigens noch eine gewisse populäre Tradition aus jener Zeit bis auf unsere Tage in Jena und in den Theilen Deutschlands, die von den akademischen Einflüssen dieser damaligen Centraluniversitcit berührt wurden, erhalten und die gewaltigen Kata¬ strophen der Weltgeschichte und des Universitätslebens während des letzten halben Jahrhunderts überdauert hat, verweilt diese oder verweilte bis zur jüngsten Zeit noch immer mit einer sichtbaren Vorliebe bei jener Habilitationsschrift und noch mehr bei den drastischen Vorgängen während der Habilitation selbst. Nie¬ mals vorher und niemals seitdem hat ein solcher Actus. dessen indifferente Nüchternheit sprichwörtlich geworden ist, die unmittelbaren Theilnehmer so tief erregt, wie die Vertheidigung dieser Abhandlung Ze laha xlrilolvgmö. Der noch völlig namenlose, in Jena kaum persönlich bekannte junge Docent — er zählte am 30. März Z8I1 noch keine 23 Jahre — imponirte wahrscheinlich am meisten durch die Macht seines ganzen Wesens, das sich in einem unvergleich¬ lich durchsichtigen Aeußern auch dem blödesten und kindischsten Sinne als etwas Einziges in seiner Art begreiflich machte. Daneben aber erregte auch die schon damals ungewöhnliche Gewandtheit in der äußeren Handhabung der lateinischen Sprache, ein stets schlagfertiger Witz und Humor, den man überall eher als auf diesem Katheder zu finden gewohnt war. den Enthusiasmus des studen¬ tischen Publikums, das in dem damaligen Jena aus der Elite von ganz Deutsch¬ land bestand. Eine Menge Anekdoten sind von der Sage zu den wirklichen, qu sich schon pikanten Ereignissen dieses Wortgefechtes hinzugedichtet, die weit

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_286147/149>, abgerufen am 02.07.2024.