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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band.

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der kaiserlichen Zuaven, welche in päpstliche Uniformen gekleidet sind, und trotz
der italienischen Regierung, welche im EinVerständniß mit Frankreich über das
Territorium des Kirchenstaats entscheiden möchte. Die Verhandlungen um
Venetien haben gezeigt, daß die Minister Victor Emanuels über einem unsicher
heißblütigen Volke stehen, dem seine nationalen Ansprüche weit mehr ins Be¬
wußtsein gekommen sind als seine politischen Pflichten. Aber ob die Selb¬
ständigkeit Roms noch auf Monate hinaus conservirt werde, oder ob ein heftiger
Volksact die weltliche Herrschaft des Papstes werfe, in beiden Fällen wird
Italien in neue unabsehbare Verwickelungen verflochten. Im ersteren Falle
wird das beginnende Einvernehmen mit Oestreich verdorben -- was wir für
kein Unglück halten -- und die theure Freundschaft Frankreichs verloren; im
anderen Falle aber wird dem italienischen Staat ein innerer Gegner geschaffen,
der gefährlichste von allen, zur Zeit unbesiegbar. Denn was bedarf Italien
vor allem, um groß und fest zu werden? Volkserziehung. Zucht der Beamten,
Reform der Universitäten nach deutschem Muster, das Aufblühen einer freien
Wissenschaft, welche Volkslehrer zieht. Hört die katholische Kirche auf, den
Italienern eine feindselige, weltliche Macht zu sein, so gewinnt sie zuverlässig
in Italien den-größten Theil ihres verlorenen Einflusses aus die Herzen wieder,
ihre Grundsäße bleiben, ihr System, wenig modificirt, muß in den Staat auf"
genommen werden. Wie soll eine aufgeklärte Regierung das moralische Siech-
thum und die Herrschaft des pfäffischen Wesens bändigen, wenn dies unsichtbare
Wesen erst aufgehört hat politisch gefährlich zu sein? Ist der Papst nur Ge¬
bieter der Seelen, so muß der Staat dem früheren gefährlichen Gegner Con¬
cessionen machen, weil ihn selbst nicht mehr die politische Leidenschaft des Volkes
gegen die Kirche stützt. Wir begreifen nicht, wie man in Italien einem Con-
cordat entgehen will, das der vornehme Schutzherr der Kirche, Oestreich, sich
nicht fern zu halten vermochte. Und wenn erst Bettelmönche und Jesuiten als
gute Italiener zum Volke predigen, dann wird nach menschlichem Ermessen un¬
möglich werden, Bürger, Soldaten und Beamte zu ziehen, wie sie der neue
Staat nicht entbehren kann.

. Und wieder, wenn die päpstliche Kirche in Italien unter die weltliche Herr¬
schaft eines einzelnen Staates gestellt wird, wie soll die katholische Kirche in
Frankreich und Deutschland päpstlich bleiben? Mit der Entscheidung über das
Schicksal Roms wird die Kirchenfrage zu einer großen politischen Frage und
alle Culturstaaten der Welt werden in die Lage kommen, darauf eine Antwort
zu suchen.

So neigt sich dies Jahr, welches dem deutschen Staat die Grundlagen
eines neuen Daseins gegeben hat, nicht Friede verheißend feinem Ende zu.
In Oestreich mühen sich Regierung und Presse, den prager Frieden wie einen


der kaiserlichen Zuaven, welche in päpstliche Uniformen gekleidet sind, und trotz
der italienischen Regierung, welche im EinVerständniß mit Frankreich über das
Territorium des Kirchenstaats entscheiden möchte. Die Verhandlungen um
Venetien haben gezeigt, daß die Minister Victor Emanuels über einem unsicher
heißblütigen Volke stehen, dem seine nationalen Ansprüche weit mehr ins Be¬
wußtsein gekommen sind als seine politischen Pflichten. Aber ob die Selb¬
ständigkeit Roms noch auf Monate hinaus conservirt werde, oder ob ein heftiger
Volksact die weltliche Herrschaft des Papstes werfe, in beiden Fällen wird
Italien in neue unabsehbare Verwickelungen verflochten. Im ersteren Falle
wird das beginnende Einvernehmen mit Oestreich verdorben — was wir für
kein Unglück halten — und die theure Freundschaft Frankreichs verloren; im
anderen Falle aber wird dem italienischen Staat ein innerer Gegner geschaffen,
der gefährlichste von allen, zur Zeit unbesiegbar. Denn was bedarf Italien
vor allem, um groß und fest zu werden? Volkserziehung. Zucht der Beamten,
Reform der Universitäten nach deutschem Muster, das Aufblühen einer freien
Wissenschaft, welche Volkslehrer zieht. Hört die katholische Kirche auf, den
Italienern eine feindselige, weltliche Macht zu sein, so gewinnt sie zuverlässig
in Italien den-größten Theil ihres verlorenen Einflusses aus die Herzen wieder,
ihre Grundsäße bleiben, ihr System, wenig modificirt, muß in den Staat auf»
genommen werden. Wie soll eine aufgeklärte Regierung das moralische Siech-
thum und die Herrschaft des pfäffischen Wesens bändigen, wenn dies unsichtbare
Wesen erst aufgehört hat politisch gefährlich zu sein? Ist der Papst nur Ge¬
bieter der Seelen, so muß der Staat dem früheren gefährlichen Gegner Con¬
cessionen machen, weil ihn selbst nicht mehr die politische Leidenschaft des Volkes
gegen die Kirche stützt. Wir begreifen nicht, wie man in Italien einem Con-
cordat entgehen will, das der vornehme Schutzherr der Kirche, Oestreich, sich
nicht fern zu halten vermochte. Und wenn erst Bettelmönche und Jesuiten als
gute Italiener zum Volke predigen, dann wird nach menschlichem Ermessen un¬
möglich werden, Bürger, Soldaten und Beamte zu ziehen, wie sie der neue
Staat nicht entbehren kann.

. Und wieder, wenn die päpstliche Kirche in Italien unter die weltliche Herr¬
schaft eines einzelnen Staates gestellt wird, wie soll die katholische Kirche in
Frankreich und Deutschland päpstlich bleiben? Mit der Entscheidung über das
Schicksal Roms wird die Kirchenfrage zu einer großen politischen Frage und
alle Culturstaaten der Welt werden in die Lage kommen, darauf eine Antwort
zu suchen.

So neigt sich dies Jahr, welches dem deutschen Staat die Grundlagen
eines neuen Daseins gegeben hat, nicht Friede verheißend feinem Ende zu.
In Oestreich mühen sich Regierung und Presse, den prager Frieden wie einen


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[0143] der kaiserlichen Zuaven, welche in päpstliche Uniformen gekleidet sind, und trotz der italienischen Regierung, welche im EinVerständniß mit Frankreich über das Territorium des Kirchenstaats entscheiden möchte. Die Verhandlungen um Venetien haben gezeigt, daß die Minister Victor Emanuels über einem unsicher heißblütigen Volke stehen, dem seine nationalen Ansprüche weit mehr ins Be¬ wußtsein gekommen sind als seine politischen Pflichten. Aber ob die Selb¬ ständigkeit Roms noch auf Monate hinaus conservirt werde, oder ob ein heftiger Volksact die weltliche Herrschaft des Papstes werfe, in beiden Fällen wird Italien in neue unabsehbare Verwickelungen verflochten. Im ersteren Falle wird das beginnende Einvernehmen mit Oestreich verdorben — was wir für kein Unglück halten — und die theure Freundschaft Frankreichs verloren; im anderen Falle aber wird dem italienischen Staat ein innerer Gegner geschaffen, der gefährlichste von allen, zur Zeit unbesiegbar. Denn was bedarf Italien vor allem, um groß und fest zu werden? Volkserziehung. Zucht der Beamten, Reform der Universitäten nach deutschem Muster, das Aufblühen einer freien Wissenschaft, welche Volkslehrer zieht. Hört die katholische Kirche auf, den Italienern eine feindselige, weltliche Macht zu sein, so gewinnt sie zuverlässig in Italien den-größten Theil ihres verlorenen Einflusses aus die Herzen wieder, ihre Grundsäße bleiben, ihr System, wenig modificirt, muß in den Staat auf» genommen werden. Wie soll eine aufgeklärte Regierung das moralische Siech- thum und die Herrschaft des pfäffischen Wesens bändigen, wenn dies unsichtbare Wesen erst aufgehört hat politisch gefährlich zu sein? Ist der Papst nur Ge¬ bieter der Seelen, so muß der Staat dem früheren gefährlichen Gegner Con¬ cessionen machen, weil ihn selbst nicht mehr die politische Leidenschaft des Volkes gegen die Kirche stützt. Wir begreifen nicht, wie man in Italien einem Con- cordat entgehen will, das der vornehme Schutzherr der Kirche, Oestreich, sich nicht fern zu halten vermochte. Und wenn erst Bettelmönche und Jesuiten als gute Italiener zum Volke predigen, dann wird nach menschlichem Ermessen un¬ möglich werden, Bürger, Soldaten und Beamte zu ziehen, wie sie der neue Staat nicht entbehren kann. . Und wieder, wenn die päpstliche Kirche in Italien unter die weltliche Herr¬ schaft eines einzelnen Staates gestellt wird, wie soll die katholische Kirche in Frankreich und Deutschland päpstlich bleiben? Mit der Entscheidung über das Schicksal Roms wird die Kirchenfrage zu einer großen politischen Frage und alle Culturstaaten der Welt werden in die Lage kommen, darauf eine Antwort zu suchen. So neigt sich dies Jahr, welches dem deutschen Staat die Grundlagen eines neuen Daseins gegeben hat, nicht Friede verheißend feinem Ende zu. In Oestreich mühen sich Regierung und Presse, den prager Frieden wie einen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_286147/143>, abgerufen am 02.07.2024.