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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band.

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getretenen, welche Zeit für Frankreich nöthig sei, um eine Armee von 300,000
Mann am Rhein aufzustellen. Die Antwort war: etwa zehn Wochen. Da
sprach der Kaiser: dann ist die Sacke entschieden. Frankreich hält Frieden. Und
er bewies, auf den Lauf der deutschen Eisenbahnen deutend, in drei Wochen
stehen 300,000 Preußen am Rhein, in zehn Wochen sind sie also in der Nähe
von Paris. Ob diese Rücksicht wirklich den Kaiser bestimmt hat, seine Ver¬
mittlerrolle mit solcher Mäßigung durchzuführen, wissen wir nicht. Grade durch
sie hat er für Oestreich mehr durchgesetzt als irgendeinem andern Sterblichen
möglich gewesen wäre, er hat eine zweite Katastrophe vor Wien gehindert und
aller Wahrscheinlichkeit nach den lothringischen Stolz vor einer zweiten De¬
müthigung bewahrt, die fürchterlicker gewesen wäre als die Tage von Skalitz
und Königsgrätz. Er hat auch die definitive Regelung der deutschen Angelegen¬
heiten durch seine Intervention aufgehalten, Sachsen und die Mainlinie als
zwei gefährliche Fragezeichen in Deutschland stehn gelassen. Das fühlt man im
Heere und Volke Preußens. Dennoch hat sein Verhalten in dieser Zeit den
Eindruck persönlicher Würde und einer maßvollen Haltung gemacht. Es war
sein eigenes. Interesse, einen Krieg um Tod und Leben seiner Dynastie zu ver¬
meiden, aber es war auch für Preußen eine große Sache, daß ein solcher Kampf
in diesem Jahre erspart blieb. Und wir verstehen die schwierige Lage und die
Pflichten eines Beherrschers der Franzosen zu würdigen. Jetzt hören wir, daß
der Kaiser erkrankt ist und lesen, daß unfruchtbarer Scharfsinn in der Tages¬
presse bereits in eine unsichere Zukunft hinein combinirt. Wir Preußen be¬
gnügen uns, ein aufrichtiges und warmes Bedauern auszusprechen über die
Erkrankung eines Fürsten, der den Deutschen vom Anfang seiner Negierung
ein gescheidter und anerkennender Beurtheiler war, und der uns gegenüber, wie
groß auch zuweilen die Versuchung zu Uebergriffen wurde, in bedrohlichen Jahren
und in Zeilen unserer Schwäche stets eine besonnene und wohlgeneigte Haltung
erwiesen hat. War er ein Gegner unserer Sacke durch seine Pläne und Pflich¬
ten gegen Frankreich, so war er uns doch ein freundlicher Gegner, der in allen
seinen offiziellen Acten stets loyale Offenheit und noch etwas Anderes bewiesen
hat, was der Preuße zuweilen ritterliche Artigkeit nennen durfte. Es ist billig,
daß wir dem klugen Staatsmann in derselben Weise begegnen. Der Preuße
darf vies aussprechen, ohne in Verdacht zu kommen, daß er eigennützig um die
Freundschaft Frankreichs werbe. Wohl vermag Preußen ein guter Verbündeter
Frankreichs zu sein, denn wir begehren keinen Fuß breit französischen Landes
und wir sehen neidlos das Wachsthum seiner Macht am Mittelmeere und die
großartige Entwickelung der französischen Production. Aber wenn wir Freunde
sein sollen, so tragen wir uns nicht an, man muß uns suchen. Diese Zurück¬
haltung ist doppelt geboten nach dem Kriegstaumel, den die preußischen Erfolge


getretenen, welche Zeit für Frankreich nöthig sei, um eine Armee von 300,000
Mann am Rhein aufzustellen. Die Antwort war: etwa zehn Wochen. Da
sprach der Kaiser: dann ist die Sacke entschieden. Frankreich hält Frieden. Und
er bewies, auf den Lauf der deutschen Eisenbahnen deutend, in drei Wochen
stehen 300,000 Preußen am Rhein, in zehn Wochen sind sie also in der Nähe
von Paris. Ob diese Rücksicht wirklich den Kaiser bestimmt hat, seine Ver¬
mittlerrolle mit solcher Mäßigung durchzuführen, wissen wir nicht. Grade durch
sie hat er für Oestreich mehr durchgesetzt als irgendeinem andern Sterblichen
möglich gewesen wäre, er hat eine zweite Katastrophe vor Wien gehindert und
aller Wahrscheinlichkeit nach den lothringischen Stolz vor einer zweiten De¬
müthigung bewahrt, die fürchterlicker gewesen wäre als die Tage von Skalitz
und Königsgrätz. Er hat auch die definitive Regelung der deutschen Angelegen¬
heiten durch seine Intervention aufgehalten, Sachsen und die Mainlinie als
zwei gefährliche Fragezeichen in Deutschland stehn gelassen. Das fühlt man im
Heere und Volke Preußens. Dennoch hat sein Verhalten in dieser Zeit den
Eindruck persönlicher Würde und einer maßvollen Haltung gemacht. Es war
sein eigenes. Interesse, einen Krieg um Tod und Leben seiner Dynastie zu ver¬
meiden, aber es war auch für Preußen eine große Sache, daß ein solcher Kampf
in diesem Jahre erspart blieb. Und wir verstehen die schwierige Lage und die
Pflichten eines Beherrschers der Franzosen zu würdigen. Jetzt hören wir, daß
der Kaiser erkrankt ist und lesen, daß unfruchtbarer Scharfsinn in der Tages¬
presse bereits in eine unsichere Zukunft hinein combinirt. Wir Preußen be¬
gnügen uns, ein aufrichtiges und warmes Bedauern auszusprechen über die
Erkrankung eines Fürsten, der den Deutschen vom Anfang seiner Negierung
ein gescheidter und anerkennender Beurtheiler war, und der uns gegenüber, wie
groß auch zuweilen die Versuchung zu Uebergriffen wurde, in bedrohlichen Jahren
und in Zeilen unserer Schwäche stets eine besonnene und wohlgeneigte Haltung
erwiesen hat. War er ein Gegner unserer Sacke durch seine Pläne und Pflich¬
ten gegen Frankreich, so war er uns doch ein freundlicher Gegner, der in allen
seinen offiziellen Acten stets loyale Offenheit und noch etwas Anderes bewiesen
hat, was der Preuße zuweilen ritterliche Artigkeit nennen durfte. Es ist billig,
daß wir dem klugen Staatsmann in derselben Weise begegnen. Der Preuße
darf vies aussprechen, ohne in Verdacht zu kommen, daß er eigennützig um die
Freundschaft Frankreichs werbe. Wohl vermag Preußen ein guter Verbündeter
Frankreichs zu sein, denn wir begehren keinen Fuß breit französischen Landes
und wir sehen neidlos das Wachsthum seiner Macht am Mittelmeere und die
großartige Entwickelung der französischen Production. Aber wenn wir Freunde
sein sollen, so tragen wir uns nicht an, man muß uns suchen. Diese Zurück¬
haltung ist doppelt geboten nach dem Kriegstaumel, den die preußischen Erfolge


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_286147/140>, abgerufen am 02.07.2024.