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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band.

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Erfolge völliger gewürdigt, als in manchen Landschaften der Heimath. Die
politischen MachtverKciltnisse Europas sind dadurch plötzlich geändert, nach vielen
Jahrhunderten der Ohnmacht vermag die deutsche Nation wieder ein Herren¬
wort in Europa mitzusprechen, an die Stelle des deutschen Bundes, den seine
verfassungsmäßige Passivität allen Gegnern deutscher Kraft werth machte, ist
die Politik eines aufstrebenden Staates getreten, der unter allen Großmächten
Europas die günstigste Finanzlage und ein Heer hat, dessen Organisation jetzt
beneidet und wie zu Friedrich des Zweiten Zeiten um die Wette nachgeahmt
wird. Wichtiger noch als die politische Wiederbelebung Italiens ist die von
Deutschland geworden; unser Volk ist zur Zeit kriegerischer, die continentale
Lage in der Mitte Europas zwingt den neuen Staat, Mitspieler zu werden
bei jedem Streit der Großmächte. Seine geographischen Verhältnisse machen
ihn zu dem gefährlichsten Gegner Rußlands und Frankreichs, und deshalb zum
werthvollsten Verbündeten, seine Culturinteressen endlich verknüpfen ihn so
innig mit den höchstcultivirten Ländern Europa's, daß die Zunahme seiner
innern Kraft eine Stärkung für alle andern geworden ist. Denn die Zeit
schwindet, wo ein Volksthum die Ausbeutung seines schwachen Nachbars sich
für den besten Vortheil hielt.

Es ist natürlich, daß dieser Fortschritt Europas am schnellsten und willig¬
sten da erkannt wird, wo die insulare Stellung festländische Allianzen noth"
wendig macht, in Italien und England. Wir haben in der letzten Zeit man¬
chen plötzlichen Umschwung in der öffentlichen Meinung Englands erlebt, kaum
einen größern als während der letzten Monate im Urtheil über Preußen. Es
war zunächst der Erfolg im Kriege, der dies Wunder bewirkte; aber nicht er
allein, auch die unbefangene Freude über jede tüchtige Kraftäußerung, welche
den Engländern seit alter Zeit eigen ist, die lange zurückgedrängte Erinnerung
an die enge Verwandtschaft mit Preußen, welche auf ähnlicher Bildung und im
protestantischen Gewissen ruht; endlich die politische Erwägung, daß jetzt unter
den Großmächten Europas ein neues Gewicht gegen die Schwächen des fran¬
zösischen Wesens und seine alte Neigung A Uebergriffen in die große Wag¬
schale falle, auf welcher die Schicksale Europas gewogen werden. Gern ver¬
gessen wir. daß man in England zu sehr die gesunde Tüchtigkeit unserer Staats¬
grundlagen verkannt hat über den Mängeln, welche noch aus der alten Zeit
des tyrannischen Beamtenstaats bei uns zurückgeblieben sind. Die große Mehr¬
zahl der englischen Blätter und Politiker hat dies gut gemacht, denn, was sie
für uns hatten, war eine warme und herzliche Anerkennung.

Es wird erzählt, daß Kaiser Napoleon nach der unerhörten Cession Vene-
tiens eine Conferenz von Marschällen und Generalen einberufen habe. Auf dem
Tisch seines Cabinets lag eine Karte von Deutschland, der Kaiser frug die Ein-


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Erfolge völliger gewürdigt, als in manchen Landschaften der Heimath. Die
politischen MachtverKciltnisse Europas sind dadurch plötzlich geändert, nach vielen
Jahrhunderten der Ohnmacht vermag die deutsche Nation wieder ein Herren¬
wort in Europa mitzusprechen, an die Stelle des deutschen Bundes, den seine
verfassungsmäßige Passivität allen Gegnern deutscher Kraft werth machte, ist
die Politik eines aufstrebenden Staates getreten, der unter allen Großmächten
Europas die günstigste Finanzlage und ein Heer hat, dessen Organisation jetzt
beneidet und wie zu Friedrich des Zweiten Zeiten um die Wette nachgeahmt
wird. Wichtiger noch als die politische Wiederbelebung Italiens ist die von
Deutschland geworden; unser Volk ist zur Zeit kriegerischer, die continentale
Lage in der Mitte Europas zwingt den neuen Staat, Mitspieler zu werden
bei jedem Streit der Großmächte. Seine geographischen Verhältnisse machen
ihn zu dem gefährlichsten Gegner Rußlands und Frankreichs, und deshalb zum
werthvollsten Verbündeten, seine Culturinteressen endlich verknüpfen ihn so
innig mit den höchstcultivirten Ländern Europa's, daß die Zunahme seiner
innern Kraft eine Stärkung für alle andern geworden ist. Denn die Zeit
schwindet, wo ein Volksthum die Ausbeutung seines schwachen Nachbars sich
für den besten Vortheil hielt.

Es ist natürlich, daß dieser Fortschritt Europas am schnellsten und willig¬
sten da erkannt wird, wo die insulare Stellung festländische Allianzen noth«
wendig macht, in Italien und England. Wir haben in der letzten Zeit man¬
chen plötzlichen Umschwung in der öffentlichen Meinung Englands erlebt, kaum
einen größern als während der letzten Monate im Urtheil über Preußen. Es
war zunächst der Erfolg im Kriege, der dies Wunder bewirkte; aber nicht er
allein, auch die unbefangene Freude über jede tüchtige Kraftäußerung, welche
den Engländern seit alter Zeit eigen ist, die lange zurückgedrängte Erinnerung
an die enge Verwandtschaft mit Preußen, welche auf ähnlicher Bildung und im
protestantischen Gewissen ruht; endlich die politische Erwägung, daß jetzt unter
den Großmächten Europas ein neues Gewicht gegen die Schwächen des fran¬
zösischen Wesens und seine alte Neigung A Uebergriffen in die große Wag¬
schale falle, auf welcher die Schicksale Europas gewogen werden. Gern ver¬
gessen wir. daß man in England zu sehr die gesunde Tüchtigkeit unserer Staats¬
grundlagen verkannt hat über den Mängeln, welche noch aus der alten Zeit
des tyrannischen Beamtenstaats bei uns zurückgeblieben sind. Die große Mehr¬
zahl der englischen Blätter und Politiker hat dies gut gemacht, denn, was sie
für uns hatten, war eine warme und herzliche Anerkennung.

Es wird erzählt, daß Kaiser Napoleon nach der unerhörten Cession Vene-
tiens eine Conferenz von Marschällen und Generalen einberufen habe. Auf dem
Tisch seines Cabinets lag eine Karte von Deutschland, der Kaiser frug die Ein-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_286147/139>, abgerufen am 02.07.2024.