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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band.

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davon, wenn sich der Geistliche anschickte sie beichtzuhören. Andere zogen in
Locca einem Christusbilde das rothe Hemd an. schmückten es mit der Feldbinde
und fehlen ihm ein paar Hörner ans. In Lodrone mußte der Curat an der
Spitze der Truppen marschiren, um sich den feindlichen Kugeln auszusetzen, und
dem Pfarrer von Pieve ti Ledro wurde ein Revolver auf die Brust gesetzt,
damit er eine Ergebenhcitsadresse an Victor Emanuel unterschreibe. Wenn man
auch diesen von Geistlichen berichteten und mit ähnlichen andrer Kriege wett¬
eifernden Vorfällen Glauben beimißt, standen sie doch vereinzelt, sonst würde
man das Bild gewiß etwas allgemeiner gehalten haben. Allein mit solchen
kleinen Scandalen war dem Volk viel leichter beizukommen und die Braun-
und Schwarzröcke verfehlten dann auch nicht, sie noch besser auszumalen und
aus Eigenem zu vermehren, wie uns Ohrenzeugen bestätigten. Leider war der
Tag der Rache für diesmal noch nicht gekommen. Als der Landsturm am
24. Juli zum ersten Male aufgerufen wurde^ erhielt er sogleich Gegenbefehl,
und als er vor Ablauf der ersten wie der zweiten Waffenruhe auf die ihm
angewiesenen Stellen rückte, flogen noch kurz vor der letzten Stunde Boten
und Telegramme nach allen Seiten, die ihn nach Hause schickten. Den Rosen¬
kranz in der einen Hand, den Stutzen in der andern waren die wackern Bursche
viele Meilen weit gewandert, hatten fleißig Messe gehört beim Schmettern der
Kriegßmusik, aber kein Feind ließ sich sehen, keine Büchse knallte. Das war
doch eine schwere Geduldprobe. In Anbetracht ihrer und als Sporn für die
Zukunft bereitete man den Heimkehrenden allenthalben einen mehr oder weniger
feierlichen Empfang, namentlich in Bozen. wo der Obercommandant der Landes-
vertheidigung Feldmalschalllieutenant Graf Castiglione vor die in dreifacher
Reihe aufgestellte Sturmmannschaft hintrat und sie mit folgenden Worten an¬
sprach:, "Dreimal rief ich euch, treue und biedere Männer, unter die Waffen,
und jedesmal endet ihr, 36,000 Mann stark, an die euch zugewiesenen Stellen.
Freudig verließet ihr Haus und Hof, Weib und Kind, die eurer Arbeit bedürf¬
tigen Felder, und strömtet von Berg und Thal herbei, um dem vermessenen
Feinde zu zeigen, daß keine Wandelung der Zeit den Muth, die Treue und die
Anhänglichkeit des Tirolervolks an das allerdurchlauchtigste Herrscherhaus zu
mindern vermochte. -- Ich danke euch im Namen unsres allergnädigsten Kaisers
und Herrn."

Die Militärs und Beamten suchten überhaupt die ganze Erhebung in
diesem Sinne zu deuten, obschon sie nur zu gut wußten, wer ihre Träger, und
deren Hilfe selbst nicht verschmähten. Was sie auf eigene Faust thaten, ergab
sich fast durchweg als Uebermaß des Eifers. Dahin zählen wir namentlich die
Anwerbung von Freiwilligen, die neben der Bildung neuer Scharfschützencom¬
pagnien an verschiedenen Orten Deutschtirols und Vorarlbergs sehr eifrig be¬
trieben wurde, nachdem der Kaiser am 17. Juli wegen der Verstärkung der


davon, wenn sich der Geistliche anschickte sie beichtzuhören. Andere zogen in
Locca einem Christusbilde das rothe Hemd an. schmückten es mit der Feldbinde
und fehlen ihm ein paar Hörner ans. In Lodrone mußte der Curat an der
Spitze der Truppen marschiren, um sich den feindlichen Kugeln auszusetzen, und
dem Pfarrer von Pieve ti Ledro wurde ein Revolver auf die Brust gesetzt,
damit er eine Ergebenhcitsadresse an Victor Emanuel unterschreibe. Wenn man
auch diesen von Geistlichen berichteten und mit ähnlichen andrer Kriege wett¬
eifernden Vorfällen Glauben beimißt, standen sie doch vereinzelt, sonst würde
man das Bild gewiß etwas allgemeiner gehalten haben. Allein mit solchen
kleinen Scandalen war dem Volk viel leichter beizukommen und die Braun-
und Schwarzröcke verfehlten dann auch nicht, sie noch besser auszumalen und
aus Eigenem zu vermehren, wie uns Ohrenzeugen bestätigten. Leider war der
Tag der Rache für diesmal noch nicht gekommen. Als der Landsturm am
24. Juli zum ersten Male aufgerufen wurde^ erhielt er sogleich Gegenbefehl,
und als er vor Ablauf der ersten wie der zweiten Waffenruhe auf die ihm
angewiesenen Stellen rückte, flogen noch kurz vor der letzten Stunde Boten
und Telegramme nach allen Seiten, die ihn nach Hause schickten. Den Rosen¬
kranz in der einen Hand, den Stutzen in der andern waren die wackern Bursche
viele Meilen weit gewandert, hatten fleißig Messe gehört beim Schmettern der
Kriegßmusik, aber kein Feind ließ sich sehen, keine Büchse knallte. Das war
doch eine schwere Geduldprobe. In Anbetracht ihrer und als Sporn für die
Zukunft bereitete man den Heimkehrenden allenthalben einen mehr oder weniger
feierlichen Empfang, namentlich in Bozen. wo der Obercommandant der Landes-
vertheidigung Feldmalschalllieutenant Graf Castiglione vor die in dreifacher
Reihe aufgestellte Sturmmannschaft hintrat und sie mit folgenden Worten an¬
sprach:, „Dreimal rief ich euch, treue und biedere Männer, unter die Waffen,
und jedesmal endet ihr, 36,000 Mann stark, an die euch zugewiesenen Stellen.
Freudig verließet ihr Haus und Hof, Weib und Kind, die eurer Arbeit bedürf¬
tigen Felder, und strömtet von Berg und Thal herbei, um dem vermessenen
Feinde zu zeigen, daß keine Wandelung der Zeit den Muth, die Treue und die
Anhänglichkeit des Tirolervolks an das allerdurchlauchtigste Herrscherhaus zu
mindern vermochte. — Ich danke euch im Namen unsres allergnädigsten Kaisers
und Herrn."

Die Militärs und Beamten suchten überhaupt die ganze Erhebung in
diesem Sinne zu deuten, obschon sie nur zu gut wußten, wer ihre Träger, und
deren Hilfe selbst nicht verschmähten. Was sie auf eigene Faust thaten, ergab
sich fast durchweg als Uebermaß des Eifers. Dahin zählen wir namentlich die
Anwerbung von Freiwilligen, die neben der Bildung neuer Scharfschützencom¬
pagnien an verschiedenen Orten Deutschtirols und Vorarlbergs sehr eifrig be¬
trieben wurde, nachdem der Kaiser am 17. Juli wegen der Verstärkung der


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[0124] davon, wenn sich der Geistliche anschickte sie beichtzuhören. Andere zogen in Locca einem Christusbilde das rothe Hemd an. schmückten es mit der Feldbinde und fehlen ihm ein paar Hörner ans. In Lodrone mußte der Curat an der Spitze der Truppen marschiren, um sich den feindlichen Kugeln auszusetzen, und dem Pfarrer von Pieve ti Ledro wurde ein Revolver auf die Brust gesetzt, damit er eine Ergebenhcitsadresse an Victor Emanuel unterschreibe. Wenn man auch diesen von Geistlichen berichteten und mit ähnlichen andrer Kriege wett¬ eifernden Vorfällen Glauben beimißt, standen sie doch vereinzelt, sonst würde man das Bild gewiß etwas allgemeiner gehalten haben. Allein mit solchen kleinen Scandalen war dem Volk viel leichter beizukommen und die Braun- und Schwarzröcke verfehlten dann auch nicht, sie noch besser auszumalen und aus Eigenem zu vermehren, wie uns Ohrenzeugen bestätigten. Leider war der Tag der Rache für diesmal noch nicht gekommen. Als der Landsturm am 24. Juli zum ersten Male aufgerufen wurde^ erhielt er sogleich Gegenbefehl, und als er vor Ablauf der ersten wie der zweiten Waffenruhe auf die ihm angewiesenen Stellen rückte, flogen noch kurz vor der letzten Stunde Boten und Telegramme nach allen Seiten, die ihn nach Hause schickten. Den Rosen¬ kranz in der einen Hand, den Stutzen in der andern waren die wackern Bursche viele Meilen weit gewandert, hatten fleißig Messe gehört beim Schmettern der Kriegßmusik, aber kein Feind ließ sich sehen, keine Büchse knallte. Das war doch eine schwere Geduldprobe. In Anbetracht ihrer und als Sporn für die Zukunft bereitete man den Heimkehrenden allenthalben einen mehr oder weniger feierlichen Empfang, namentlich in Bozen. wo der Obercommandant der Landes- vertheidigung Feldmalschalllieutenant Graf Castiglione vor die in dreifacher Reihe aufgestellte Sturmmannschaft hintrat und sie mit folgenden Worten an¬ sprach:, „Dreimal rief ich euch, treue und biedere Männer, unter die Waffen, und jedesmal endet ihr, 36,000 Mann stark, an die euch zugewiesenen Stellen. Freudig verließet ihr Haus und Hof, Weib und Kind, die eurer Arbeit bedürf¬ tigen Felder, und strömtet von Berg und Thal herbei, um dem vermessenen Feinde zu zeigen, daß keine Wandelung der Zeit den Muth, die Treue und die Anhänglichkeit des Tirolervolks an das allerdurchlauchtigste Herrscherhaus zu mindern vermochte. — Ich danke euch im Namen unsres allergnädigsten Kaisers und Herrn." Die Militärs und Beamten suchten überhaupt die ganze Erhebung in diesem Sinne zu deuten, obschon sie nur zu gut wußten, wer ihre Träger, und deren Hilfe selbst nicht verschmähten. Was sie auf eigene Faust thaten, ergab sich fast durchweg als Uebermaß des Eifers. Dahin zählen wir namentlich die Anwerbung von Freiwilligen, die neben der Bildung neuer Scharfschützencom¬ pagnien an verschiedenen Orten Deutschtirols und Vorarlbergs sehr eifrig be¬ trieben wurde, nachdem der Kaiser am 17. Juli wegen der Verstärkung der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_286147/124>, abgerufen am 02.07.2024.