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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band.

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An die Adresse der Deutschöstreicher.

Vor einigen Wochen wachten diese Blätter eine Blumenlese aus wiener
Zeitungen, welche die unglaubliche Befangenheit der öffentlichen Meinung in
Oestreich, ihr keckes Umspringen mit der Wahrheit unwiderleglich bewies.
Darüber herrschte nun in Wien großer Aerger. Das eine Journal verlangt,
die Dramen des Herausgebers der Grenzboten sollen vom Repertoir des Hof¬
burgtheaters gestrichen werden, das andere wünscht seine Romane in den Bann
gethan, ein wiener Correspondent der Augsburger Allgemeinen Zeitung endlich
glaubt den ärgsten Trumpf auszuspielen, indem er behauptet, der Herzog von
Koburg habe den Artikel bestellt, um sich an den wiener Journalisten für die
geringe Anerkennung zu rächen. Es ist -- nebenbei gesagt -- überaus charakte¬
ristisch, daß in keinem Lande die Zweifel, ob man in der Politik von der Ueber¬
zeugungstreue geleitet werde, so häufig wiederkehrt, wie in Oestreich. Der
Herzog von Koburg wird sich den Vorwurf, daß er die Grenzboten beeinflusse,
nicht zu Herzen nehmen, der Herausgeber wird sich gleichfalls in das Schicksal
ergeben, nicht mit "Rokambolo dem Galeerensträfling" und andern beliebten
Feuilletonromancn die Gunst derjenigen Wiener zu theilen, welche durch die
Phrasen ihrer Zeitungspresse beeinflußt werden. Wird aber dadurch die Be¬
schuldigung, daß die wiener Presse ihre Pflicht schlecht erfüllt, entkräftet? Ebenso
wenig als Lügen und Verleumdungen durch Wiederholung und Steigerung zur
Wahrheit werden. Wohl war man zu der Hoffnung berechtigt, daß wenigstens
nach hergestellten Frieden die Besinnung zmückkchren, nicht mehr die erhitzte
Einbildungskraft, sondern der ruhig prüfende Verstand den Nedactionsstift
führen werde. Je schimpflicher und erbärmlicher der siegreiche Feind geschildert
wird, desto größere Schmach trifft ja den Besiegten. Die Hoffnung wurde aber
bitter getäuscht, in den letzten Wochen das alte Schimpfgeschäft unverdrossen
fortgesetzt.

Um künftigen Recriminationen vorzubeugen, sei schon jetzt bemerkt, daß
nicht an jedem Tage alle Journale in dasselbe Horn stoßen, daß der eine und
der andere Leitartikel billigere Urtheile aiisspricht. die eine und die andere Zei¬
tung heute oder morgen vom Gesammtchore sich trennt. Man kennt die Riva¬
lität der wiener Hauptblätter; das Gegentheil von dem, was die "Neue Presse"
behauptet, erscheint der "Alten" unwillkürlich als die bessere Wahrheit, das
"alte Frcmdenblatt" braucht nur etwas schwarz zu nennen und sicher entdeckt
das "neue Fremdenblatt" die Weiße Farbe daran. Dieses zugegeben und auch


Grenzboten IV. 18K6. 12
An die Adresse der Deutschöstreicher.

Vor einigen Wochen wachten diese Blätter eine Blumenlese aus wiener
Zeitungen, welche die unglaubliche Befangenheit der öffentlichen Meinung in
Oestreich, ihr keckes Umspringen mit der Wahrheit unwiderleglich bewies.
Darüber herrschte nun in Wien großer Aerger. Das eine Journal verlangt,
die Dramen des Herausgebers der Grenzboten sollen vom Repertoir des Hof¬
burgtheaters gestrichen werden, das andere wünscht seine Romane in den Bann
gethan, ein wiener Correspondent der Augsburger Allgemeinen Zeitung endlich
glaubt den ärgsten Trumpf auszuspielen, indem er behauptet, der Herzog von
Koburg habe den Artikel bestellt, um sich an den wiener Journalisten für die
geringe Anerkennung zu rächen. Es ist — nebenbei gesagt — überaus charakte¬
ristisch, daß in keinem Lande die Zweifel, ob man in der Politik von der Ueber¬
zeugungstreue geleitet werde, so häufig wiederkehrt, wie in Oestreich. Der
Herzog von Koburg wird sich den Vorwurf, daß er die Grenzboten beeinflusse,
nicht zu Herzen nehmen, der Herausgeber wird sich gleichfalls in das Schicksal
ergeben, nicht mit „Rokambolo dem Galeerensträfling" und andern beliebten
Feuilletonromancn die Gunst derjenigen Wiener zu theilen, welche durch die
Phrasen ihrer Zeitungspresse beeinflußt werden. Wird aber dadurch die Be¬
schuldigung, daß die wiener Presse ihre Pflicht schlecht erfüllt, entkräftet? Ebenso
wenig als Lügen und Verleumdungen durch Wiederholung und Steigerung zur
Wahrheit werden. Wohl war man zu der Hoffnung berechtigt, daß wenigstens
nach hergestellten Frieden die Besinnung zmückkchren, nicht mehr die erhitzte
Einbildungskraft, sondern der ruhig prüfende Verstand den Nedactionsstift
führen werde. Je schimpflicher und erbärmlicher der siegreiche Feind geschildert
wird, desto größere Schmach trifft ja den Besiegten. Die Hoffnung wurde aber
bitter getäuscht, in den letzten Wochen das alte Schimpfgeschäft unverdrossen
fortgesetzt.

Um künftigen Recriminationen vorzubeugen, sei schon jetzt bemerkt, daß
nicht an jedem Tage alle Journale in dasselbe Horn stoßen, daß der eine und
der andere Leitartikel billigere Urtheile aiisspricht. die eine und die andere Zei¬
tung heute oder morgen vom Gesammtchore sich trennt. Man kennt die Riva¬
lität der wiener Hauptblätter; das Gegentheil von dem, was die „Neue Presse"
behauptet, erscheint der „Alten" unwillkürlich als die bessere Wahrheit, das
„alte Frcmdenblatt" braucht nur etwas schwarz zu nennen und sicher entdeckt
das „neue Fremdenblatt" die Weiße Farbe daran. Dieses zugegeben und auch


Grenzboten IV. 18K6. 12
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_286147/103>, abgerufen am 02.07.2024.