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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band.

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ungerechter, unnöthiger und unheilvoller sei und ein schlechtes Ende für die Be¬
theiligten nehmen werde.

Und wenn seinem Bruder, welchem er das Heer anvertraute, nicht seine
Auffassung der politischen Lage dieselbe Ueberzeugung begründet hätte, so mußten
ihm, der in der preußischen Armee seine Schule durchgemacht hatte und ungefähr
wußte, was kriegerische Ordnung heißt, doch sicher die militärischen Verhältnisse
des achten Armeecorps den letzten Zweifel nehmen. Es war eine Reichsarmee
in des Wortes ärgster Bedeutung, trotz dem guten Material, welches die Truppen
boten, die jämmerlichste Desorganisation. Der Herzog von Nassau, der Groß-
herzog von Darmstadt, jeder dachte daran, seine Truppen speciell zu leiten, zu
schonen, womöglich nur zum Schutz des eigenen Landes zu verwenden. Es
wäre doch ein ungewöhnlicher Grad von Selbstentäußerung gewesen, Wenn
Baden unter diesen Umständen anders verfahren wäre.

Die in der Flugschrift mitgetheilten Belege -- einige flüchtig geschriebene
Rapporte -- beweisen zur Zeit nichts, man müßte erst den Prinzen selbst
und seine Vertheidigung hören, welche dem Vernehmen nach erscheinen soll, zur
Zeit nicht in unseren Händen ist. Aber es ist sehr möglich, daß das Commando
der badischen Division dem Befehl des Corpscommcmdos keinen eifrigen Ge¬
horsam bewiesen hat und mehr darauf bedacht war, Baden zu schützen; als sich
für Oestreich zu opfern. Die Berechtigung zu diesem Verfahren konnte derselbe
jeden Tag in der absoluten Kopflosigkeit des Kommandos, der allgemeinen Con-
fusion und der Zwistigkeit zwischen dem Prinzen Karl von Bayern und dem
Prinzen von Hessen finden. Es war der Fluch dieses ruchlos begonnenen
Krieges, daß Zank der Führer und wüstes Durcheinander der Befehle überall
den etwa möglichen Erfolg verdarb. Wer mit wohlmeinenden Urtheil in diese
elende Wirthschaft sah, der durfte sich vorkommen wie ein nüchterner unter
Trunkenen.

Es ist ohne Zweifel keine beneidenswerthe Lage in einer Armee, welche
durch ihre Zusammensetzung und durch ihr Commando zu ernsten militärischen
Leistungen untüchtig wird, einen Befehl zu haben, aber es ist höchst ungerecht,
dem Befehlshaber eines einzelnen Contingentes Vorwurf daraus zu machen,
daß er nicht freudig und willfährig das Unverständige und Gemeinschädliche
that, was ihm einmal befohlen wurde. Ohne Zweifel empfand Prinz Wilhelm
von Baden peinlich die Collision zwischen militärischer Subordination und
politischer Pflicht, aus der Brochure ist zu ersehen, wie er bemüht war beide
zu versöhnen. Daß ihm dies nicht zur Zufriedenheit von Würtemberg gelungen
ist, darüber darf man sich nicht wundern, ist doch eine Versöhnung zweier un¬
vereinbarer Interessen überhaupt unmöglich. Er war aber nach der unsinnigen
Militärverfassung des alten Bundes nicht nur dem Corpsführer, sondern auch
seinem Kriegsherrn zum Gehorsam verpflichtet. Daß er in solcher unklarer


ungerechter, unnöthiger und unheilvoller sei und ein schlechtes Ende für die Be¬
theiligten nehmen werde.

Und wenn seinem Bruder, welchem er das Heer anvertraute, nicht seine
Auffassung der politischen Lage dieselbe Ueberzeugung begründet hätte, so mußten
ihm, der in der preußischen Armee seine Schule durchgemacht hatte und ungefähr
wußte, was kriegerische Ordnung heißt, doch sicher die militärischen Verhältnisse
des achten Armeecorps den letzten Zweifel nehmen. Es war eine Reichsarmee
in des Wortes ärgster Bedeutung, trotz dem guten Material, welches die Truppen
boten, die jämmerlichste Desorganisation. Der Herzog von Nassau, der Groß-
herzog von Darmstadt, jeder dachte daran, seine Truppen speciell zu leiten, zu
schonen, womöglich nur zum Schutz des eigenen Landes zu verwenden. Es
wäre doch ein ungewöhnlicher Grad von Selbstentäußerung gewesen, Wenn
Baden unter diesen Umständen anders verfahren wäre.

Die in der Flugschrift mitgetheilten Belege — einige flüchtig geschriebene
Rapporte — beweisen zur Zeit nichts, man müßte erst den Prinzen selbst
und seine Vertheidigung hören, welche dem Vernehmen nach erscheinen soll, zur
Zeit nicht in unseren Händen ist. Aber es ist sehr möglich, daß das Commando
der badischen Division dem Befehl des Corpscommcmdos keinen eifrigen Ge¬
horsam bewiesen hat und mehr darauf bedacht war, Baden zu schützen; als sich
für Oestreich zu opfern. Die Berechtigung zu diesem Verfahren konnte derselbe
jeden Tag in der absoluten Kopflosigkeit des Kommandos, der allgemeinen Con-
fusion und der Zwistigkeit zwischen dem Prinzen Karl von Bayern und dem
Prinzen von Hessen finden. Es war der Fluch dieses ruchlos begonnenen
Krieges, daß Zank der Führer und wüstes Durcheinander der Befehle überall
den etwa möglichen Erfolg verdarb. Wer mit wohlmeinenden Urtheil in diese
elende Wirthschaft sah, der durfte sich vorkommen wie ein nüchterner unter
Trunkenen.

Es ist ohne Zweifel keine beneidenswerthe Lage in einer Armee, welche
durch ihre Zusammensetzung und durch ihr Commando zu ernsten militärischen
Leistungen untüchtig wird, einen Befehl zu haben, aber es ist höchst ungerecht,
dem Befehlshaber eines einzelnen Contingentes Vorwurf daraus zu machen,
daß er nicht freudig und willfährig das Unverständige und Gemeinschädliche
that, was ihm einmal befohlen wurde. Ohne Zweifel empfand Prinz Wilhelm
von Baden peinlich die Collision zwischen militärischer Subordination und
politischer Pflicht, aus der Brochure ist zu ersehen, wie er bemüht war beide
zu versöhnen. Daß ihm dies nicht zur Zufriedenheit von Würtemberg gelungen
ist, darüber darf man sich nicht wundern, ist doch eine Versöhnung zweier un¬
vereinbarer Interessen überhaupt unmöglich. Er war aber nach der unsinnigen
Militärverfassung des alten Bundes nicht nur dem Corpsführer, sondern auch
seinem Kriegsherrn zum Gehorsam verpflichtet. Daß er in solcher unklarer


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_286147/101>, abgerufen am 02.07.2024.