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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band.

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der Bataillone erlaubte. Aber die östreichische Presse hat doppeltes Unrecht,
wenn sie den Süddeutschen vorwirft, daß größere Schnelligkeit ihrer Truppen
die Entscheidung in Böhmen verhindert haben würde. Denn in Preußen war
man fest entschlossen, alle Macht zu starken Schlägen gegen Oestreich zu con-
centriren, ohne Rücksicht darauf, welche Fortschritte unterdeß eine süddeutsche
Armee machen würde. Und wenn die Bayern die Elbe überschritten hätten und
bis Berlin vorgedrungen wären, Preußen hätte die schädliche Promenade und
daS Zeitungsgeräusch kalt ertragen und die östreichische Armee nicht losgelassen.
Denn seine richtige Kriegsrechnung war, daß es nach Besiegung des größern
Heeres auch dem achten Armeecorps und den Bayern überlegen sein würde,
und es war in den Krieg gegangen mit dem Bewußtsein, daß der Staat die
Existenz daran setzen müsse. Daß die süddeutschen Heere bis jetzt nicht in
großer Schlacht an der Elbe mit den Preußen zusammenstießen, hat auf das
Geschick des Kaiserstaats keinen nennenswerthen Einfluß gehabt. Für Deutsch¬
land aber ist es ein großes Glück, es hat zwischen Verwandten Blut erspart
und erleichtert eine Versöhnung.

Die neue Wendung der östreichischen Politik hat auch eine Wendung in
Deutschland vorbereitet, den Süddeutschen ist die Möglichkeit genommen, noch
länger von Oestreichs deutschem Beruf zu sprechen. Es ist dadurch aber un-
läugbar für Preußen wie für Deutschland eine neue Gefahr entstanden. Die
Stellung des Kaiser Napoleon zu den preußischen Forderungen ist in der Haupt-
sache verständlich, wenn auch unbekannt ist, wie viel er zugestehen, wie viel ver¬
weigern möchte; denn die Grenzen, innerhalb deren sich seine Vorschläge be¬
wegen können, sind deutlich. Ihm ist ein Interesse Frankreichs, daß der
Dualismus in Deutschland erhalten bleibe, und er verkennt nicht, daß der Planet
Preußen zur Zeit im Aufsteigen, Oestreich in of-äsutö 6vno ist; er fühlt sich
nach der Schenkung verbunden, die Interessen Oestreichs wahrzunehmen, und er
begreift, daß dem neuen Selbstgefühl Preußens, seinem Heere und Volk beträcht¬
liche Concessionen gemacht werden müssen, wenn er nicht in Preußen sich und
seinem Sohne einen erbitterten und nicht ungefährlichen Feind großziehen will.
Innerhalb dieser Grenzen werden sich die Concessionen halten, welche er als
Gewährsmann Oestreichs vorzuschlagen oder zu bewilligen geneigt sein wird.
Also etwa die Elbherzogthümer. einige andere Territorialvergrößerungen und
einen norddeutschen Bund.

Unterdeß ist ihm bei der Provocation und hastigen Annahme der Schenkung
Venetiens begegnet, was ihm schon in früherem Falle Verlegenheiten bereitet
hat. Der kluge Fürst ist bei aller Bedächtigkeit doch da, wo es die Realisirung
geheim gesponnener Lieblingswünsche gilt, in Gefahr, sich allzu eifrig einzusetzen.
Seine Umsicht beweist er aber in bewunderungswürdiger Weise, wie er solchen
Speculationsfehler einer waglustigen, vielleicht abenteuerlich combinirenden Natur


der Bataillone erlaubte. Aber die östreichische Presse hat doppeltes Unrecht,
wenn sie den Süddeutschen vorwirft, daß größere Schnelligkeit ihrer Truppen
die Entscheidung in Böhmen verhindert haben würde. Denn in Preußen war
man fest entschlossen, alle Macht zu starken Schlägen gegen Oestreich zu con-
centriren, ohne Rücksicht darauf, welche Fortschritte unterdeß eine süddeutsche
Armee machen würde. Und wenn die Bayern die Elbe überschritten hätten und
bis Berlin vorgedrungen wären, Preußen hätte die schädliche Promenade und
daS Zeitungsgeräusch kalt ertragen und die östreichische Armee nicht losgelassen.
Denn seine richtige Kriegsrechnung war, daß es nach Besiegung des größern
Heeres auch dem achten Armeecorps und den Bayern überlegen sein würde,
und es war in den Krieg gegangen mit dem Bewußtsein, daß der Staat die
Existenz daran setzen müsse. Daß die süddeutschen Heere bis jetzt nicht in
großer Schlacht an der Elbe mit den Preußen zusammenstießen, hat auf das
Geschick des Kaiserstaats keinen nennenswerthen Einfluß gehabt. Für Deutsch¬
land aber ist es ein großes Glück, es hat zwischen Verwandten Blut erspart
und erleichtert eine Versöhnung.

Die neue Wendung der östreichischen Politik hat auch eine Wendung in
Deutschland vorbereitet, den Süddeutschen ist die Möglichkeit genommen, noch
länger von Oestreichs deutschem Beruf zu sprechen. Es ist dadurch aber un-
läugbar für Preußen wie für Deutschland eine neue Gefahr entstanden. Die
Stellung des Kaiser Napoleon zu den preußischen Forderungen ist in der Haupt-
sache verständlich, wenn auch unbekannt ist, wie viel er zugestehen, wie viel ver¬
weigern möchte; denn die Grenzen, innerhalb deren sich seine Vorschläge be¬
wegen können, sind deutlich. Ihm ist ein Interesse Frankreichs, daß der
Dualismus in Deutschland erhalten bleibe, und er verkennt nicht, daß der Planet
Preußen zur Zeit im Aufsteigen, Oestreich in of-äsutö 6vno ist; er fühlt sich
nach der Schenkung verbunden, die Interessen Oestreichs wahrzunehmen, und er
begreift, daß dem neuen Selbstgefühl Preußens, seinem Heere und Volk beträcht¬
liche Concessionen gemacht werden müssen, wenn er nicht in Preußen sich und
seinem Sohne einen erbitterten und nicht ungefährlichen Feind großziehen will.
Innerhalb dieser Grenzen werden sich die Concessionen halten, welche er als
Gewährsmann Oestreichs vorzuschlagen oder zu bewilligen geneigt sein wird.
Also etwa die Elbherzogthümer. einige andere Territorialvergrößerungen und
einen norddeutschen Bund.

Unterdeß ist ihm bei der Provocation und hastigen Annahme der Schenkung
Venetiens begegnet, was ihm schon in früherem Falle Verlegenheiten bereitet
hat. Der kluge Fürst ist bei aller Bedächtigkeit doch da, wo es die Realisirung
geheim gesponnener Lieblingswünsche gilt, in Gefahr, sich allzu eifrig einzusetzen.
Seine Umsicht beweist er aber in bewunderungswürdiger Weise, wie er solchen
Speculationsfehler einer waglustigen, vielleicht abenteuerlich combinirenden Natur


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285587/98>, abgerufen am 22.07.2024.