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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band.

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wieder gut zu machen weiß. Diesmal lockte ihn übermächtig der Wunsch, die
Herrenhand über Italien zu halten, Preußen nicht zu stark werden zu lassen,
für sich eine in Europa noch nicht dagewesene Herrenstellung zu gewinnen,
seinem Staat ohne Kampf vielleicht eine Vergrößerung zu verschaffen. Ob er
richtig die Chancen eines heftigen Krieges am Rhein berechnet hat, ferner wie
England und Rußland das Geschenk Venetien aufnehmen werden, und ob sein
Frankreich denselben flaggenden Enthusiasmus bei einer ernsten kriegerischen
Verwickelung bewahren wird, darf man bezweifeln. Allmälig werden auch diese
Rücksichten sich vor ihm geltend machen, schon ist in seiner Presse wie zufällig
der Gedanke ausgestreut, daß eine Nichtannahme des Waffenstillstandes durch
die verbündeten kriegführenden Mächte die Schenkung Venetiens hinfällig machen
würde. Es ist ganz seine Weise, sich in solcher Art den Rückzug zu decken; in
Wahrheit aber muß sein Wille sein, die-gewonnene Stellung so lange als
irgend möglich festzuhalten. Er. wird zunächst das Unloyale der östreichischen
Schenkung durch die größte Freundlichkeit gegen Preußen und Italien zu decken
suchen; wenn solche Diplomatie den verletzten Stolz der Kriegführenden nicht
versöhnt, werden leise Zwangsmittel folgen, Zusammenziehung größerer Truppen¬
massen in den stehenden Lagern, Aufstellung eines Heers. Exasperation seiner
Presse. Wie weit er factisch den Zerfall mit einem widerstrebenden Preußen
und Italien wagt, wird von der Haltung Englands und Rußlands abhängen.
Beide Regierungen vermögen diese Art von Cession eines Landes nicht gleich-
giltig anzusehen, für beide ist eine Schenkung an Frankreich beunruhigend, und
es ist nicht unmöglich, daß sie eine gewisse Annäherung zwischen ihnen und
Preußen vorbereitet. Ueber die Energie ihres Unwillens haben wir zur Zeit
kein Urtheil. Oestreich aber hat seine Stellung in Europa verdorben, selbst
wenn ihm gelänge, den preußischen Waffen in einem letzten Entscheidungskampf
siegreich zu begegnen. Der Client Frankreichs hat zu erwarten, daß Nußland
fortan rücksichtsloser seine Interessen im Osten verfolgt, die öffentliche Meinung,
welche England regiert, ihn mit Mißtrauen und Nichtachtung behandelt.

Zur Zeit hat Italien die Gabe des Kaiser Napoleon noch nicht angenom¬
men. Cialdini hat den Po überschritten und sucht das italienische Heer in den
Besitz wenigstens eines Theils von Venetien zu setzen. nationaler Stolz und
Bundespflicht sträuben sich dort gleichmäßig gegen die Demüthigung, welche die
Schenkung Venetiens durch Frankreich auslegen würde.--Wir halten Italien
allerdings für einen werthvollen Bundesgenossen der deutschen Zukunft. Aber
wir glauben keine Beleidigung gegen König und Volk von Italien auszusprechen,
wenn wir annehmen, daß Preußen wenig Beistand von seinem Verbündeten zu
hoffen hat, und daß es in der gegenwärtigen Sachlage ganz auf den eigenen
Muth und die heimischen Hilfsquellen angewiesen ist.

Preußen hat einen Kampf auf Leben und Tod begonnen, um die un-


wieder gut zu machen weiß. Diesmal lockte ihn übermächtig der Wunsch, die
Herrenhand über Italien zu halten, Preußen nicht zu stark werden zu lassen,
für sich eine in Europa noch nicht dagewesene Herrenstellung zu gewinnen,
seinem Staat ohne Kampf vielleicht eine Vergrößerung zu verschaffen. Ob er
richtig die Chancen eines heftigen Krieges am Rhein berechnet hat, ferner wie
England und Rußland das Geschenk Venetien aufnehmen werden, und ob sein
Frankreich denselben flaggenden Enthusiasmus bei einer ernsten kriegerischen
Verwickelung bewahren wird, darf man bezweifeln. Allmälig werden auch diese
Rücksichten sich vor ihm geltend machen, schon ist in seiner Presse wie zufällig
der Gedanke ausgestreut, daß eine Nichtannahme des Waffenstillstandes durch
die verbündeten kriegführenden Mächte die Schenkung Venetiens hinfällig machen
würde. Es ist ganz seine Weise, sich in solcher Art den Rückzug zu decken; in
Wahrheit aber muß sein Wille sein, die-gewonnene Stellung so lange als
irgend möglich festzuhalten. Er. wird zunächst das Unloyale der östreichischen
Schenkung durch die größte Freundlichkeit gegen Preußen und Italien zu decken
suchen; wenn solche Diplomatie den verletzten Stolz der Kriegführenden nicht
versöhnt, werden leise Zwangsmittel folgen, Zusammenziehung größerer Truppen¬
massen in den stehenden Lagern, Aufstellung eines Heers. Exasperation seiner
Presse. Wie weit er factisch den Zerfall mit einem widerstrebenden Preußen
und Italien wagt, wird von der Haltung Englands und Rußlands abhängen.
Beide Regierungen vermögen diese Art von Cession eines Landes nicht gleich-
giltig anzusehen, für beide ist eine Schenkung an Frankreich beunruhigend, und
es ist nicht unmöglich, daß sie eine gewisse Annäherung zwischen ihnen und
Preußen vorbereitet. Ueber die Energie ihres Unwillens haben wir zur Zeit
kein Urtheil. Oestreich aber hat seine Stellung in Europa verdorben, selbst
wenn ihm gelänge, den preußischen Waffen in einem letzten Entscheidungskampf
siegreich zu begegnen. Der Client Frankreichs hat zu erwarten, daß Nußland
fortan rücksichtsloser seine Interessen im Osten verfolgt, die öffentliche Meinung,
welche England regiert, ihn mit Mißtrauen und Nichtachtung behandelt.

Zur Zeit hat Italien die Gabe des Kaiser Napoleon noch nicht angenom¬
men. Cialdini hat den Po überschritten und sucht das italienische Heer in den
Besitz wenigstens eines Theils von Venetien zu setzen. nationaler Stolz und
Bundespflicht sträuben sich dort gleichmäßig gegen die Demüthigung, welche die
Schenkung Venetiens durch Frankreich auslegen würde.--Wir halten Italien
allerdings für einen werthvollen Bundesgenossen der deutschen Zukunft. Aber
wir glauben keine Beleidigung gegen König und Volk von Italien auszusprechen,
wenn wir annehmen, daß Preußen wenig Beistand von seinem Verbündeten zu
hoffen hat, und daß es in der gegenwärtigen Sachlage ganz auf den eigenen
Muth und die heimischen Hilfsquellen angewiesen ist.

Preußen hat einen Kampf auf Leben und Tod begonnen, um die un-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285587/99>, abgerufen am 22.07.2024.