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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band.

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theilen. Michelangelo fing frühe an zu dichten (Condivi erwähnt besonder",
daß er in der Zeit, bevor er durch Julius den Zweiten nach Rom berufen
wurde, viele Sonette "zu seiner Unterhaltung" machte), und er dichtete bis in
sein hohes Alter. Nun weiß aber der Biograph nur von einer einzigen Liebe
zu erzählen, von der zu Vittoria Colonna, die Michelangelo, wie man annimmt,
erst im Jahr 1536 kennen lernte. Damit würde eS sehr gut stimmen, daß
allerdings die große Mehrzahl der erhaltenen Gedichte eben der späteren
römischen Zeit angehört. Allein auch diese können wir nur theilweise auf
Vittoria Colonna beziehen, für die anderen wie für alle früheren sind wir auf
eine andere Erklärung angewiesen. Sollten sie nur Spiele der Reflexion sein,
oder verschwieg uns der Biograph Beziehungen, die er selbst nicht kannte?
Michelangelo hat selbst in Gedichten des Alters ausgesprochen, daß ein un¬
ersättliches Feuer in ihm glühe und er oft geliebt habe (z. B. Sonett 46).
Aber stimmt dies mit dem Wesen des Mannes, der uns so eigenartig, ver¬
schlossen, die Einsamkeit liebend, geschildert wird und von keinem andern Weib
wissen wollte, als seiner Kunst? Die Antwort ist: er war nie ohne Liebe,
weil er alles Schöne ersehnte, weil er in allem Einzelschönen die Idee der
Schönheit liebte.

Darf ich eine Vermuthung wagen, so ist einmal auch in jüngeren Jahren
das Gefühl der Liebe übermächtig über ihn gekommen. Man hat ein paar
Sonette (19--22), die im ganzen Ton auffallend von allen übrigen sich unter¬
scheiden. Eine sinnlich naive Lust bricht hier durch, jubelnd ruft er aus: ,^Jch
liebe mich mehr, seit ich dich im Herzen habe, wie ein gefaßter Stein werth¬
voller ist, ein beschriebenes oder bemaltes Blatt kostbarer, als ein leerer Bogen."
Eifersüchtig blickt er auf die Blumen im Kranz der Geliebten, die sich streiten,
ihr die Wange zu küssen, er beneidet das Mieder, das ihre wogende Brust
umschließt, den engen Gürtel, der die Hüften umspannt -- wie würden da erst
meine Arme dich umfassen! Er möchte das Gewand sein, das um ihren Busen
sich ^legt. um nur wenigstens bei Tag bei ihr zu sein. "Und siehst du mirs
denn nicht an den Augen an, wie ich für dich glühe? Vielleicht ist dein Sinn
gefälliger als ich denke, denn wo rechtes Verlangen, ist auch Entgegenkommen.
O glückseliger Tag, wenn dies gewiß! Zeit stehe still, Sonne halt an in deinem
alten Lauf, damit ich die Geliebte in den verlangenden Armen halte!" --
Eines dieser Gedichte ist auf einen Brief geschrieben, den Michelangelo im
Jahre 1607 von seinem Vater nach Bologna erhielt, wo er damals an der
Erzbildsäule des Papstes Julius arbeitete. Keine weitere Angabe kommt unserer
Neugierde entgegen.

Nie wieder ringt sich eine solche stürmische Liebesfreudigkeit aus seinem
Innern los. Sonst haben die Gedichte etwas Reflectirtes. der Verstand hat
seinen Theil daran, ja die Philosophie. Schon ein Zeitgenosse sagte von seinen


theilen. Michelangelo fing frühe an zu dichten (Condivi erwähnt besonder»,
daß er in der Zeit, bevor er durch Julius den Zweiten nach Rom berufen
wurde, viele Sonette „zu seiner Unterhaltung" machte), und er dichtete bis in
sein hohes Alter. Nun weiß aber der Biograph nur von einer einzigen Liebe
zu erzählen, von der zu Vittoria Colonna, die Michelangelo, wie man annimmt,
erst im Jahr 1536 kennen lernte. Damit würde eS sehr gut stimmen, daß
allerdings die große Mehrzahl der erhaltenen Gedichte eben der späteren
römischen Zeit angehört. Allein auch diese können wir nur theilweise auf
Vittoria Colonna beziehen, für die anderen wie für alle früheren sind wir auf
eine andere Erklärung angewiesen. Sollten sie nur Spiele der Reflexion sein,
oder verschwieg uns der Biograph Beziehungen, die er selbst nicht kannte?
Michelangelo hat selbst in Gedichten des Alters ausgesprochen, daß ein un¬
ersättliches Feuer in ihm glühe und er oft geliebt habe (z. B. Sonett 46).
Aber stimmt dies mit dem Wesen des Mannes, der uns so eigenartig, ver¬
schlossen, die Einsamkeit liebend, geschildert wird und von keinem andern Weib
wissen wollte, als seiner Kunst? Die Antwort ist: er war nie ohne Liebe,
weil er alles Schöne ersehnte, weil er in allem Einzelschönen die Idee der
Schönheit liebte.

Darf ich eine Vermuthung wagen, so ist einmal auch in jüngeren Jahren
das Gefühl der Liebe übermächtig über ihn gekommen. Man hat ein paar
Sonette (19—22), die im ganzen Ton auffallend von allen übrigen sich unter¬
scheiden. Eine sinnlich naive Lust bricht hier durch, jubelnd ruft er aus: ,^Jch
liebe mich mehr, seit ich dich im Herzen habe, wie ein gefaßter Stein werth¬
voller ist, ein beschriebenes oder bemaltes Blatt kostbarer, als ein leerer Bogen."
Eifersüchtig blickt er auf die Blumen im Kranz der Geliebten, die sich streiten,
ihr die Wange zu küssen, er beneidet das Mieder, das ihre wogende Brust
umschließt, den engen Gürtel, der die Hüften umspannt — wie würden da erst
meine Arme dich umfassen! Er möchte das Gewand sein, das um ihren Busen
sich ^legt. um nur wenigstens bei Tag bei ihr zu sein. „Und siehst du mirs
denn nicht an den Augen an, wie ich für dich glühe? Vielleicht ist dein Sinn
gefälliger als ich denke, denn wo rechtes Verlangen, ist auch Entgegenkommen.
O glückseliger Tag, wenn dies gewiß! Zeit stehe still, Sonne halt an in deinem
alten Lauf, damit ich die Geliebte in den verlangenden Armen halte!" —
Eines dieser Gedichte ist auf einen Brief geschrieben, den Michelangelo im
Jahre 1607 von seinem Vater nach Bologna erhielt, wo er damals an der
Erzbildsäule des Papstes Julius arbeitete. Keine weitere Angabe kommt unserer
Neugierde entgegen.

Nie wieder ringt sich eine solche stürmische Liebesfreudigkeit aus seinem
Innern los. Sonst haben die Gedichte etwas Reflectirtes. der Verstand hat
seinen Theil daran, ja die Philosophie. Schon ein Zeitgenosse sagte von seinen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285587/73>, abgerufen am 22.07.2024.