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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band.

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hinüber und herüber. Die Arbeitskräfte und die Waaren werden aus und ein¬
getauscht. Credite werden gegeben und genommen. Die wirthschaftlichen Er¬
eignisse äußern ihre wechselseitigen Wirkungen aus einem Lande in das andere.
Ein paar große Fallimente in Koblenz verbreiten Schrecken auf dem südwest¬
lichen AbHange des nassauischen Westerwalds. Die Solidität und die Festigkeit
der kleinen, aber capitalreichen preußischen Stadt Siegen gewährt dem nordöst¬
lichen nafsauischen Westerwalde kräftigen Rückhalt. Die bürgerliche Gesellschaft
will trotz der jüngsten Ereignisse nicht an den Krieg glauben. Sie ist zu
fest überzeugt von der Solidarität der wirthschaftlichen Interessen. Man klammert
sich beiderseits um so fester an einander, je mehr das bisher so wohlthätige ge¬
meinsame Band mit dem Risse bedroht ist.

Einstweilen wenigstens sind die Verträge, welche der Krieg zu lösen pflegt,
die Verträge über den Zollverein, über die Eisenbahnen, über die Telegraphen¬
linien, über die Rheinschiffahrt und die sonstigen den gegenseitigen Verkehr
und die Beziehungen der beiderseitigen Behörden regelnden Conventionen, welche
zwischen Nassau und Preußen bestehen, hier wie dort noch in unbestrittener Uebung
und Geltung. Man hat zwar den Fuß bereits erhoben zu einem verhängniß-
vollen Schritt, aber man zögert noch, ihn vorwärts zu setzen.

Auch kriegerische Bewegungen, die mit einander in Wechselwirkung standen,
haben stattgefunden.

Am 17. Juni Morgens sehr früh traf in Wiesbaden von Weilburg aus
die Nachricht ein, die ganze im Kreis Wetzlar concentrirte preußische Militär¬
macht habe sich lahnabwärts gegen Nassau in Bewegung gesetzt. Die nassauische
Brigade wurde alarmirt und rückte aus, um unbequemen Eventualitäten vor¬
zubeugen. Alsbald traf jedoch von Weilburg die beruhigende Berichtigung ein,
die Preußen hätten sich zwar von Wetzlar aus in Bewegung gesetzt, aber nicht
lahm ab-, sondern lahnaufwärts nach Gießen und Marburg, um gegen Han¬
nover und Kurhessen zu operiren. Das Ganze war also blinder Lärm; und die
nassauische Brigade, welche geneigt schien, bei Flörsheim auf das linke Ufer
des Main überzusetzen, kehrte in ihre Standquartiere auf dem rechten Main-
und Rheinufer zurück. Das war der erste Act.

Ein paar Tage später verbreitete sich hier die Nachricht, die Preußen hätten
Oberlahnstein besetzt. Damit verhielt es sich so: In Lahnstein verweilte ein
Preußischer Offizier in einer Weinstube und verkehrte dort mit den einheimischen
Gästen in einer diesen nicht sonderlich zusagenden Weise. Die letzteren beschlossen
daher, "dem Preußen einen Schabernack anzuthun". Sie wußten es sehr ge¬
schickt in Scene zu setzen, daß nach einiger Zeit mehre Leute in die Weinstube
stürzten, um die Botschaft zu verkündigen, im oberen Ende des Ortes rückten
Bayern ein. Der preußische Offizier eilte nach dem benachbarten Koblenz, um
dort Meldung zu machen. Alsbald ging eine preußische Truppenabtheilung


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hinüber und herüber. Die Arbeitskräfte und die Waaren werden aus und ein¬
getauscht. Credite werden gegeben und genommen. Die wirthschaftlichen Er¬
eignisse äußern ihre wechselseitigen Wirkungen aus einem Lande in das andere.
Ein paar große Fallimente in Koblenz verbreiten Schrecken auf dem südwest¬
lichen AbHange des nassauischen Westerwalds. Die Solidität und die Festigkeit
der kleinen, aber capitalreichen preußischen Stadt Siegen gewährt dem nordöst¬
lichen nafsauischen Westerwalde kräftigen Rückhalt. Die bürgerliche Gesellschaft
will trotz der jüngsten Ereignisse nicht an den Krieg glauben. Sie ist zu
fest überzeugt von der Solidarität der wirthschaftlichen Interessen. Man klammert
sich beiderseits um so fester an einander, je mehr das bisher so wohlthätige ge¬
meinsame Band mit dem Risse bedroht ist.

Einstweilen wenigstens sind die Verträge, welche der Krieg zu lösen pflegt,
die Verträge über den Zollverein, über die Eisenbahnen, über die Telegraphen¬
linien, über die Rheinschiffahrt und die sonstigen den gegenseitigen Verkehr
und die Beziehungen der beiderseitigen Behörden regelnden Conventionen, welche
zwischen Nassau und Preußen bestehen, hier wie dort noch in unbestrittener Uebung
und Geltung. Man hat zwar den Fuß bereits erhoben zu einem verhängniß-
vollen Schritt, aber man zögert noch, ihn vorwärts zu setzen.

Auch kriegerische Bewegungen, die mit einander in Wechselwirkung standen,
haben stattgefunden.

Am 17. Juni Morgens sehr früh traf in Wiesbaden von Weilburg aus
die Nachricht ein, die ganze im Kreis Wetzlar concentrirte preußische Militär¬
macht habe sich lahnabwärts gegen Nassau in Bewegung gesetzt. Die nassauische
Brigade wurde alarmirt und rückte aus, um unbequemen Eventualitäten vor¬
zubeugen. Alsbald traf jedoch von Weilburg die beruhigende Berichtigung ein,
die Preußen hätten sich zwar von Wetzlar aus in Bewegung gesetzt, aber nicht
lahm ab-, sondern lahnaufwärts nach Gießen und Marburg, um gegen Han¬
nover und Kurhessen zu operiren. Das Ganze war also blinder Lärm; und die
nassauische Brigade, welche geneigt schien, bei Flörsheim auf das linke Ufer
des Main überzusetzen, kehrte in ihre Standquartiere auf dem rechten Main-
und Rheinufer zurück. Das war der erste Act.

Ein paar Tage später verbreitete sich hier die Nachricht, die Preußen hätten
Oberlahnstein besetzt. Damit verhielt es sich so: In Lahnstein verweilte ein
Preußischer Offizier in einer Weinstube und verkehrte dort mit den einheimischen
Gästen in einer diesen nicht sonderlich zusagenden Weise. Die letzteren beschlossen
daher, „dem Preußen einen Schabernack anzuthun". Sie wußten es sehr ge¬
schickt in Scene zu setzen, daß nach einiger Zeit mehre Leute in die Weinstube
stürzten, um die Botschaft zu verkündigen, im oberen Ende des Ortes rückten
Bayern ein. Der preußische Offizier eilte nach dem benachbarten Koblenz, um
dort Meldung zu machen. Alsbald ging eine preußische Truppenabtheilung


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[0063] hinüber und herüber. Die Arbeitskräfte und die Waaren werden aus und ein¬ getauscht. Credite werden gegeben und genommen. Die wirthschaftlichen Er¬ eignisse äußern ihre wechselseitigen Wirkungen aus einem Lande in das andere. Ein paar große Fallimente in Koblenz verbreiten Schrecken auf dem südwest¬ lichen AbHange des nassauischen Westerwalds. Die Solidität und die Festigkeit der kleinen, aber capitalreichen preußischen Stadt Siegen gewährt dem nordöst¬ lichen nafsauischen Westerwalde kräftigen Rückhalt. Die bürgerliche Gesellschaft will trotz der jüngsten Ereignisse nicht an den Krieg glauben. Sie ist zu fest überzeugt von der Solidarität der wirthschaftlichen Interessen. Man klammert sich beiderseits um so fester an einander, je mehr das bisher so wohlthätige ge¬ meinsame Band mit dem Risse bedroht ist. Einstweilen wenigstens sind die Verträge, welche der Krieg zu lösen pflegt, die Verträge über den Zollverein, über die Eisenbahnen, über die Telegraphen¬ linien, über die Rheinschiffahrt und die sonstigen den gegenseitigen Verkehr und die Beziehungen der beiderseitigen Behörden regelnden Conventionen, welche zwischen Nassau und Preußen bestehen, hier wie dort noch in unbestrittener Uebung und Geltung. Man hat zwar den Fuß bereits erhoben zu einem verhängniß- vollen Schritt, aber man zögert noch, ihn vorwärts zu setzen. Auch kriegerische Bewegungen, die mit einander in Wechselwirkung standen, haben stattgefunden. Am 17. Juni Morgens sehr früh traf in Wiesbaden von Weilburg aus die Nachricht ein, die ganze im Kreis Wetzlar concentrirte preußische Militär¬ macht habe sich lahnabwärts gegen Nassau in Bewegung gesetzt. Die nassauische Brigade wurde alarmirt und rückte aus, um unbequemen Eventualitäten vor¬ zubeugen. Alsbald traf jedoch von Weilburg die beruhigende Berichtigung ein, die Preußen hätten sich zwar von Wetzlar aus in Bewegung gesetzt, aber nicht lahm ab-, sondern lahnaufwärts nach Gießen und Marburg, um gegen Han¬ nover und Kurhessen zu operiren. Das Ganze war also blinder Lärm; und die nassauische Brigade, welche geneigt schien, bei Flörsheim auf das linke Ufer des Main überzusetzen, kehrte in ihre Standquartiere auf dem rechten Main- und Rheinufer zurück. Das war der erste Act. Ein paar Tage später verbreitete sich hier die Nachricht, die Preußen hätten Oberlahnstein besetzt. Damit verhielt es sich so: In Lahnstein verweilte ein Preußischer Offizier in einer Weinstube und verkehrte dort mit den einheimischen Gästen in einer diesen nicht sonderlich zusagenden Weise. Die letzteren beschlossen daher, „dem Preußen einen Schabernack anzuthun". Sie wußten es sehr ge¬ schickt in Scene zu setzen, daß nach einiger Zeit mehre Leute in die Weinstube stürzten, um die Botschaft zu verkündigen, im oberen Ende des Ortes rückten Bayern ein. Der preußische Offizier eilte nach dem benachbarten Koblenz, um dort Meldung zu machen. Alsbald ging eine preußische Truppenabtheilung 7*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285587/63>, abgerufen am 22.07.2024.