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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band.

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nicht ganz entsagen zu können. Der nassauische Gesandte -- welchen wir der
Kostenersparniß halber mit Braunschweig zusammen halten -- ist noch in Ber¬
lin und der preußische ist noch in Wiesbaden beglaubigt. Wir sind also noch
nicht im Krieg mit Preußen. In Nassau halten sich vielfach preußische Hand¬
werker und Arbeiter auf, um ihrer Erwerbsthätigkeit nachzugehen. Wenn die¬
selben zum ersten Aufgebot der Landwehr gehören, so werden sie einberufen.
Die preußische Militärbehörde schickt ihre Einberufungsvrdre direct an die be¬
treffende Localstelle in Nassau. Diese vollzieht die Vorladung ohne weiteres.
Seit wann ist es Sitte, daß man dem Feinde seine Soldaten einberuft? Auf
unserer Staatseisenbahn, welche sich den Rhein entlang von Wiesbaden nach
der Mündung der Lahn (Oberlahnstein), und von da der Lahn entlang nach
Wetzlar zieht, sind zwar Vorsichtsmaßregeln getroffen; es ist, obgleich wir keine
Nachtzuge haben, Nachtwache angeordnet und zuweilen hält auch eine Locomo-
tive einen nächtlichen Recognoscirungsritt; aber es ist noch niemandem ein
gefallen, das Eisenbahnbetriebsmaterial, das sich hauptsächlich in Oberlahnstein
dem Centralpunkt, wo Rhein- und Lahnbahn aneinanderstoßen, vorfindet, vor
dem "Aeind" in Sicherheit zu bringen, obgleich Oberlahnstein sozusagen im
Rayon der Festung Koblenz-Ehrenbreitstein liegt und mit demselben durch
Schienengleise auf dem rechten und linken Ufer und durch den Rheinstrom selber
verbunden ist. Vor wie nach spediren wir preußische Soldaten auf unserer
Staatseisenbahn von Ehrenbreitstein nach Wetzlar, natürlich gegen Bezahlung
Denn umsonst können wir es nicht thun, weil unsere Staatsbahn bisher nur
drei Procent rentiri/ und in Zukunft, d. h. während des Kriegs, noch weniger
rentiren wird, während wir das Baucapital mit 34 Millionen Gulden zu vier
Procent zu verzinsen und zu amortisiren haben -- eine schwere Last für
468,000 Seelen! Die Preußen haben eine vertragsmäßige Etappenstraße von
Ehrenbreitstein nach Wetzlar durch unser Land; und als man nach langem und
nutzlosen Hangen und Bangen, Hadern und Streiten, worüber viel kostbare
Zeit und Geld verloren ging, .endlich in Betreff der Anschlusse der beiderseitigen
Eisenbahnen einig wurde, stand unter anderem auch in den Verträgen, daß die
Lahnbahn gegen Bezahlung auch als Etappenstraße für preußische Truppen
dienen müsse. Diese Verträge werden bis jetzt beiderseits gewissenhaft gehalten.
Die beiderseitigen Eisenbahnen geben Fahlbillets auf einander aus. Die An¬
schlusse in Bingcrbrück, in Lahnstein, Ehrenbreitstein und Wetzlar werden genau
beobachtet. Wir verkehren noch mit Preußen wie im tiefsten Frieden. Nur
zwischen Wetzlar und Gießen soll die Eisenbahn zerstört sein, welche die Ver¬
bindung zwischen der Lahnbahn und der Köln-Mindener-Bahn einerseits und
der Main-Weser-Bahn andererseits bildet. Das haben aber nicht unsere Feinde,
die Preußen, sondern unsere Freunde, die Hessen-Darmstädter, gethan.

Zwischen Nassau und Preußen gehen noch Handel und Wandel ungestört


nicht ganz entsagen zu können. Der nassauische Gesandte — welchen wir der
Kostenersparniß halber mit Braunschweig zusammen halten — ist noch in Ber¬
lin und der preußische ist noch in Wiesbaden beglaubigt. Wir sind also noch
nicht im Krieg mit Preußen. In Nassau halten sich vielfach preußische Hand¬
werker und Arbeiter auf, um ihrer Erwerbsthätigkeit nachzugehen. Wenn die¬
selben zum ersten Aufgebot der Landwehr gehören, so werden sie einberufen.
Die preußische Militärbehörde schickt ihre Einberufungsvrdre direct an die be¬
treffende Localstelle in Nassau. Diese vollzieht die Vorladung ohne weiteres.
Seit wann ist es Sitte, daß man dem Feinde seine Soldaten einberuft? Auf
unserer Staatseisenbahn, welche sich den Rhein entlang von Wiesbaden nach
der Mündung der Lahn (Oberlahnstein), und von da der Lahn entlang nach
Wetzlar zieht, sind zwar Vorsichtsmaßregeln getroffen; es ist, obgleich wir keine
Nachtzuge haben, Nachtwache angeordnet und zuweilen hält auch eine Locomo-
tive einen nächtlichen Recognoscirungsritt; aber es ist noch niemandem ein
gefallen, das Eisenbahnbetriebsmaterial, das sich hauptsächlich in Oberlahnstein
dem Centralpunkt, wo Rhein- und Lahnbahn aneinanderstoßen, vorfindet, vor
dem „Aeind" in Sicherheit zu bringen, obgleich Oberlahnstein sozusagen im
Rayon der Festung Koblenz-Ehrenbreitstein liegt und mit demselben durch
Schienengleise auf dem rechten und linken Ufer und durch den Rheinstrom selber
verbunden ist. Vor wie nach spediren wir preußische Soldaten auf unserer
Staatseisenbahn von Ehrenbreitstein nach Wetzlar, natürlich gegen Bezahlung
Denn umsonst können wir es nicht thun, weil unsere Staatsbahn bisher nur
drei Procent rentiri/ und in Zukunft, d. h. während des Kriegs, noch weniger
rentiren wird, während wir das Baucapital mit 34 Millionen Gulden zu vier
Procent zu verzinsen und zu amortisiren haben — eine schwere Last für
468,000 Seelen! Die Preußen haben eine vertragsmäßige Etappenstraße von
Ehrenbreitstein nach Wetzlar durch unser Land; und als man nach langem und
nutzlosen Hangen und Bangen, Hadern und Streiten, worüber viel kostbare
Zeit und Geld verloren ging, .endlich in Betreff der Anschlusse der beiderseitigen
Eisenbahnen einig wurde, stand unter anderem auch in den Verträgen, daß die
Lahnbahn gegen Bezahlung auch als Etappenstraße für preußische Truppen
dienen müsse. Diese Verträge werden bis jetzt beiderseits gewissenhaft gehalten.
Die beiderseitigen Eisenbahnen geben Fahlbillets auf einander aus. Die An¬
schlusse in Bingcrbrück, in Lahnstein, Ehrenbreitstein und Wetzlar werden genau
beobachtet. Wir verkehren noch mit Preußen wie im tiefsten Frieden. Nur
zwischen Wetzlar und Gießen soll die Eisenbahn zerstört sein, welche die Ver¬
bindung zwischen der Lahnbahn und der Köln-Mindener-Bahn einerseits und
der Main-Weser-Bahn andererseits bildet. Das haben aber nicht unsere Feinde,
die Preußen, sondern unsere Freunde, die Hessen-Darmstädter, gethan.

Zwischen Nassau und Preußen gehen noch Handel und Wandel ungestört


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285587/62>, abgerufen am 22.07.2024.