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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band.

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und gemüthlich", die Preußen dagegen "anmaßend und widerwärtig" sein sollen.
Selbst der entschiedenste Preußenfreund wird in der That kaum bestreiten kön¬
nen, daß der östreichische Offizier, wenn er will, sich im Umgang mit der großen
Masse des Publikums leichter Sympathien erwirbt als der preußische. Nament¬
lich aber tritt dies hervor gegenüber der leichtlebigen, rückhaltlosen, umgangs-
und vcrgnügungslustigcn Bevölkerung von Mainz, welche seit langen Jahren
Gelegenheit hatte, die beiderseitigen Offiziere zu studiren und stets den Oest¬
reichern den Vorzug gab vor, den Preußen, weil die guten Eigenschaften der
letzteren etwas verborgener liegen und das Studium der Mainzer ein wenig
oberflächlich ist. Wie liebenswürdig erschien doch für ein rheinländisches Kind, im
Gegensatze zu dem knappen, wortkargen, zugeknöpften Preußen mit seinem lang
wenigen Pflicht, und Selbstgefühl, der gemüthliche, gefällige, lustige Oestreicher
mit seinem kindlichen Dialekt, seinem anbiedernden Ton und seiner allzeit zum
Handküssen bereiten Höflichkeit. Wie konnte er 'so angenehm "plauschen",
und wie fühlte er sich so wohl an dem grünen Rhein, in dem "goldenen"
Mainz, wo es so unendlich viel schöner war als in einer einsamen Garnison
in dem feindseligen Welschland, in dem unsaubern Lande der Wenden oder in
den langweiligen ungarischen Pußten! Ob des Abzugs des Oestreichers entfloß
in Mainz manch' schönem Auge manche Thräne. Der Preuße aber konnte beim
Abmarsch stolz mit Uhland singen:

Wenn in Mainz die Stimmung gegen Preußen kühl, für Oestreich warm
ist, so genügen diese Worte nicht für Frankfurt. Denn dort ist man ebenso
fanatisch östreichisch, als rabbiat preußenfresserisch. Jeder neu einrückende Reichs¬
soldat ist sofort umringt von einigen Dutzend Frankfurtern oder am Ende vielleicht
gar auch Frankfurterinnen, welche ihn umarmen und ihm mit Süßigkeiten und
Spirituosen zusetzen, so daß Hannibal ohne Zweifel in dieser freien Reichsstadt
ein zweites Capua erblicken würde. Wer dagegen nicht über Preußen (und
zwar das ganze preußische Volk, die preußischen Kammern und namentlich auch
die beiden großen liberalen Fractionen derselben mitinbegriffen) tagtäglich bei
Aufgang und bei Niedergang der Sonne "alle Flüche, die in der Thora ge¬
schrieben stehen", herabruft und bei seinem Barte schwört. Oestreich sei das
reine Lamm des Passah, Preußen dagegen der Bock der Sünde, der in die
Wüste gejagt werden müsse, wenn wieder Fried' und Freud' einkehren solle in
Israel, der wird belegt mit dem Namen des Mannes, der an der Spitze der
preußischen Regierung steht; und dieser Name gilt in Frankfurt für ein Schelt-
wort wuchtigster Trag, und Schlagweite.


und gemüthlich", die Preußen dagegen „anmaßend und widerwärtig" sein sollen.
Selbst der entschiedenste Preußenfreund wird in der That kaum bestreiten kön¬
nen, daß der östreichische Offizier, wenn er will, sich im Umgang mit der großen
Masse des Publikums leichter Sympathien erwirbt als der preußische. Nament¬
lich aber tritt dies hervor gegenüber der leichtlebigen, rückhaltlosen, umgangs-
und vcrgnügungslustigcn Bevölkerung von Mainz, welche seit langen Jahren
Gelegenheit hatte, die beiderseitigen Offiziere zu studiren und stets den Oest¬
reichern den Vorzug gab vor, den Preußen, weil die guten Eigenschaften der
letzteren etwas verborgener liegen und das Studium der Mainzer ein wenig
oberflächlich ist. Wie liebenswürdig erschien doch für ein rheinländisches Kind, im
Gegensatze zu dem knappen, wortkargen, zugeknöpften Preußen mit seinem lang
wenigen Pflicht, und Selbstgefühl, der gemüthliche, gefällige, lustige Oestreicher
mit seinem kindlichen Dialekt, seinem anbiedernden Ton und seiner allzeit zum
Handküssen bereiten Höflichkeit. Wie konnte er 'so angenehm „plauschen",
und wie fühlte er sich so wohl an dem grünen Rhein, in dem „goldenen"
Mainz, wo es so unendlich viel schöner war als in einer einsamen Garnison
in dem feindseligen Welschland, in dem unsaubern Lande der Wenden oder in
den langweiligen ungarischen Pußten! Ob des Abzugs des Oestreichers entfloß
in Mainz manch' schönem Auge manche Thräne. Der Preuße aber konnte beim
Abmarsch stolz mit Uhland singen:

Wenn in Mainz die Stimmung gegen Preußen kühl, für Oestreich warm
ist, so genügen diese Worte nicht für Frankfurt. Denn dort ist man ebenso
fanatisch östreichisch, als rabbiat preußenfresserisch. Jeder neu einrückende Reichs¬
soldat ist sofort umringt von einigen Dutzend Frankfurtern oder am Ende vielleicht
gar auch Frankfurterinnen, welche ihn umarmen und ihm mit Süßigkeiten und
Spirituosen zusetzen, so daß Hannibal ohne Zweifel in dieser freien Reichsstadt
ein zweites Capua erblicken würde. Wer dagegen nicht über Preußen (und
zwar das ganze preußische Volk, die preußischen Kammern und namentlich auch
die beiden großen liberalen Fractionen derselben mitinbegriffen) tagtäglich bei
Aufgang und bei Niedergang der Sonne „alle Flüche, die in der Thora ge¬
schrieben stehen", herabruft und bei seinem Barte schwört. Oestreich sei das
reine Lamm des Passah, Preußen dagegen der Bock der Sünde, der in die
Wüste gejagt werden müsse, wenn wieder Fried' und Freud' einkehren solle in
Israel, der wird belegt mit dem Namen des Mannes, der an der Spitze der
preußischen Regierung steht; und dieser Name gilt in Frankfurt für ein Schelt-
wort wuchtigster Trag, und Schlagweite.


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[0057] und gemüthlich", die Preußen dagegen „anmaßend und widerwärtig" sein sollen. Selbst der entschiedenste Preußenfreund wird in der That kaum bestreiten kön¬ nen, daß der östreichische Offizier, wenn er will, sich im Umgang mit der großen Masse des Publikums leichter Sympathien erwirbt als der preußische. Nament¬ lich aber tritt dies hervor gegenüber der leichtlebigen, rückhaltlosen, umgangs- und vcrgnügungslustigcn Bevölkerung von Mainz, welche seit langen Jahren Gelegenheit hatte, die beiderseitigen Offiziere zu studiren und stets den Oest¬ reichern den Vorzug gab vor, den Preußen, weil die guten Eigenschaften der letzteren etwas verborgener liegen und das Studium der Mainzer ein wenig oberflächlich ist. Wie liebenswürdig erschien doch für ein rheinländisches Kind, im Gegensatze zu dem knappen, wortkargen, zugeknöpften Preußen mit seinem lang wenigen Pflicht, und Selbstgefühl, der gemüthliche, gefällige, lustige Oestreicher mit seinem kindlichen Dialekt, seinem anbiedernden Ton und seiner allzeit zum Handküssen bereiten Höflichkeit. Wie konnte er 'so angenehm „plauschen", und wie fühlte er sich so wohl an dem grünen Rhein, in dem „goldenen" Mainz, wo es so unendlich viel schöner war als in einer einsamen Garnison in dem feindseligen Welschland, in dem unsaubern Lande der Wenden oder in den langweiligen ungarischen Pußten! Ob des Abzugs des Oestreichers entfloß in Mainz manch' schönem Auge manche Thräne. Der Preuße aber konnte beim Abmarsch stolz mit Uhland singen: Wenn in Mainz die Stimmung gegen Preußen kühl, für Oestreich warm ist, so genügen diese Worte nicht für Frankfurt. Denn dort ist man ebenso fanatisch östreichisch, als rabbiat preußenfresserisch. Jeder neu einrückende Reichs¬ soldat ist sofort umringt von einigen Dutzend Frankfurtern oder am Ende vielleicht gar auch Frankfurterinnen, welche ihn umarmen und ihm mit Süßigkeiten und Spirituosen zusetzen, so daß Hannibal ohne Zweifel in dieser freien Reichsstadt ein zweites Capua erblicken würde. Wer dagegen nicht über Preußen (und zwar das ganze preußische Volk, die preußischen Kammern und namentlich auch die beiden großen liberalen Fractionen derselben mitinbegriffen) tagtäglich bei Aufgang und bei Niedergang der Sonne „alle Flüche, die in der Thora ge¬ schrieben stehen", herabruft und bei seinem Barte schwört. Oestreich sei das reine Lamm des Passah, Preußen dagegen der Bock der Sünde, der in die Wüste gejagt werden müsse, wenn wieder Fried' und Freud' einkehren solle in Israel, der wird belegt mit dem Namen des Mannes, der an der Spitze der preußischen Regierung steht; und dieser Name gilt in Frankfurt für ein Schelt- wort wuchtigster Trag, und Schlagweite.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285587/57>, abgerufen am 22.07.2024.